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Warum wird Pop und Rap immer spießiger?

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AnnenMayKantereit veröffentlichen ein Album, auf dem sie dem Traum nach der Altbauwohnung hinterhersprinten und so in die Herzen der Jungen und Mädchen mit den Turnbeuteln auf dem Rücken gelangen.

Der Rapper Kontra K schießt auf seinem neuen Album "Labyrinth" mantraartig, beinahe militärisch, Motivationssalven Richtung Jugendzimmer und steigt auf Platz 1 der Albumcharts ein. Bushido-Kompagnon Shindy lässt sich mit 27 Jahren eine Biografie schreiben, in der es um den Aufstieg aus der schwäbischen Mittelschicht in die schwäbische obere Mittelschicht geht, und landet damit einen Bestseller.

Ist Spießertum mittlerweile salonfähig geworden in ehemals subversiven Genres wie Rap und Rock? Was, verdammt,  ist denn da passiert?

kontra k
Foto: Estevan Oriol / Sony

Ist es mittlerweile nicht mehr cool, in der Pubertät seine Grenzen auszutesten, zu rebellieren und Erlebnissen abseits des Vier-Zimmer-Quartiers mit Dielenboden, des 4-Sterne-Menüs im Nobelrestaurant und des stählernen Körpers hinterher zu träumen? Und vor allem: Sollte Kunst beziehungsweise Musik nicht eigentlich etwas bewegen, das darüber hinausgeht, die Jugend für den 9-to-5-Job und möglichen Reichtum durch knallharte Arbeit fit zu machen? Ist Musik etwa zu einem weiteren Selbstoptimierungstool verkommen, das man zur Leistungssteigerung nutzt? Oder zum Weg, um sich wahlweise eine Materialisten- oder Bioladenjünger-Spießerwelt zusammen zu spinnen? Ein wenig offenbar schon.

Aber erst mal Luft holen: Denn ganz so schlimm steht es um deutschen Pop natürlich nicht. Alle der drei genannten Künstler sind zwar urbrav und wenig innovativ – aber auch ziemlich stilsicher in dem, was sie machen. Sprich: An handwerklicher Qualität mangelt es nicht. Die ist, wie auch alles andere an den drei Beispielen, eben gut, tut aber keinem weh. Sie polarisieren trotzdem.

 

Kontra K, Shindy und AnnenMayKantereit - drei Fallbeispiele

"Dicker, ich bin so weit weg vom Normalfall/

Mein Kopf unter Strom, denn er rattert/

Keine Zeit zum Labern, bei mir wird geackert"



Das und viele ähnliche Dinge rappt Kontra K auf dem Song "Ikarus". Die Kopfhoch-Phrasen des Kampfsportlers regen kaum zum Nachdenken an, geschweige denn, dass sie die Fantasie beflügeln. Es wird mit der Faust auf den Tisch gehauen und im subtilen Befehlston eingetrichtert, dass man jetzt gefälligst zu ackern habe, um etwas zu erreichen. Ein Aussteigen aus dem Alltag passiert beim Hören nicht. Seine Fans scheinen es trotzdem zu mögen, schon auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule damit beschallt zu werden, dass man sich gleich ziemlich reinzuhängen hat. Selbstoptimierung ist das Credo, bis man roboterartig abliefert. Anecken? Fehlanzeige.

shindy

Rapper Shindy

Foto: Screenshot youtube / bushido

So wie auch bei Shindy, der aalglatt wirkt, genauso aalglatt (und zugegebenermaßen ziemlich lässig) rappt, dann aber doch nur vom Geldausgeben erzählt, das er sich durch harte Arbeit verdient hat:

 

Goldkettenfetisch, nenn' mich Mr. T/

Givenchy, Givenchy, Givenchy/

Fahr' mit dem Benz durch die City und jede Bitch winkt wie die Queen

 

In seiner Biographie ist der Wechsel vom einen zum anderen Fußballverein in der Kleinstadt ein Thema  – und der Job am Fließband eines großen Autoherstellers. Das Krasseste war mal der sogenannte Beef mit dem ehemals besten Freund Kay One, der größte Aufreger war "Stress ohne Grund"  – der gemeinsame Song mit dem Vorzeigepöbler Bushido, der tatsächlich provozierte. Wegen Aussagen von Bushido wohlgemerkt. Shindy dagegen schmiert sich lieber akkurat Gel in die Haare, baut mit penibler Akribie Beats nach, die so ähnlich klingen, wie die von Drake – manchmal sogar besser, und wird so zu einem nichtssagenden Ästhetikmonster ohne nennenswerten Mehrwert. Anecken? Fehlanzeige.

annenmaykantereit

Die Band AnnenMayKantereit

Foto: dpa

"Ich würd gern mit dir in 'ner Altbauwohnung wohn’/

Zwei Zimmer, Küche, Bad und 'n kleiner Balkon"

 

AnnenMayKantereit brauchen nur zwei Zimmer zum Glück. Zumindest erzählen sie das in "3. Stock". Der Materialismus hält sich da zwar in Grenzen und auch der unerbittliche Drang nach der Arbeit an sich selbst keimt kaum auf. Dafür gibt es auch hier Phrasen ohne Ende: über die erste Liebe und Erste-Welt-Probleme, die eigentlich keine sind. "Alles Nix Konkretes" heißt ihr Album bezeichnenderweise dann auch. Konkret wird auch hier nur gähnende Langeweile von musikbegeisterten Jungs, die ziemlich wenig zu erzählen haben, geboten. Obwohl Sänger Henning May mal auf K.I.Zs Weltuntergangsutopie „Hurra die Welt geht unter“ vertreten war, die fast kommunistische Züge hatte, die am Ende aber doch nur in Eskapismus mündete. Anecken? Fehlanzeige.

 

Doch warum kommt so was nun an? Wahrscheinlich, weil in einer immer komplexer werdenden (Leistungs-) Gesellschaft einfache Erklärungen und Arbeitseifer eine ziemlich angenehme Sache sind. Semi-melancholisch über Problemchen sinnieren, den neuen Sneaker-Onlineshop abchecken und ein paar Hanteln zu stemmen ist eben der einfachere Weg als sich mit den abertausenden globalen Problemen und Entwicklungen auseinanderzusetzen und dahin zu schauen, wo es wehtut. Die Musik von Kontra K, Shindy, AnnenMayKanntereit und Co. bietet eine gute Hintergrundbeschallung für die Wohlstandsblase, in der es sich leben lässt. Am Ende klappt ja ohnehin alles ganz gut, so wie bei besagten Künstlern. Musik ohne Happy Ends und mit beißenden Fragen ist dagegen nicht so willkommen – schwimmt, wenn nicht in Humor oder Ironie verpackt, in der Regel unter dem Radar. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die sind selten.

 

Die Frage ist nur: Kann man das jemandem verübeln? Ja und nein. Musiker dürfen natürlich machen, was sie wollen. Wenn das textliche Belanglosigkeit ist, dann kann man daran nichts ändern, man kann es nur ignorieren. Als Hörer allerdings kann man sich ruhig auch mal selbst fordern, aus seiner Gefälligkeitsblase ausbrechen und sich mit Thematiken beschäftigen, die über Spießertalk hinausgehen. In Deutschland bedarf es einer Band, die viele junge Leute abholt, aber nicht egal ist, um den Mehrwert von Popkultur abseits der bloßen Unterhaltung wieder zu steigern. Und natürlich einer offenen Hörerschaft. K.I.Z haben das im Ansatz geschafft, nachziehen konnten bisher nur wenige.

 

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