Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Hör auf zu heulen, Mann!

Illustration: Johannes Englmann

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Liebe Mit-Männer,

zuallerst muss ich euch sagen: Es geht mir gut. Wirklich. Dass ihr euch solche Sorgen um mich macht, konnte ich nicht wissen, ich war im Urlaub. Erst am letzten Ferientag hatte ich endlich das Wlan-Passwort geknackt und las am Strand die fürchterlichen Nachrichten aus Deutschland: Der deutsche Mann ist am Ende! Das seid ihr und ich. Und wir alle, las ich also, sind so sehr am Ende, dass wir eigentlich sofort und für immer in Therapie gehen müssen. Oder zumindest ein neues Männer-Magazin kaufen, um in Christoph Waltz' Stirnfalten einen Moment lang Trost zu finden.

Wir führen nämlich "ein Leben auf der Streckbank", sagt ihr. Und schuld daran sei – so eure Klagelieder – eine fiese Truppe aus Kindern, Ehefrauen, Jungfeministinnen und niedlichen Eseln. An deren unfassbaren Erwartungen (Ehefrau: "Lass mich Geld verdienen!", Esel: "Streichel mal hier!") und brutal fieser Wortwahl (Jungfeministin: "Penisträger!") gehen wir Männer gerade kollektiv kaputt. Eine angebliche Rache für 2000 Jahre Unterdrückung.

"Darüber zu jammern ist tabu", stellt ihr darüber jammernd fest und verlinkt gleichzeitig den Artikel über den "therapierten Mann". Laut diesem gehen erfreulicherweise immer mehr Männer zum Psychotherapeuten. Früher ein Tabu, das endlich gefallen ist, beim Niederreißen alter Rollenbilder. Danke, Emanzipation! Auf dem Therapiesofa beklagt ihr aber dann, dass ihr kein Rollenbild mehr habt. Miese Emanzipation! Oder so ähnlich. Muss ich das verstehen?

Lasst das doch einfach mal sein mit der Suche nach männlichen Rollenbildern

Eure Verwirrung verwirrt mich also. Ich bin doch eigentlich genau der, von dem ihr da sprecht: Ein weißer, deutscher Hetero-Mann, mittelalt, Akademiker. Halb weggedöst am Strand liegend horche ich kurz in mich hinein. Regt sich da was, wo bleibt die Verzweiflung? Penisträger hat mich noch niemand genannt, mit Eseln und Frauen habe ich äußerst selten nennenswerte Probleme. Im Meer vor mir feilt meine Tochter an ihrer Karriere als neuer Jacques Cousteau. Dank meiner halben Stelle kann ich jederzeit in den Urlaub fahren – mal abgesehen vom Geldmangel, für den die Emanzipation weiß Gott nichts kann. Und das da unter mir ist keine Streckbank, sondern ein Liegestuhl. Was läuft da bei euch anders? Was hat euch bloß so ruiniert?

Natürlich kann ich aus der Ferne nur schlecht in euch hineinschauen. Da ihr aber ebenso unqualifiziert über meinen Seelenzustand als deutscher Mann referiert habt, erlaube ich es mir hiermit einfach auch. Mit ein paar Weisheiten vom Liegestuhl Richtung Streckbank:

Lasst das doch einfach mal sein mit der Suche nach männlichen Rollenbildern. Vor allem nach neuen. Es hat 2000 Jahre gedauert, die alten abzuschaffen. Oder wenigstens zu demaskieren. Das war anstrengend genug – und nicht selten zucken sie ja auch heute noch im Todeskampf durch die Welt und richten genug Schaden an.

 

Wie wär's, wenn wir es jetzt mal ganz ohne versuchen?

 

Ich weiß, das klingt für euch nach einem irren Schritt und weckt Kastrationsängste. Aber können wir, anstatt uns wimmernd in der Selbsthilfegruppe "Wir sind immer noch Männer!" ins Ohr zu flüstern, nicht einfach rausgehen und die Vorstellung wegwerfen, dass Erwachsen- und Mannsein bedeutet, einem von außen aufgestülpten Bild gerecht zu werden? Wollt ihr unbedingt wie Christoph Waltz sein müssen oder Männlichkeitsfantasien mittelalter Journalisten erfüllen?

 

Einen Versuch wert: statt "dem deutschen Mann" einfach mal dem "Ich" folgen

 

Vielleicht macht euch die fehlende Orientierung ja Angst. Aber ist das nicht sogar im ganz altbacken-klassischen Sinne, also von dort, wo eure Angst eigentlich herkommt, ziemlich unmännlich? Merkt ihr was?

 

Ich kann euch beruhigen. In erster Linie ist die Angst nämlich eins: vollkommen unbegründet. Nicht die Gesellschaft ist eure Streckbank, sondern das Rollenbild selbst. Entspannter werdet ihr also nicht mit einem neuen, sondern mit gar keinem. Anstatt euch in bunten Heftchen über Distinktions-Männerquatsch wie 400-Euro-Whisky zu informieren, könntet ihr dann möglicherweise endlich zugeben, dass ihr Whisky schon immer widerlich fandet. Oder ihn einfach gerne trinken. Beides wunderbar. Ganz, wie ihr wollt. Euer Rollenbild könnte dann nämlich nicht "der deutsche Mann" heißen, sondern "Ich". 

 

Ich darf nämlich fast alles. Ich darf zum Frühstück blutige Steaks grillen, den Tag mit den Kindern im Streichelzoo oder beim Therapeuten verbringen und abends als Drag-Queen oder Bodybuilder ausgehen. Dazu darf Ich sich eine Frau suchen, die wahnsinnig gerne abwäscht, säuft oder Esel schlachtet. Oder einen Mann. Ich darf gröhlen und weinen und auf die Meinung der Gesellschaft pfeifen. Und sich dabei immer als Mann bezeichnen, wenn Ich das will. 

 

Eigentlich seltsam, dass man euch das überhaupt erklären muss. Ist euch das alles zu riskant? Wenn ihr euch danach sehnt, bis zum Herzinfarkt zu arbeiten und das Aufwachsen eurer Kinder zu verpassen: Auch das geht! Vielleicht braucht ihr aber auch einfach mal Urlaub. Oder echte Probleme.

Mehr Gedanken zu Rollenbildern und Stereotypen:

  • teilen
  • schließen