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Die Slim-Fit-Jeans muss aus der Männermode verbannt werden

Illustration: FDE

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Etwas läuft fundamental schief in unserer Gesellschaft. Männer wie ich finden einfach kein Gehör mehr. Niemand scheint offen für unsere Forderungen, unsere Bedürfnisse, ja, unseren innigsten Wunsch: Endlich eine Hose zu finden, die uns problemlos passt. Seit Jahren werden wir gepeinigt von den Mächtigen in unserem Land, der Modeindustrie. Hosen kaufen ist für uns eine Qual. Wie oft standen wir nach stundenlanger Suche mit einer mickrigen Auswahl an Hosen in der Umkleidekabine, mit Schweißperlen auf der Stirn und Verzweiflung in den Augen. Die Hose gerade mal bis zur Mitte des Oberschenkels hochgezogen und vergeblich immer und immer wieder ruckartig daran ziehend, aber nichts. Der Stoff bewegt sich keinen Zentimeter – trotz eigentlich richtiger Größe. Und dann die zynische Frage der Verkäufer*innen. „Naaa, passt’s?!“ Natürlich passt es nicht! Das kann man doch am resignierten Stöhnen erkennen! „Ja, die Hosen sind bisschen enger geschnitten. Das ist jetzt gerade Trend.“ Gerade??? Man könnte lachen, wenn es nicht so verdammt traurig wäre.

Ich würde mich als sportlichen Durchschnitts-Mann bezeichnen, weder extrem trainiert oder übergewichtig, noch spindeldürr. Weder zu weit links, noch zu weit rechts des Body-Mass-Indexes. Quasi die Mitte der Gesellschaft, das Rückgrat unserer Modewirtschaft. Eigentlich sollte es für mich ein Leichtes sein, das richtige Beinkleid zu finden. Aber weit gefehlt. Es ist so gut wie unmöglich. Besonders wenn man – wie ich – viele Jahre im Fußballverein gespielt hat und die Oberschenkel dadurch einen gewissen Umfang haben.

Beine, eingepfercht wie Leberwurst im Naturdarm

Fast 20 Jahre ist es her, dass Mando Diao, die Strokes und Libertines erst die Musik und schließlich auch die Modeindustrie nachhaltig veränderten. Die Hosen, die diese Männer trugen, krallten sich eng wie Latex an Beine, die kein Gramm fett hatten. So heftig diese Hosen und diejenigen, die sie trugen, am Anfang noch verspottet wurden, als „unmännlich“ oder Dümmeres bezeichnet wurden, so schnell unterwarfen sich die Kritiker wenig später ihren einstigen Hassfiguren, als sie merkten, dass dieser Stil vielleicht gar nicht so schlecht ankommt.

Auch ich wollte mich damals diesem Hype beugen, bin zu H&M gegangen und habe mich in diese Hose gezwängt, deren Nähte wie durch ein Wunder dem Druck von innen standgehalten haben. Doch der Druck von außen war noch größer. Oberschenkel wie meine will wirklich niemand in Skinny Jeans sehen. Mit Beinen, eingepfercht wie eine Leberwurst im Naturdarm, ging ich damals in die Schule und die Blicke meiner Mitschüler*innen verfolgen mich noch heute. Ein Erlebnis, das sich bei mir so eingebrannt hat, dass ich nie wieder in die Versuchung kommen werde, mich in so eine enge Hose zu zwängen. Doch hier ist das Problem. Es gibt, 19 Jahre nach „Last Nite“, nachdem die Strokes von den Arctic Monkeys abgelöst wurden und schließlich Indie Rock komplett aus den Charts verschwunden ist, trotzdem für Männer fast nur noch eng anliegende Hosen.

Alles noch slimmer als erwartet

Und das ist ein großes Problem. Denn seit dem Verschwinden der Toga, ist die Hose das einzige Kleidungsstück, das in unserem Kulturkreis unterhalb des Männer-Bauchnabels von der Gesellschaft akzeptiert wird. Klar, es gibt Variationen dieses Kleidungsstücks: Kurze Hosen, lange Hosen, Jogginghosen, Badehosen, Leinenhosen und leider auch Dreiviertelhosen. Aber spätestens, wenn man sich auf dem Arbeitsweg macht und nicht zufälligerweise Fußballprofi oder Bademeister ist, muss man als Mann eine lange Hose tragen. Und dafür, dass unsere Auswahl auf ein einziges Kleidungsstück beschränkt ist, ist die Palette extrem gering.

Ich habe für meine investigative Recherche auf drei Fast-Fashion-Mode-Seiten nach Hosen gesucht. Für Menschen meines Beintyps gibt es nicht viel Auswahl: Tapered Fit, Regular Fit, Straight Fit – also: Oben breit, unten schmal oder der Schnitt, der seit Levi Strauss seine Hosenmarke gegründet hat, unverändert geblieben ist oder einfach stumpf gerade geschnitten. Das war’s. Außer ich greife zu Jogging- oder Leinenhosen, beides nicht unbedingt die beste Wahl für die Arbeit. Für Männer mit nur wenig Gewebe um die Beinknochen scheint die Auswahl dagegen unendlich: Slim Fit. Super Slim Fit, Premium Slim Fit Jeans, Skinny Jeans, Skinne Jeans (auch wenn das vielleicht ein Tippfehler war), Slim Straight Jeans, Free Fit Skinny Jeans, Skinny Comfort Jeans, Super Skinny Jeans, Tech Stretch Slim Jeans, Slim Straight Selvedge Jeans, Skinny Comfort Jeans, Skinny Cropped Jeans, Slim Jeans, LastingFit Slim, Slim SuperSoft Jeans, Trashed Skinny Jeans, Skinny Coated Jeans, Ripped Skinny Carrot Fit. Slim, slim, slim. 

Es gilt die Meggings zu verhindern

Wir brauchen wieder dringend mehr Kreativität und Varianz bei diesem essentiellen Kleidungsstück. Es kann nicht sein, dass man als Mann die Wahl zwischen dem langweiligsten Schnitt aller Zeiten oder einem Beinkorsett hat. Die Männermode darf nicht mehr jahrzehntelang auf einem einzigen Trend hängenbleiben. Einem Trend, der nicht mal am Anfang innovativ war, denn Skinny und Slim war schon Jahre bevor die Männermode ihn für sich entdeckt hat, bei der Frauenmode das Ding. Während sich aber Frauenmode im Vierteljahrestakt weiterentwickelt, Kleidungsstücke neu gedacht, ja sogar neu erfunden werden, ist die Männermode seit Anfang der Zweitausender Jahre auf diesem einen Trend hängengeblieben. 

Wer jetzt denkt, ein Ende der Skinny-Jeans sei greifbar nahe und dass der nächste Trend bestimmt etwas Wunderschönes wird, ein zeitloser Klassiker, den jeder Körpertyp tragen kann: Wach auf! Auf meiner Recherche ist mir immer wieder ein ganz bestimmter Typ „Hose“ begegnet. Einer, der vor vielen Jahren schon mal der Shit in der Frauenmode war und alle Skinny, Slim und Ripped Skinny Carrot Fits in den Schatten stellen würde: Die Meggings. Die Männer-Leggings.

Damit das nicht passiert, muss die Modeindustrie kreativer werden, klar. Aber auch wir Männer müssen endlich mutiger werden. Wir dürfen uns nicht mehr nur auf ein einziges Beinkleid festnageln lassen. Wir müssen bereit sein, etwas Neues auszuprobieren. Konventionen brechen. Es muss ja nicht gleich die Toga in der Arbeit sein, die bei näherer Betrachtung hauptsächlich unpraktisch ist. Aber vielleicht können wir ja mit dem Schottenrock anfangen. Kleiner Bonus: Wäre der Schottenrock der neue Trend, würde Manspreading ein für alle Mal aus den U-Bahnen und öffentlichen Orten verschwinden … oder die breit gespreizten Beine würden tausend Mal unangenehmer werden.

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