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Mein Musikgeschmack ist ein Sexist

Fotos: nanihta / photocase /dpa / Reuters /AFP / Collage: Daniela Rudolf

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Ich halte mich für eine Feministin. Ich schreibe feministische Texte und positioniere mich klar feministisch zu gesellschaftlichen Schieflagen. Gerade habe ich mich für eine Diskussionsgruppe angemeldet, in der es um Frauenförderung geht.

Fein. Feministin also. Trotzdem bin ich gleichzeitig eine Frauenhasserin, ich kann mich nicht länger davor verstecken. Die Misogynie gehört zu mir dazu wie meine brüchigen Fingernägel, ich muss das endlich einsehen. Zum Glück beschränkt sie sich nur auf einen Teilbereich meines Lebens: auf meinen Musikgeschmack. Letzte Woche erst machte sich dieses Ungleichgewicht wieder in meinem Bewusstsein bemerkbar, oder besser gesagt: in den heruntergeladenen Alben auf meinem Smartphone. Unter den 108 Alben für jede Lebenslage war keine einzige Band mit einer Frontfrau oder auch nur eine Sängerin. Nicht eine. (Arcade Fire zählt nicht, denn da ist die Frau auch nur notwendiges Übel im Hintergrund, das ich bestenfalls ertrage.)

Mein musikalisches Unterbewusstsein ist also ein verdammter Sexist. Ich beschließe, dass ich so nicht weiter durchs Leben gehen kann, finde mich selbst engstirnig und scheinheilig und schäme mich für mein mangelndes Interesse an Musik von Sängerinnen. Ich überlege, welche Frauenstimmen mir gefallen. Nina Simone. Nico. Grace Slick von Jefferson Airplane. Das darf ja wohl nicht wahr sein. Die Frauen, die ich gerne höre, sind entweder sehr alt oder sehr tot.

Eine meiner besten Freundinnen geht in ein paar Wochen in Berlin auf das Beyoncé-Konzert. Ich finde, Beyoncé ist ziemlich cool, und ihre Songs schreiben bestimmt Popgeschichte oder haben es schon, zumindest sagen das alle, die sich irgendwie mit Musik auskennen. Aber nie würde ich auf die Idee kommen, nach Feierabend Beyoncé durch meine Kopfhörer zu jagen, wenn ich doch gerade verträumt aus dem S-Bahnfenster sehen will. Denn dann müsste ich stattdessen bestimmt Würgegeräusche machen und meine Mitfahrer verstören, so anstrengend und unentspannt finde ich ihre gekünstelte Frauenstimme.

Mamas Schlagerabende sind schuld

Aber es liegt nicht nur an mir! Zuallererst sind, wie sollte es anders ein, meine Eltern schuld. Vor allem meine Mutter. Es ist nämlich so: Während andere Mütter ihren Kindern pädagogisch wertvolle Lieder zum Einschlafen vorsangen, gab meine Mutter mindestens einmal die Woche an meinem Bettrand flammende Darbietungen deutscher Schlager zum Besten. Ich liebte diese Abende. Die Schlagerkonzerte waren wirklich gut, mit weit mehr Verve gesungen als das jeweilige Original, und mit einer Textsicherheit, die sich von meiner Mutter auf mich übertrug.

Ich kann die Lieder noch heute auswendig. Ich wünschte nur, es wäre nicht so. Denn meine Top Drei unter diesen Liedern waren – ich war zum Zeitpunkt der Schlagerkonzerte nicht etwa vierzehn, sondern sieben oder acht, das sei zu meiner Verteidigung noch erwähnt – der „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini“, die „Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe“ und „Ich will 'nen Cowboy als Mann.“ Gut, das letzte wird zumindest von einer Frau gesungen, aber es geht in dem ganzen Lied darum, dass sie unbedingt heiraten soll oder will, und bitte einen Cowboy, weil die so gut küssen können. Nicht gerade emanzipiert.

Ein ausgeglichenes, selbstbestimmtes Frauenbild wurde in den Kammerkonzerten, mit denen ich sozialisiert wurde, also nicht gerade propagiert. Ich weiß natürlich, dass es meiner Mutter weniger um den Text als um die Melodie ging. Und dass sie die Lieder einfach auswendig konnte und meine Gier nach Vorsingen sich mit ihrem Gedächtnis für dämliche Schlagertexte ganz wunderbar traf. Dass es da Textzeilen gab wie: „Die kleine süße Biene mit der Tüllgardine vor dem Babydollgesicht“, oder „Suleika, Suleika heißt die kleine Maus. So heißt die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe, und genau so sieht sie aus“? Geschenkt.

Dass ich nicht zu einer komplett frauenverachtenden, sexistische Sprüche klopfenden Idiotin herangewachsen bin, die die Kolleginnen auf dem Flur mit „Hey, Zuckerpuppe“, anspricht, ist dann wohl doch der restlichen Erziehung meiner Eltern zu verdanken. Die Ausflüge in die frauenverachtende Schlagerwelt beschränkten sich wie gesagt nur auf eine minimale Zeitspanne. Und doch wurde vielleicht genau in dieser Zeit mein musikalisches Frauenbild geprägt: Frauen wollen Cowboys heiraten, erotisch tanzen, klitzekleine Bikinis tragen. Alles in allem ziemlich langweilig, egal ob sie es nun waren, die besungen wurden oder selbst am Mikrofon standen. Ich kann Frauen in der Musik seitdem einfach nicht ernstnehmen.

Ich denke heute, dass ich ziemlich viel verpasst habe und noch nachholen muss

Als Teenager fühlte ich mich mehr von „Boys don’t cry“ angesprochen als von „Just a girl“ von Gwen Stefani, das meine Freundinnen hörten.  Nachdem mein erster Freund sich von mir getrennt hatte, hörte ich „I will survive“ in der Version von John McCrea und nicht das Original von Gloria Gaynor. In einem meiner Lieblingslieder geht es darum, dass der Sänger eine Frau mit einem kurzen Rock und einer langen Jacke „haben will“.  Das widerspricht wirklich jedem moralischen Impuls in mir, und trotzdem liebe ich dieses Lied und singe es lauthals mit, wenn es auf einer Party läuft. Ich frage mich jedes Mal, wenn ich auf den Text höre, ob das mein Ernst ist, aber dann tröste ich mich damit, dass es ironisch gemeint sei. Das ist ohnehin meine Ausrede für alles. Besser macht es das nicht.

Mein Vater sang mir übrigens kaum etwas vor, und wenn, dann war es immer das Moritat von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper, und den Haifisch ersetzte er durch meinen Namen. Literarisch hochwertig, keine Frage, aber pädagogisch? Eigentlich kann ich dankbar sein, dass ich nicht verkorkster aus dieser Beschallung herausgegangen bin.

Jedenfalls wurde ich älter und die Männerstimmen auf meinem Discman, iPod oder eben auf dem Handy häuften sich zu einer einzigen Testosteronie, Cage the Elephant, Tom Waits, die Black Keys. Schreiende, leidende Männer, die sich anhören, als hätten sie gerade ihr Rasiermesser gefrühstückt, Männer, die Gitarren und Schlagzeuge und Bässe spielen und großartige Songs schreiben, die ich ernst nehmen und verehren kann. Zum Kotzen.

Ich denke heute, dass ich ziemlich viel verpasst habe. Wie unfassbar viel ich noch nachholen muss. Überhaupt bin ich zu alt, um mich hinter küchenpsychologischen Erklärungen für meine eigene, sexistische Wahrnehmung zu verstecken. Ich fange gleich heute Abend damit an, mir Sängerinnen zu suchen, deren Musik mir gefällt; Sängerinnen, die sich anhören, als hätten sie mit Glasscherben gegurgelt, die Texte darüber schreiben, dass sie Männer in umgekrempelten Hosen und Jeanshemden „haben wollen“. Das wird fantastisch. Ich muss nur vorher das neue Arctic Monkeys Album nochmal hören, da habe ich noch nicht alles aufgesaugt. Aber dann, sofort.

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