Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Wie Capital Bra erfolgreicher wurde als die Beatles

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Dezember 2015. Capital Bra sitzt in einer Berliner Shisha Bar, Gucci Cap auf dem Kopf, und blickt mit viel zu ernsten Augen durch den süßlich riechenden Traube-Minze-Rauch. Er ist 21 Jahre alt und sagt: „Wenn es mit Musik nicht klappt, mache ich eben wieder Sachen auf der Straße, Bra.“ Das R rollt er dabei lange. In wenigen Wochen wird sein Debüt-Album „Kuku Bra“ erscheinen. Ich führe mit ihm gerade sein erstes richtiges Interview. Jemand fragt ihn über sein Leben aus – was soll das? „Warum willst du das wissen, Bra?“, antwortet er immer wieder auf Fragen und wirkt dabei nervös. Zwei Freunde sind zu seiner Unterstützung mitgekommen, immer wieder blickt er fragend zu ihnen rüber.

Andererseits – wenn die Menschen sich jetzt auf einmal für Vladislav Balovatsky, so Capital Bras richtiger Name, interessieren – warum nicht auch ein bisschen liefern? Capital Bra lebte als Kind in Sibirien und der Ukraine. Danach folgten Plattenbau in Ostberlin und vom SEK eingetretene Türen. „Wegen Kleinigkeiten“, sagt Capital Bra. Was das heißt, will er nicht genauer sagen. Dafür sagt er, dass er keine Lust auf Stress habe, aber seine Pistole der sowjetischen Marke Makarow sehr schnell holen könne, wenn es drauf ankomme. Ist das ernst gemeint? Capital grinst vieldeutig. Als Provokation eines aufstrebenden Straßenrappers reicht’s jedenfalls.

Ob es mit seiner Musik tatsächlich was wird, ist damals noch völlig unklar. Bis zu diesem Dezembertag hat Capital Bra einige Musikvideos veröffentlicht und einmal bei der Berliner Battle-Veranstaltung „Rap am Mittwoch“ gewonnen. Dort geht es darum, einen Gegner auf der Bühne möglichst krass, aber auch humorvoll zu beleidigen. Capital Bra ist gut darin. Trotzdem ist er zu dieser Zeit ein Untergrund-Rapper. In der Szene bekannt, darüber hinaus nicht. Die großen Stars sind andere. Und wenn sich das nicht bald ändert, dann geht es für ihn vermutlich einfach weiter mit den „Kleinigkeiten“, wegen denen das SEK Türen eintritt.

Auf Instagram folgen ihm fast drei Millionen Menschen – Dieter Bohlen nur halb so viele

 

März 2019. Capital Bra ist aufgebracht. Er filmt sich mit seinem Smartphone dabei, wie er durch seine Wohnung läuft. Eine zweistöckige Luxuswohnung in Berlin-Mitte, kein beengter Raum im Randbezirk-Plattenbau. Auch die Türen sind noch ganz. Capital Bra filmt seinen großen Fernseher, seinen Kleiderschrank mit Anziehsachen von Gucci, seine beiden spielenden Kinder, geht irgendwann vor die Tür und filmt seine teuren Autos, einen Audi RS 6 und einen Mercedes AMG. Dieter Bohlen hat ihn beleidigt. Er hat in einem Interview gesagt, Rapper wie er seien gar nicht reich und würden nur posen. Ihre Musik würde bald niemanden mehr interessieren. „Du Schwanz!“ sagt Capital Bra in seiner Insta-Story über Bohlen. Die Welt soll wissen, dass er es geschafft hat. Auf Instagram folgen ihm fast drei Millionen Menschen, Dieter Bohlen nicht mal halb so viele. Er will eine Reaktion von Bohlen, Capital Bras Fans kommentieren tausendfach unter seine Bilder. Bohlen kapituliert, entschuldigt sich öffentlich, die Bild-Zeitung bringt mehrere Storys über den angeblichen Beef. Wenige Tage später erscheint ein Remake des Modern Talking-Klassikers „Cheri, Cheri Lady“ von Capital Bra.

April 2019: Capital Bra ist „erfolgreicher als die Beatles“, wird geschrieben. Gerade ist sein „Cheri, Cheri Lady“-Remake auf Platz eins der deutschen Singlecharts eingestiegen. Es ist sein zwölfter Nummer-Eins-Song innerhalb der letzten zwei Jahre. Damit hat er in Deutschland, was die Chartplatzierungen angeht, die Beatles übertrumpft. Seit Dezember 2015 hat Capital Bra fünf Alben veröffentlicht, dazu unzählige weitere Songs, insgesamt über fünf Stunden Musik. Er ist 24 Jahre alt und einer der erfolgreichsten Rapper Deutschlands. Die „Kleinigkeiten“, mit denen er früher Geld verdienen lässt, sind in weite Ferne gerückt.

Wie konnte sich das so schnell ändern? Was ist der Reiz an diesem Rapper, der ja irgendwas besser machen muss als andere Straßenrapper?

Hört man sich bei Menschen aus der Musikindustrie um, die schon mal was mit Capital Bra zu tun hatten, erfährt man: Er ist ungeduldig, setzt seinen Willen durch. Wenn es nicht nach ihm läuft, geht er halt woanders hin. Capital war seit Beginn seiner Karriere bei unzähligen Labels unter Vertrag, bei einigen veröffentlichte er nicht mal ein Album. Zuletzt gab es den berühmten Bruch mit Bushido, bei dessen Label „Ersguterjunge“ er ein halbes Jahr lang unter Vertrag gestanden hatte. Capitals auf Instagram veröffentlichte Begründung: Bushido arbeite mit der Polizei zusammen und das sei nicht mit Capitals Vorstellungen von Loyalität vereinbar. Viele Medien berichten über die Geschichte, die Bild-Zeitung dokumentiert jede neuste Wendung ganz genau. Der Name „Capital Bra“ ist jetzt im Mainstream angekommen. Tatsächlich ist die Situation sehr viel komplizierter, als berichtet wird. Es geht um einen Streit zwischen Bushido und seinem Ex-Unterstützer Arafat Abou Chaker und um viel Geld. Denn sowohl Bushido als eben auch Arafat haben versucht, sich den Namen „Capital Bra“ als Marke zu sichern. Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist das einsehbar. Capital Bra hat dagegen Widerspruch eingelegt.

„Ich bin ein anstrengender Charakter, ich nerve dich. Ich mache irgendwelche Faxen. Aber ich bin loyal“

Bei einem Treffen Anfang Februar 2019 möchte Capital Bra über Bushido nicht so richtig sprechen, regt sich dann doch über ihn auf. Sagt, dass er doch ausgesorgt habe, dass es deshalb keinen Sinn ergebe, mit der Polizei zu arbeiten. Dann sagt er noch: „Ich bin ein anstrengender Charakter, ich nerve dich. Ich mache irgendwelche Faxen. Aber ich bin loyal. Ich stehe zu 100 Prozent hinter den Leuten, mit denen ich arbeite. Manchmal bekomme ich das nicht zurück.“ Mit diesen Erwartungen an sein Gegenüber scheitert er oft und daran scheitern auch seine Partner. Immer wieder gibt es Streit. Auf die Frage, ob es denn nach all den Label-Wechseln und Verwerfungen Künstler und Freunde gebe, die während seiner Karriere immer an seiner Seite waren, antwortet er nach kurzem Überlegen knapp: „Nein.“ Pause. „Ich habe keinen.“ Sein Blick ist nach unten gerichtet. Stille. Der Moment ist erdrückend.

Capital Bra ist sein eigenes Team, auf jede Verwerfung folgt die Flucht nach vorn. Irgendein Label will immer an seinem Erfolg teilhaben. Nach Ersguterjunge kam Universal. Von einem sechsstelligen Vorschuss ist die Rede. Capital Bra ist unberechenbar und hat den unbändigen Willen, weiterzukommen. Er ist so erfolgreich, weil er macht, was er will. Um ihn zu interviewen, muss man ihm einfach per Whatsapp schreiben. Zum Zeitpunkt des Interviews hat er keinen Manager. Das ist ungewöhnlich für jemanden, der in einem so professionalisierten Business Erfolg hat.

Aber auch Capital Bras Musik ist natürlich Grund für seinen Erfolg. So schnell, wie er seine Labels wechselt, wechselt er auch seinen Musikstil. Er kann irre Party-Songs aufnehmen, in denen er hauptsächlich schreit, irgendwann unmenschlich klingt und etwas über Gucci, Kokain und Berlin ins Mikrofon lallt. „Nur noch Gucci Bratan, ich trag nur noch Gucci“ oder „Press, Press, Press, Bratan, Press, Press“ rappt er dann. Er kann aber auch düstere Balladen aufnehmen, in denen er richtig singt, sich mit seiner inneren Zerrissenheit auseinandersetzt, mit den Eltern seiner Frau, die ihn trotz des Erfolgs noch immer nicht akzeptieren. Natürlich ist auch Ausschussware dabei. Viele Songs sind schnell vergessen. Doch einige Hits bleiben, laufen wochenlang im Radio.

„Ich fahre oft allein mit dem Auto rum und höre meine Musik. Durch ganz Berlin. Am liebsten nachts“, sagt Capital Bra bei unserem Treffen im Februar. Wie zum Beweis rasen wir danach schweigend in seinem sehr teuren Auto durch Berlin, es läuft seine eigene Musik, düstere Balladen. Capital Bra wirkt in diesem Moment niedergeschlagen und müde. Bei einem Fotoshooting kurz zuvor hatte er noch zu seinen eigenen aggressiveren Songs getanzt, war herumgesprungen und hatte irgendwann gesagt, dass es da ein Problem gebe. „Ich habe in den meisten Studios in Berlin Hausverbot.“ Als Antwort auf die Frage, warum das denn so sei, hatte er nur gegrinst. „Kleinigkeiten“ wahrscheinlich.

„Bei denen ist das Herz noch rein. Die schreiben dir nicht, weil sie was wollen, sondern weil sie dich feiern“

Aber eigentlich ist das mit dem Hausverbot nicht wirklich ein Problem. Notfalls veröffentlicht er einige seiner Songs einfach selbst auf Youtube, unter dem Pseudonym „Joker Bra“, für das er mittlerweile auch einen Deal bei Universal, einem der größten Musiklabels der Welt, unterschrieben hat. Capital Bra hätte ihn nicht nötig gehabt. Wer braucht eine professionelle Infrastruktur, wenn er so viele Fans hat wie er? Sein Song „Prinzessa“ ist so ein Beispiel. Den haben seine Fans und befreundete Rapper über die sozialen Netzwerke so lange gepusht, bis er auf Platz eins der Charts landete. Spotify hatte den Song zuvor nicht in seinen gut geklickten Playlists unterstützt, weil er zuerst auf Youtube, nicht auf Spotify hochgeladen worden war. Beide Unternehmen stehen in Konkurrenz. Doch Capital Bra gibt den Ton an, nicht die Labels oder die Streaminganbieter.

Neben seiner Musik, seinem Arbeitsethos und seiner Unberechenbarkeit sind die sozialen Netzwerke die vierte Säule von Capital Bras Erfolg. Fast jeden Tag begrüßt er seine Fans auf Instagram mit „Hallo Bratans, Bratinas und Braturas“, macht ein paar Witze, dokumentiert sich im Studio, in seiner Wohnung, in seinem Auto. Er spricht von „wir“ und bedankt sich nach jedem Erfolg bei seinen Fans. Manchmal, sagt er, antworte er auch mal Fans auf Instagram-Nachrichten. „Ich antworte gerne Kindern. Bei denen ist das Herz noch rein. Die schreiben dir nicht, weil sie was wollen, sondern weil sie dich feiern. Ich facetime mit denen kurz, und für die ist das ein Erlebnis. Das ist doch schön!“ Kurz darauf hält er sich wirklich sein Handy vors Gesicht, beginnt reinzusprechen, grüßt irgendjemanden. Es ist eine konstruierte Nähe, insbesondere, wenn man seine andere, stille Seite von der gemeinsamen Autofahrt kennt. Aber eine Nähe, die funktioniert. Capital Bras Fans danken ihm dafür mit Klicks. Sie sorgen dafür, dass er erfolgreicher ist als die Beatles. Die kennen Capitals Fans ohnehin nicht. Dafür sind sie zu jung.

19 aus 2019

Dieser Text wurde als einer der „19 aus 2019“-Texte ausgewählt, er ist also in diesem Jahr eine der Lieblingsgeschichten der Redaktionen von jetzt und der Süddeutschen Zeitung. Die 19 herausragenden Texte werden von Weihnachten bis Silvester auf SZ.de zu finden sein. Zum ersten Mal wurde dieser Text am 8. April 2019 veröffentlicht.

  • teilen
  • schließen