- • Startseite
- • Musik
-
•
Kollegah soll Fans mit Life-Coaching abzocken
Marco Konopka ist ein Durchschnittstyp. Der 27-Jährige kommt aus Seevetal bei Hamburg. Seine Ausbildung hat er abgebrochen, zurzeit arbeitet er als Logistiker. Marco wohnt noch bei seinem Vater – und findet sein Leben gerade ziemlich beschissen. Es läuft einfach nicht. Deshalb sucht er sich einen Life-Coach. Und zwar nicht irgendeinen, sondern Kollegah, einen der kommerziell erfolgreichsten deutschen Rapper. Marco nimmt an dessen sogenanntem „Alpha Mentoring“ teil. Circa 150 vorwiegend junge Männer zahlen dabei etwa 2000 Euro, um sich von dem Musiker Tipps für schwierige Lebenslagen zu holen. Vergangenen Samstag fand das „Alpha Meeting“, ein Zusammentreffen Kollegahs mit 50 Teilnehmern, in Düsseldorf statt.
Einer war da allerdings nicht dabei: Marco. Den haben sich die Journalisten Johann Voigt, Paul Schwenn und Daniel Drepper nämlich nur ausgedacht – und vor Ablauf der Widerrufsfrist den Coaching-Vertrag gekündigt. Die Zeit hat ausgereicht, um einen genauen Blick auf Kollegahs Geschäftsmodell zu werfen: Kollegah zocke laut Recherchen von Vice und BuzzFeed News gemeinsam mit einer Beratungsfirma seine Fans ab und erniedrige junge Menschen, zudem verbreite er Verschwörungstheorien. Bei den Teilnehmern, die häufig Brüche in ihren Lebensläufen haben und nach Orientierung suchen, fällt eine solche Masche auf fruchtbaren Boden.
Die jetzt-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von x angereichert
Um deine Daten zu schützen, wurde er nicht ohne deine Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von x angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit findest du unter www.swmh-datenschutz.de/jetzt.
Dieser externe Inhalt wurde automatisch geladen, weil du dem zugestimmt hast.
„Ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt haben wir uns, als auf Kollegahs Youtube-Kanal ‚Felix Blume‘ das Video ‚ALLES AUF NULL‘ veröffentlicht wurde“, erzählt Johann Voigt. „Er redet da recht wirres Zeug. Wir haben etwas recherchiert und dann das Mentoring-Programm und die Website dazu gefunden.“
„Aus journalistischer Sicht fanden wir zwei Sachen spannend: Zum einen Kollegahs Selbstoptimierungstrip, den er seit Jahren durchzieht. Und zum anderen seinen Hang zu Verschwörungstheorien“, sagt Paul Schwenn.
Felix Blume, wie Kollegah bürgerlich heißt, hat schon 2018 das Buch „Das ist Alpha!: Die 10 Boss-Gebote“ veröffentlicht. Es propagiert den Weg vom Lauch zum echten Boss. Ein Mentoring-Programm ist also nur der logische nächste Schritt in diesem Kosmos. Die Teilnehmer bekommen sogar noch Kollegahs Fitnessprogramm, die „Bosstransformation“, kostenlos dazu. Der Auswahlprozess für die angehenden Alphas wird auf der Seite als elitär dargestellt. Trotzdem haben Johann und Paul es geschafft, einen Undercover-Kandidaten einzuschleusen.
„Es gibt immer nur sehr kurze Bewerbungsphasen, das ist eine Strategie der künstlichen Verknappung“, erzählt Johann. „Wir wollten aber nicht so lange warten und haben uns als Marco Konopka einfach initiativ beworben.“ Mit Erfolg. Die Beratungsfirma Baulig Consulting, Kollegahs Partner, sagten dem fiktiven Marco lediglich, er solle nicht weitererzählen, dass er auf diesem Weg ins Programm gerutscht sei.
Der Recherche zufolge wird enormer Druck auf die Teilnehmer ausgeübt
Bei der Konzeption ihres Fake-Kandidaten haben die beiden Journalisten an alles gedacht: Sie haben für ihre Figur Social-Media-Profile sowie E-Mail-Adressen erstellt und sich eine neue Handynummer zugelegt. Sie haben mögliche Bewerbungsfragen und zugehörige Antworten diskutiert, das Verhältnis Marcos zu seinen Eltern, seinen Geschwistern oder seinem Chef durchdacht und ihrem Charakter tiefliegende Probleme wie fehlendes Selbstbewusstsein oder Unzufriedenheit im Job zugeschrieben. Auch wenn gerade die persönliche Seite Marcos, seine Probleme und individuellen Bedürfnisse, für die „Coaches“ rund um Kollegah laut ihren Berichten keine große Rolle spielten.
Zu zweit protokollierten sie alle Telefonate und Video-Anrufe. Was in der privaten Facebook-Gruppe zum Programm geschah, hielten sie mit Screenshots fest. Kollegah berät seine Alpha-Follower dort in regelmäßigen Abständen in Live-Chats. Hat der Boss keine Zeit für eine Audienz, nehmen Mitarbeiter von Baulig Consulting das Zepter in die Hand. Laut Recherche üben sie enormen Druck auf die Teilnehmer aus. Der fiktive Charakter Marco sei immer wieder zum teuren Vertragsabschluss gedrängt worden und habe während eines Gesprächs mit einem Baulig-Mitarbeiter 17 Mal sagen müssen, dass er keinen Vertrag abschließen möchte. Zudem fielen immer wieder Beleidigungen, wonach Marco „keine Eier“ habe.
„Die Tipps von Kollegah sind nicht alle totaler Quatsch“, sagt Paul, „er rät den Leuten zum Beispiel, Sport zu machen und früh aufzustehen. Aber 2000 Euro ist das definitiv nicht wert. Das sind, unserer Meinung nach, Sachen, die dir auch dein Freundeskreis sagen kann.“ Kollegah hat das Modell des Online-Life-Coachings nicht erfunden. Seit Jahren gibt es diverse zwielichtige Anbieter. Wenn aber eine derart polarisierende und in der Öffentlichkeit stehende Person ihren Status tatsächlich in diesem Maße ausnutzen würde, wäre das bedenklich. Unter anderem behauptet Kollegah laut dem Bericht gegenüber den Seminarteilnehmern, die Weltordnung sei ein „Pyramidensystem“, an deren Spitze Banken und Bilderberger stünden, die von Satan höchstpersönlich Instruktionen bekämen. Bei psychisch instabilen und nach Halt suchenden Teilnehmern können sich krude Theorien wie diese schnell verfangen.
Kollegah bezeichnete den Vice- und BuzzFeed-Artikel als „Hetzbericht“
Die beiden Journalisten wollen mit ihrer Recherche aber nicht die Teilnehmer bloßstellen. „Ich glaube, es ist nicht sinnvoll, die Leute als Freaks darzustellen“, sagt Paul. „Wenn man als Fan die Chance sieht, seinem Star nah zu sein, dann geht man so einem Modell eher auf den Leim. Es entsteht ein massiver Konkurrenzdruck, als würde man sich an einer Elite-Uni bewerben. Alle sind dann glücklich, wenn sie aufgenommen werden.“
Auf die Anfrage von Vice und BuzzFeed News antworteten Kollegah und Baulig Consulting fast wortgleich: Preise und Leistungen des Programms seien marktüblich und konkrete Vorwürfe gegen ihre Mitarbeiter würden nun intern untersucht. Kollegah selbst bezeichnete den Vice- und BuzzFeed-Artikel in einer Insta-Story als „Hetzbericht“, auf den man nicht reinfallen solle. Außerdem lud er auf seinem Youtube-Kanal ein Video hoch, in dem Männer, die am „Alpha Mentoring“ teilgenommen haben sollen, von den Erfolgen, die sie dadurch erzielt haben, berichten.
Am Donnerstagabend legte Kollegah in seiner Insta-Story noch mal nach – von Einsicht war dabei wenig zu spüren: „Ich bin ja nicht der größte Freund der Medien. Aber trotzdem: Im Subtext kommt hier, glaube ich, schon durch, dass das etwas extrem Geiles ist für junge Männer, die etwas erreichen wollen im Leben (...).“
Anmerkung der Redaktion: Autor Johann Voigt schreibt als freier Journalist auch regelmäßig für jetzt.