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"Wir sind als weiße Rapper mitten in der Debatte"

Foto: Dal Zennaro / dpa

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Ein Warenhaus in der Hafengegend von Seattle. Kein Name an der Klingel, kein Firmenlogo am Briefkasten. Hier ist das Hauptquartier der Rapper Macklemore und Ryan Lewis, deren Album “This Unruly Mess I’ve Made” am Freitag erscheinen wird. Ben Haggerty, das ist der bürgerliche Name von Macklemore, fläzt auf einer Couch im Obergeschoss. Ryan Lewis liegt daneben und reibt sich die Füße. Es ist 22 Uhr, die beiden sehen müde aus. 

jetzt: Ihr seid seit dem Album The Heist ein Seismograph für die Befindlichkeit der amerikanischen Gesellschaft. Also: Was ist los da?

Ryan Lewis: Wenn ich ehrlich bin, dann war meine Welt in den vergangenen Wochen ziemlich klein. Wenn ein neues Album erscheint, dann gibt es so viele Sachen, um die man sich kümmern muss: Videos, Tour, Shows, Merchandising. Das hört sich jetzt nicht besonders aufregend an.

Macklemore: Man läuft Gefahr, sich nur noch um sich und dieses Album zu kümmern. Man darf die Dinge, die da draußen in der Welt passieren und so viel größer sind als wir selbst, nur ja nicht vergessen.

Verfolgt ihr den Präsidentschafts-Wahlkampf?

Macklemore: Ich habe mir bislang nur die Debatten der Kandidaten der Demokraten angesehen. 

Warum nicht die der Republikaner?

Macklemore: Dafür bin ich noch nicht bereit!

Noch nicht einmal zur Unterhaltung?

Macklemore: (lacht) Was? Wie soll das gehen?

Mit einer Flasche Wein kann so eine Debatte überaus unterhaltsam sein…

Macklemore: Das könnte tatsächlich funktionieren. Aber es ist eine gefährliche Form der Unterhaltung. Das ist ein verdammter Horrorfilm! 

Aber ihr seid interessiert…

Macklemore: In einem Wahljahr interessiere ich mich für Politik – ich bin gerade dabei, einen Zugang zu diesen Debatten und den Wahlen zu finden. Aber weißt du was? Ich finde keine Möglichkeit, mich dazu nicht negativ zu äußern. (denkt lange nach) Das macht mich echt fertig, weil ich nicht negativ drauf kommen möchte. Können wir lieber ein andermal über Politik reden?

Versuchen wir es mit einem politischen Song: “White Privilege II” ist bereits veröffentlicht. Was hat sich seit dem Vorgänger von vor zehn Jahren verändert?

Macklemore: Zunächst einmal meine Position in dieser Welt. Vor zehn Jahren habe ich das alles – Gesellschaft und auch Kultur – vom Standpunkt eines unbeteiligten Fans aus wahrgenommen. Jetzt habe ich eine Plattform, es gibt Zuhörer, ich bin ich als weißer Rapper mittendrin in dieser Debatte um das kulturelle Wertgefüge. Ich muss hinterfragen, inwiefern ich da hineinpasse.

In der ersten Strophe geht es darum, wie sich ein Weißer fühlt, wenn er an den Protesten für #BlackLivesMatter teilnimmt. Er will unterstützen, helfen, sich solidarisch zeigen – aber er weiß nicht, ob er auch brüllen darf. Geht es da nicht eher um “White Guilt”, also um Schuldgefühle?

Macklemore: Das sehe ich anders. Es geht um systematische Unterdrückung und um die Vorherrschaft der Weißen. Das ist die Grundlage aller Themen, die in diesem neun Minuten langen Lied erwähnt werden. Natürlich kann man das alles abtun und behaupten: “Ach guck’, jetzt fühlt er sich schuldig, weil er weiß ist!” Diese Einstellung ist gerade für weiße Menschen recht einfach. Wenn die nun mit dem Finger auf mich zeigen, dann müssen sie nicht darüber reden, was weiße Vorherrschaft tatsächlich bedeutet.

Du sprichst da ein großes Thema an, eröffnest die Debatte aber mit einem persönlichen Erlebnis.

Macklemore: Ich will zeigen, warum ich mich überhaupt an dieser Diskussion beteilige: wegen der Nacht, in der Darren Wilson nicht angeklagt wurde (Anm. d. Red.: Der weiße Polizist hatte in Ferguson einen 18 Jahre alten Afroamerikaner erschossen und wurde dafür nicht belangt). Ich musste an genau diesem Punkt ansetzen, weil ich damals nicht wusste, ob ich einen Satz wie “Black Lives Matter” sagen darf. Das war der Punkt, an dem ich vor eineinhalb Jahren war. 

Und wo bist du jetzt?

Macklemore: Ich will nicht so tun, als hätte ich all die Antworten auf diese Fragen…

Ryan Lewis: … aber auch nicht so tun, als wüssten wir nicht, dass wir uns als weiße Rapper etwas aneignen, das in einer anderen Kultur wurzelt. 

Macklemore: Der Spruch „Black Lives Matter“ dient als roter Faden für dieses Lied und eine Debatte, die gerade erst begonnen hat.

Warum muss so eine Debatte im Jahr 2016 überhaupt noch geführt werden?

Ryan Lewis: Wir haben leider gerade erst begonnen, uns mit weißer Vorherrschaft zu beschäftigen. Dieses Land funktioniert aufgrund einer Ideologie so: Die Weißen oben, die Schwarzen unten und alle anderen dazwischen. „White supremacy“ ist keine rassistische Idee irgendwelcher Extremisten, sondern tief in dieser Gesellschaft verwurzelt. Das anzuerkennen, auch noch öffentlich, das ist ziemlich neu. Es geht also weniger darum: „Warum reden wir noch immer darüber?“ Sondern vielmehr: „Wir haben endlich angefangen, uns darüber zu unterhalten!“ 

 

Es hat heutzutage den Eindruck, dass die Leute einander nicht zuhören – sondern nur darauf warten, bis sie selbst wieder dran sind mit reden…

Macklemore: Wir müssen es dennoch versuchen! Unsere Fans sind größtenteils weiße Jugendliche. Die müssen wir dazu bringen, dass sie sich informieren, dass sie anderen Menschen zuhören, dass sie sich beteiligen - und dass sie für sich einen Weg finden, diesen institutionalisierten Rassismus zu beenden. Es ist unsere Pflicht als Künstler, unsere Fans zu dieser Debatte einzuladen.

 

Der schwarze Rapper Gyasi Ross hat mit dem Lied „White privilege III“ geantwortet und euch aufgefordert, die Klappe zu halten und lieber ihm das Mikrofon zu geben. Keine schöne Diskussionskultur…

Macklemore: Ich kann nichts über diesen Song sagen, weil ich ihn noch nicht gehört habe. Es gab zahlreiche Reaktionen und Antworten auf „White Privilege II“. Das ist Amerika: Es gibt unterschiedliche Perspektiven, die in jeder Debatte vorkommen dürfen und müssen. Es ist wichtig für einen offenen Diskurs, andere Meinungen zuzulassen.

 

Dennoch gibt es einen permanenten Zustand des Aufregens darüber, was ein anderer gesagt oder getan hat…

Ryan Lewis: Das hat viel mit der Art zu tun, wie wir heutzutage miteinander kommunizieren. Jeder hat die Möglichkeit, seine Meinung öffentlich kundzutun – aber kaum jemand muss für seine Aussagen tatsächlich Verantwortung übernehmen. Wer einen Song wie „White Privilege II“ veröffentlicht, der muss sich als Künstler ein dickes Fell zulegen. Man bekommt viel mehr Feedback als noch vor 20 oder gar 30 Jahren. Aber das ist die Welt, in der wir leben. Wir müssen lernen, damit umzugehen.

Lasst uns über ein anderes Lied sprechen: „Kevin“.

Macklemore: Kevin ist ein Freund von mir, der an einer Überdosis Schmerzmitteln gestorben ist. Der Song handelt neben der persönlichen Geschichte davon, wie wir in Amerika stets nach externen Möglichkeiten suchen, um mit Schmerzen, Angst oder Panikattacken umzugehen.

 

Weil man sich dann nicht mit sich selbst beschäftigen muss?

Macklemore: Ganz genau. Eine komplette Industrie macht nichts anderes, als Menschen zu betäuben. Kevin ist leider nicht der erste Mensch, den ich an eine von der Pharmaindustrie bedingte Sucht verloren habe – und er wird auch nicht der letzte sein.

 

"Unsere Gesellschaft hat ein Problem, mit sich selbst zufrieden zu sein"

 

Eine Pille hat den Vorteil, dass jemand anders verantwortlich ist. Sie wurde von einem Arzt verschrieben und gilt als Arznei.

Ryan Lewis: Und damit als Rechtfertigung, Drogen zu nehmen. Daraus entsteht ein Dominoeffekt: Nimm dieses Mittel, kombiniere es mit einem anderen, als Reaktion darauf nimmst du das hier, gegen die Nebenwirkungen das hier und so weiter. Durch den einfachen Zugang ist eine Epidemie ausgebrochen.

Macklemore: Unsere Gesellschaft hat ein Problem, mit sich selbst zufrieden zu sein – und es gibt eine sehr lange Liste an Drogen, die wir dagegen nehmen können: Alkohol, Crack, Kokain, Meth, Marihuana, Arzneimittel. Wir betäuben uns und müssen uns dann nicht mehr darum kümmern, wer wir wirklich sind. 

 

Das Leben ist einfacher so…

Macklemore: Sehr viel einfacher. Doch langfristig gibt es Nebenwirkungen. Das Problem dabei ist: Das gesellschaftliche Stigma für diese Drogen ist jeweils unterschiedlich. Wenn ich sage „Crackhead“, dann haben Sie sofort ein Bild im Kopf. Bei „Kokain“ oder „Meth“ denkst du wieder an ganz andere Sachen. Bei Arzneimitteln denkt doch kaum jemand sofort an Sucht.

 

Weil sie legal sind?

Ryan Lewis: Genau darin besteht diese Heuchelei! Der gemeinsame Nenner all dieser Dinge ist doch, dass Menschen davon abhängig werden können. Ich etwa bin seit Jahren abhängig von Zigaretten, ich trinke Alkohol und rauche hin und wieder mal Marihuana. Ich habe aber durch die Abhängigkeit von Ben (Anm. der Red: von Schmerzmitteln und Marihuana) und anderen Leuten hier im Studio gelernt, was Sucht wirklich bedeutet. 

 

Macklemore, du warst abhängig von Medikamenten und Marihuana, nach dem Erfolg von The Heist wurdest du rückfällig. Du gehst sehr offensiv mit deiner Sucht um. Warum?

Macklemore: Glaub mir, ich würde jetzt auch lieber mit dir über Musik sprechen als über Sucht. Ich kann jedoch meine Probleme nicht in Quarantäne packen und so tun, als würde da nicht ein riesiger Haufen Scheiße rumliegen. Wenn es einen Gedanken gibt, der sich durch meine Texte zieht, dann doch der, dass ich immer ehrlich bin. Ich sage immer, was ich denke, was ich fühle, was mich bewegt. Wie ehrlich wäre ich als Künstler, wenn ich genau das aussperren würde? 

 

Ryan Lewis: Lass mich eines dazu sagen: „Inhale Deep“ aus dem Jahr 2005 war der Song, der Ben landesweit über die Verbreitung auf Youtube bekannt gemacht hat. Ich kam ja erst später dazu. Ben war schon immer ehrlich in seinen Songtexten, doch mit einem Lied über deine eigene Sucht wirst du plötzlich so verwundbar wie der Typ, der am Merchandising-Stand vor dir steht. Ich glaube, dass Ben zwei Mal an dieser Gabelung stand: Wie wichtig ist ihm Musik? Und weil die Leute zu schätzen wissen, dass er immer ehrlich ist, hat er seine Bestimmung gefunden.

 

Müsst ihr nüchtern sein, um Musik machen zu können?

Macklemore: Ja, unbedingt.

Ryan Lewis: (lacht) Ich nicht! Wobei: Ich habe als Künstler auch noch nichts Großartiges erreicht. Vielleicht sollte ich das mit dem Nüchternsein auch mal versuchen.

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