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Mit 16 habe ich Böhse Onkelz gehört

Foto: dpa

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Mein Lieblinsgslied von den Böhsen Onkelz war „Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt?“. Das hatte, glaube ich, sehr viel damit zu tun, wie ich mit 16 drauf war: pubertierend und übermäßig emotional, mit starker Tendenz ins Negative. Was in diesem Alter ja heißt: zu Unglück und Weltschmerz. Ich war irgendwie noch nicht gemacht für so viele Gefühle, die ich plötzlich dauernd haben musste. Gefühle wegen Jungs und wegen des Kampfs zwischen meiner Kinder-Version und der Erwachsenen-Version, die beide gleichzeitig da waren, sodass meine Proportionen völlig verkehrt waren, körperlich, aber auch im Gehirn. Und darum war ich empfänglich für Liedzeilen wie diese hier:

„Ich zeige Dir, was es heißt, allein zu sein / Ich trinke Tränen, schwarzen Wein / Ich folge Dir tief, tief in die Nacht / Bis in den Abgrund Deiner Seele steige ich hinab / Ich suche nach der, die mich zum Weinen bringt / Liebe macht süchtig, betrunken und blind / Ich suche nach dem Weg aus der Leere / Die mein Leben bestimmt.“ 

Ja, wirklich: Das hat mich damals berührt. Es hat etwas mit mir gemacht. Diese so wenig subtile Sprache hat mir wohl dabei geholfen, mit meinen so wenig subtilen Gefühlen umzugehen. Mit diesem großen Frust und dieser seltsamen Wut. Mit dem Wunsch, jetzt alle mal anzuschreien und sehr, sehr dramatisch zu sein. Und die raue Stimme des Onkelz-Sängers Kevin Russell, die immer nach Zerstörungswut und „Habe eben einige Rasierklingen gegessen!“ klang, passte sehr gut zu meinem Inneren, dass sich auch nach „Habe eben einige Rasierklingen gegessen!“ anfühlte.

Ich habe lange nicht mehr daran gedacht, dass ich 2002 das Böhse-Onkelz-Album „Viva los Tioz“ (auf dem auch „Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt?“ war) einige Wochen lang auf Dauerschleife gehört habe. Aber vor Kurzem las ich, dass die Onkelz gerade eine neues Album herausgebracht haben und damit auf Tour sind. Dass sie in München gespielt haben, vor einem Publikum aus wütenden, weißen Männern, die gegen „das System“, „den Mainstream“ und „das Establishment“ sind, und bei Songs mitgrölen, in denen es um Kameradschaft, Fußball, Saufen und Fahnenschwenken geht. 

Und da fiel mir das Jahr 2002 wieder ein – und auch die frühere Geschichte der Onkelz, in deren Verlauf Kevin Russell Songs gesungen hat, die genauso wenig subtil und genauso fatalistisch waren wie mein damaliges Lieblinsgslied, dabei aber noch dazu rassistisch und neonazistisch. In denen er Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ und „Türken raus“ (und Schlimmeres, was ich hier nicht wiedergeben möchte) geraunzt hat. Und bei dem Gedanken habe ich mich gegruselt.

Durch die Onkelz kam ich in die Nähe ihrer alten, rassistischen Songs. Das war gefährlich

Denn obwohl ich mit diesen älteren Songs damals nicht in Berührung gekommen bin, frage ich mich jetzt, 14 Jahre nach meiner Onkelz-Phase: Was wäre eigentlich passiert, wenn diese Phase länger gewesen wäre? Wenn ich weiter die Onkelz gehört hätte und auch die alten Sachen? Was hätte das mit mir gemacht? Wer wäre ich dann als Sechzehnjährige geworden, als Siebzehnjährige gewesen? Wer wäre ich heute?

Ich will jetzt gar nicht die Diskussion anstoßen, wie rechts die Onkelz mal waren und wie rechts sie noch sind. Wie oft sie sich davon distanziert haben, wie viele Fans es gibt, die nichts mit der rechten Szene zu tun haben, und wie viele, die sehr viel mit ihr zu tun haben. Mir geht es allein um die Tatsache, dass die Band mal sehr eindeutig rassistische und gewaltverherrlichende Songs gesungen hat, die man nicht ungeschehen machen kann.  Und dass ich damals in deren Nähe kam. Und wie gefährlich ich das rückblickend finde.

Die größte Gefahr waren dabei wahrscheinlich nicht mal die Songs selbst. Sondern in erster Linie meine eigene Naivität und der Grund, warum ich die Onkelz überhaupt hörte: Weil die Jungs aus der Stufe drüber, die ich cool fand, Onkelz hörten. Weil eine meiner besten Freundinnen, die diese Jungs ebenfalls cool fand und mit der ich gemeinsam für sie schwärmte, sie auch hörte. Weil ich Teil der Welt dieser Jungs sein wollte und dafür ihre Welt erst mal verstehen musste. Also hörte ich die Musik, die sie hörten, weil Musik ja immer ein guter Weg ist, die Welt anderer zu verstehen. 

Natürlich mochte ich diese Musik dann, weil ich mich dadurch den Jungs näher fühlte. Und weil ich noch keinen eigenen Geschmack hatte, sondern auf der Suche danach war, was mir gefällt. Ich nahm all das, was mir jemand vorlegte, den ich bewunderte, und hielt es erst mal für gut und richtig. Ich war formbar.

Darum glaube ich, dass ich damals auch zu einer Jugendlichen hätte geformt werden können, die im Parolen grölen ein Ventil und in Ausländern einen Sündenbock findet, für die eigene Wut und den eigenen Frust. Deren Rasierklingen-Inneres nicht nur dann zum Schwingen gebracht wird, wenn die Rasierklingen-Stimme düstere Kitsch-Zeilen wie „Ich suche nach dem Weg aus der Leere, die mein Leben bestimmt“ singt, sondern auch, wenn sie blanke Hass-Zeilen wie „Skinheads ist Zusammenhalt, gegen euch und eure Kanakenwelt“ rauspresst. Ich erschrecke davor, wie nah ich dieser Szene war, ohne es zu wissen. Dass ich einfach nur durch das Album einer Band, die in dieser Szene mal aktiv war, quasi am Zaun stand, mich daran festhielt und durch die Maschen schaute.

Hätte man mir damals "Kanaken" als Sündenböcke präsentiert, hätte ich es vielleicht geglaubt

Wenn ich mich daran erinnere, glaube ich auch, sehr viel besser zu verstehen, wieso ausgerechnet Musik oft als „Einstiegsdroge“ in die rechte Szene gilt. Wie gut es funktioniert, Jugendlichen etwas zu geben, das laut und wütend ist, das Schmerz und Frust und Außenseitertum beschwört – und dann einfach ein paar Sündenböcke unterzumischen. Hätte man mir damals Sündenböcke untergemischt, hätte ich damals von „Kanaken“ gehört – es ist gut möglich, dass ich es geglaubt hätte. Wenn alles so verwirrend und unverständlich ist, ist man ja froh, wenn einer mal direkt und simpel sagt, was – angeblich – Sache ist. 

Dass das nicht passiert ist, dass ich nicht bei den Onkelz geblieben und an ihr altes Zeug und ihre alte Wut geraten bin, hat vermutlich mit den weiteren äußeren Umständen zu tun: damit, dass ich auf ein gutbürgerliches, katholisches Gymnasium ging. Damit, dass die Jungs aus der Stufe drüber zwar recht proletige Jugendliche waren, aber eben doch keine Neonazis. Damit, dass ich bald schon eine andere Clique cooler fand. Eine, in der niemand die Onkelz hörte. In der der Junge, den ich am tollsten fand, Kettcar und Tomte hörte und die Weakerthans, die bald ein viel besseres Ventil für meine Gefühle waren. Sie brachten die Rasierklingen nicht zum Schwingen, sondern machten sie stumpf oder packten sie in Watte, und das gefiel mir besser. Dadurch war ich plötzlich denkbar weit weg davon, nebenbei „Deutschland den Deutschen“ ins Ohr geschrien zu bekommen.

Bleibt noch die Frage, was aus mir geworden wäre, wenn ich doch dabei geblieben wäre. Ich wäre sicher nicht zwingend eine stramme Rechte geworden. Aber vielleicht hätte ich neulich in der Münchner Olympiahalle gestanden und Zeilen wie „Nichts beraubt uns unsere Herkunft, unseres Glaubens“ oder „Vertraut der Demokratie, ich frag’ mich, wie“ gesungen. Ich stünde jetzt, im Jahr 2016, in dem sich unsere Gesellschaft so eindeutig gespalten hat, vielleicht auf der anderen Seite. Auf der, die gegen „das Establishment“ ist. Denn die Onkelz, die in den Achtzigern rassistische Songs gesungen haben und die mir vor 14 Jahren Lieder gegen meinen Pubertäts-Frust lieferten, die besingen und beschwören heute genau diese Spaltung. Im Song „Auf die Freundschaft“ heißt es: „War die Straße zu lang und einsam / War’n die Onkelz das Benzin / Wir für euch, Ihr für uns / Wir gegen DIE“.

Dieser Text wurde am 28. Dezember 2016  veröffentlicht und am 11. Juli 2020 noch einmal aktualisiert.

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