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Wie sich die österreichische Musikszene politisiert

Foto: Kid Pex; Bearbeitung: jetzt

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Er trägt pinke Lederhosen, ein Rosenkranz fesselt seine Handgelenke. Andreas Gabaliers Papp-Double wird an einen Traktor gebunden und durch eine idyllische Berglandschaft gezerrt. Wenig später tanzt er mit schwarzen Polizisten und schwenkt die Regenbogenflagge. 

Gabalier, der selbsternannte Volks-Rock’n’Roller, wird im neuen Musikvideo von Rapper Kid Pex der „Tögether Land“-Therapie unterzogen. Sie soll ihn von Rassismus, Sexismus und Homophobie „befreien“. „Hulapolizei“ (angelehnt an Gabaliers Hit „Hulapalu“) ist das, was im Gangster-Rap als Disstrack bezeichnet wird. Nur geht es nicht darum, wer das dickere Auto fährt, die größere Rolex oder die schöneren Frauen am Start hat. Es geht um politische Haltung. Kid Pex rappt über Gabalier: „Witze übers Kopftuch, doch hinterm Herd will er die Frauen. Und die Stadien, wo er auftritt: von Ali gebaut.“ Die Geschichte dahinter zeigt, wie sich Österreichs Musikszene politisiert. 

Im vergangenen November begann das, was Kid Pex selbst als „die größte Hip-Hop-Staatsaffäre Österreichs“ bezeichnet. Gemeinsam mit Rapperkollegen Kroko Jack veröffentlichte er den Track „So viel Polizei“ – eine Kritik am Rechtsruck in Österreich. Im dazugehörigen Video zu sehen: Papp-Versionen des ehemaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache, von Ex-Kanzler Sebastian Kurz und auch von Schlagersänger Andreas Gabalier. Letzterer zeigte die beiden Rapper im Frühjahr wegen „gefährlicher Drohung“ an. Der Grund: Sie hatten dem Papp-Gabalier im Video eine mit der Hand geformte Pistole an den Kopf gehalten und gerappt: „I tät den Andi Gabalier nicht an die Wand stellen lassen, aber samma si ehrlich, eigentlich gehrat er ersch...“ Wenig später ließ die Staatsanwaltschaft Wien die Anzeige allerdings fallen. Eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat liege nicht vor. Gabalier verzichtete auf eine Klage. Er wolle den Rappern nicht erneut eine Plattform bieten, hieß es.

Die Musikszene Österreichs positioniert sich immer wieder aus politischen Gründen gegen Gabalier

Doch Kid Pex legte mit „Hulapolizei“ nach. Gegenüber jetzt erklärt er: „Wäre Gabalier nicht zur Polizei gerannt und hätte uns angezeigt, hätte ich ihm nicht so eine musikalische Watsche verpasst. Da hat er sich schon ein Eigentor geschossen.“ Für Kid Pex ist das aber keine private Angelegenheit. Er nennt Andreas Gabaliers Volks-Rock’n’Roll „die Begleitmusik zur unmenschlichen türkis-braun-blauen Politik in Österreich“. „Türkis steht für Sebastian Kurz, Braun für die Nazi-Zeit und Blau für die FPÖ.“ Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Die Musikszene Österreichs positioniert sich immer wieder aus politischen Gründen gegen Gabalier. Das zeigt sich auch im Fall von Kid Pex: Hinter dem Track „Hulapolizei“ steckt das sogenannte „Kollektiv besorgter Bürgerinnen und verängstigter Demokraten“. Im Video zu sehen sind zum Beispiel das Rapduo Esrap und Mitglieder der Anarcho-Rockband „Drahdiwaberl“, zu der einst Falco gehörte. Auch Monika Weber, Tochter des verstorbenen „Drahdiwaberl“-Frontmanns Stefan Weber, sowie Hermes Phettberg, Kultmoderator und Ikone der österreichischen Schwulenbewegung, machten mit. Letzterer wird im Musikvideo vom Papp-Gabalier nackt und im Rollstuhl sitzend gewaschen. 

Die Diskussionen um Andreas Gabaliers vermeintlich rechtsnationales, frauenfeindliches und homophobes Gedankengut sind nicht neu. In der Vergangenheit hat er sowohl mit seiner Musik als auch mit öffentlichen Äußerungen für Aufsehen gesorgt. Ein paar Beispiele: Auf dem Cover des Albums „Volks Rock’n’Roller“ sieht man Gabalier in einer Pose, die an ein Hakenkreuz erinnert. In seinem Lied „Mein Bergkamerad“ besingt er das „eiserne Kreuz“ – mittlerweile Hoheitszeichen der Bundeswehr, einst Orden der Befreiungskriege gegen Napoleon, im Kaiserreich und im Nationalsozialismus.

2017 postete Gabalier ein Bild auf Facebook, auf dem er ein rot-weiß-kariertes Kopftuch trägt – sein ‚lustig gemeinter’ Beitrag zu einer angespannten und durch rechtspopulistische Hetze geprägten Debatte um das „Kopftuch-Verbot“ in Österreich. In dem Lied „Mein Großvater hat gesagt“ singt Gabalier: „Warum muss denn a Dirndl heut sein wie a Mann / völlig verbissen, schon fast verkrampft emanzipiert / So dass man die ganze Freud am Knuspern verliert“. Zudem weigerte er sich, die neue Version der österreichischen Nationalhymne zu singen, in der nicht nur „die Söhne“, sondern auch „die Töchter“ vorkommen. In einer Dankesrede 2015 bei den „Amadeus-Awards“ ließ er verlauten: „Man hat es nicht leicht auf dieser Welt, wenn man als Manderl noch auf Weiberl steht“ – und wurde dafür ausgebuht.

Damit hat es sich der Schlagersänger nicht nur mit Kid Pex und Co., sondern auch mit anderen österreichischen Musiker*innen verscherzt. Liedermacher Hubert von Goisern verurteilte Gabaliers Äußerungen in einem Interview mit der österreichischen Zeitung „Der Standard“. Er habe „Ausschlag bekommen“, als er bei den „Amadeus-Awards“ ein gemeinsames Foto mit ihm machen sollte. Sängerin Anja Plaschg von „Soap&Skin“ (bekannt durch den Titelsong der Netflix-Serie „Dark“) sagte die Teilnahme wegen Gabalier schon im Vorfeld ab. In einem Instagram-Post erklärte sie: „Mich in derselben (…) Veranstaltung mit einem Möchtegern-Magnat zu wissen, der sein reaktionäres, nationalistisches, chauvinistisches und sexistisches Lebenskonzept zu kommerzialisieren weiß und hier Anklang findet, entsetzt mich.“

„Rap ist eine Musik des Aufstands, der Rebellion und des Tabubruchs“

Gabalier selbst hat solche Vorwürfe stets von sich gewiesen. In der Öffentlichkeit präsentiert er sich als lockerer Nice Guy mit vermeintlich harmlosem Lederhosen-Patriotismus. Seine Musik trifft offenabr bei vielen einen Nerv: so modern wie nötig, so traditionell wie möglich. Auch in Deutschland füllt er bei seinen Konzerten seit Jahren Stadien. In einem Gespräch mit der „Welt“ verteidigte er die Wortwahl in seinen Liedtexten: „Gott ja, das sind halt ein paar alte Ausdrucksweisen in den Texten. In Österreich wird derzeit so viel Traditionelles abgewertet oder sogar verboten.“ Er wolle deshalb nicht „in die rechte Ecke gerückt“ werden. Als er in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ auf das Frauenbild in seinen Texten angesprochen wurde, erklärte er: „Mein Mädchen ist auch eine sehr reife, studierte, fleißige Frau, hat drei Jobs und schreibt gerade noch ihre Doktorarbeit in Jura. Gleichzeitig steht sie genauso gern am Herd und macht mir Fleischpflanzerl, wenn ich nach Hause komme, und kümmert sich um den Haushalt. Und das finde ich auch schön.“ Auf die Anfrage von jetzt wegen einer Stellungnahme zu „Hulapolizei“ reagierte Gabalier nicht.

Obwohl sich Gabalier von der rechten Szene Österreichs öffentlich distanziert, wird er von ihren Vertreter*innen immer wieder verteidigt. Nach der „Amadeus-Award“-Rede postete FPÖler Christian Hörbart eine „Je suis Gabalier“-Bekundung. Im Fall von Kid Pex’ Tracks forderte FPÖ-Politikerin Ursula Stenzl einen „Aufschrei“. Martin Sellner, „Posterboy“ der rechtsxtremen österreichischen Gruppierung „Identitäre Bewegung”, kommentierte auf Youtube unter Kid Pex’ Video: „Wie ranzig kann man denn sein?“

Kid Pex’ „musikalische Watsche“ gegen Gabalier ist also vor allem ein politisches Statement. Der Rapper ist immer wieder durch sein politisches Engagement aufgefallen. So solidarisierte er sich 2013 mit der Besetzung der Votivkirche in Wien durch Geflüchtete und bezog auch musikalisch mit Tracks wie „Recht auf Leben“ und „Antifašista“ immer wieder Position. Er sieht das sogar in seiner Verantwortung als Hip-Hop-Musiker: „Rap ist politisch verwurzelt. Rap ist eine Musik des Aufstands, der Rebellion und des Tabubruchs, mit der man die Gesellschaft ein bisschen aufrüttelt.“ Nachdem Kid Pex’ „Hulapolizei“ veröffentlicht worden war, beteuerte Andreas Gabalier in einem Facebook-Video, er habe kein Problem mit „Schwulen (…) und auch sonst mit keinen Randgruppierungen“. Kid Pex’ Reaktion darauf: „Die von uns im Tögether-Land entwickelte, spezielle Kurt-Waldheim-Kur-Therapie – benannt nach dem österreichischen Bundespräsidenten, der seine SS-Vergangenheit vertuschen wollte – hat scheinbar auch bei Andreas Gabalier erste Nachwirkungen gezeigt.”

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