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Spotify wird zehn Jahre alt

Fotos: freepik / Collage: jetzt.de

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Als der Streaming-Dienst Spotify am 7. Oktober 2008 startete, kam er als eine Art Revolution des Musikhörens daher. Heute haben wir uns längst daran gewöhnt, immer und überall unendlich viel Musik hören zu können. Aber gerade wegen der Gewohnheit lohnt es sich, noch mal zurück zu blicken: Wie hat Spotify unser Hörverhalten verändert? Wie unser Verhältnis zu Musik generell? Was finden wir gut daran und was schlecht und was wünschen wir uns noch? Die jetzt-Redaktion hat zum Jubiläum ihre Spotify-Gedanken und -Anekdoten zusammengetragen.

Spotify hat mich offener für Neues gemacht

Ich bin, was das Entdecken neuer Musik angeht, ein fauler und etwas knauseriger Mensch. Ich wollte nie Stunden mit der Suche in Plattenläden verbringen und es erschien mir unökonomisch, ständig Geld für neue Musik auszugeben, wenn ich eh schon ganze Festplatten voller Songs und Umzugskartons voller CDs besitze. Ich hatte eine Zwei-Drittel-Regel: Ein Album kaufte ich nur, wenn ich mindestens zwei Drittel der Songs gut fand.

Das hatte zur Folge, dass ich lange Zeit kaum neue Musik hörte, sondern immer wieder die alte, die ich eh schon kannte. Ich fand das nicht schlimm, weil ich keine Fachsimpler-Freunde hatte, bei denen ich mit Wissen über die neueste Indie-Band auftrumpfen musste. Und die alte Musik mochte ich ja immer noch.

In den vergangenen Jahren hat sich das geändert. Das Flatrate-Streamen schaltet den Geizfaktor aus. Ich kann einen neuen Künstler anhören, ohne dass es extra zu Buche schlägt und ich mir über meine Zwei-Drittel-Regel Gedanken machen muss. Dabei habe ich auch festgestellt, wie unzulänglich sie war: Manche Alben hätte ich mir nie gekauft, weil ich anfangs nur ein paar wenige Songs gut fand. Nach ein paar Mal hören – oder auch nur nach einmaligem Hören in der richtigen Stimmung – finde ich aber doch das ganze Album gut. Manchmal braucht Musik Zeit, bis sie sich festsetzt. Diese Zeit kann ich mir jetzt nehmen.

Mehr noch: Ich höre jetzt plötzlich Sachen an, die ich ohne meinen Spotify-Account nie in Erwägung gezogen hätte, weil sie es mir nicht wert gewesen wären, dafür Geld auszugeben. Ich hätte mir nie ein Album von Haftbefehl gekauft, ich wäre auch, nachdem ein Kumpel mir die Parcels empfohlen hat, nie für ihre EP in den Laden gegangen und hätte sie auch nie bei iTunes runtergeladen. Beides gehört aber jetzt gerade zu meiner Lieblings-Auto-Musik. Ich hätte mir auch neulich, nachdem ich einen Film über Notorious B.I.G. gesehen habe, nie aus Interesse an seinem Werk alle seine Alben gekauft, höre aber seit ein paar Tagen über Spotify nichts anderes.

Kurz: Das Alles-immer-verfügbar-Prinzip macht mich zu einem offeneren Musikhörer, mein Musikkonsum wird vielseitiger. Und damit rede ich mir auch ein, dass dadurch ein bisschen ausgeglichen wird, dass Spotify den Künstlern so wenig zahlt: Biggies Erben hätten ohne Spotify keinen Cent an mir verdient. So springt wenigstens ein bisschen Streaming-Kohle raus.

Christian Helten

Radikale Ehrlichkeit durch Spotify

Mein Freund benutzt meinen Spotify-Account. Das ist eigentlich kein Problem, weil man sich auf unterschiedlichen Geräten einloggen kann. Nur wenn wir zeitgleich Musik hören wollen und beide unterwegs sind, kann es schwierig werden. Dann kriege ich einen halben Herzinfarkt, weil auf einmal in voller Lautstärke „Also sprach Zarathustra“ losscheppert, wo ich doch vor 20 Minuten noch ganz in Ruhe irgendeine Indie-Band gehört habe.

Wenn ich dann zurück zu meiner Playlist oder meinem Album gehe und auf „Play“ drücke, haben wir immer die gleiche Whatsapp-Unterhaltung, die ungefähr so anfängt: „Hast du mich grade rausgeschmissen?“ – „Ja, aber du hast mich zuerst rausgeschmissen.“ Wenn wir stur sind, kommt es zu einem zähen, mindestens fünfminütigen Zweikampf zwischen Rage Against the Machine und Kings of Leon, in dem wir abwechselnd immer wieder das einschalten, was wir „zuerst“ gehört haben (und diese fünf Minuten können mit Kopfhörern in der S-Bahn verdammt lang sein). Einer gibt meistens irgendwann auf oder entschuldigt sich.

Das ist ein Nachteil, aber nur ein ganz kleiner. Denn dafür kann man, wenn man gerade nicht Musik hört und zufällig der Spotify-Player auf dem Computer oder dem Handy aufleuchtet, sehen, was der andere hört, wenn man gerade nicht zusammen ist. Zum Beispiel, wenn einer von beiden verreist ist. Und irgendwann stellt man fest: Geliebt wirst du, wenn dein Partner, anstatt dich auszulachen, fragt: „Oh nein, warum hast du denn gestern so lang Travis gehört? Geht’s dir gut?“

Theresa Hein

Es fehlen Lieder, zfix!

Party beim Richy in der WG, es ist halb vier Uhr morgens. Nach vier Gin Tonic, drei Schnaps und einer Zigarette, an der mehrere Leute rauchen, wird in einer kleinen Gruppe über die wirklich großen Momente in der Musikgeschichte geredet. Was heißt geredet? Es ist ein Battle. Ein Kampf der Musik-Rechthaber.

Zum Beweis, dass vor allem ich recht habe, suche ich auf Spotify nach der Live-Version von Tracy Chapmans „Talkin’ Bout A Revolution“, die sie 1988 mit 24 Jahren auf dem Nelson-Mandela-Tribute-Konzert in London spielte. Alleine, nur auf der Gitarre, vor wirklich extrem vielen Menschen.  

Aber: Es ist nicht da! Nirgends! Ich tippe wie irre auf alle Versionen, die Spotify sonst noch hat, aber es sind die falschen! Ich breche sie alle nach ein paar Sekunden wieder ab. Mit dem Resultat, dass alle auf der Party genervt sind, weil mein Handy immer noch mit der Bluetooth-Box verbunden ist.

Eine kurze Umfrage in der Redaktion ergab, dass viele meiner KollegInnen ebenfalls Lieder und Versionen vermissen. Deshalb würden wir gerne die Gunst der Stunde nutzen, um euch, liebes Spotify-Team, unsere sich fortlaufend vergrößernde Wunschliste zukommen zu lassen.

Shout out Louds:  „My Friend And The Ink On His Fingers“ in dieser Version:

• Die Live-Version von „Sneakers4free“ von Bilderbuch mit dem Gospelchor im Hintergrund:

• Das Red Hot Chili Peppers „Live in Hyde Park“-Album ODER „Live in Slane Castle“

  • Andrew Bird's „Souverian“

• Von „Another Self Portrait“ von Bob Dylan gibt es nur eine der Doppel-CDs – und zwar die wesentlich nervigere (zweite)! Und da fehlen „Railroad Bill“ und „Spanish is the Loving Tongue“, also die beiden BESTEN Lieder.

• Es fehlt alles von Feinkost Paranoia, der Münchner Rap-Combo, die in Sachen Battlerap in den Neunzigern sehr weit vorne waren.

• Alles von Eins, Zwo, insbesondere aber das Lied „Ich so, er so“:

Und falls ihr jetzt sagt, „Sorry, können wir nicht machen, die Musiker wollen zu viel Geld“, dann verlangt einfach bei unserem Abo ein paar Euro mehr, würden ja eh die meisten bezahlen – und lasst alle davon profitieren.

Patrick Wehner

Zum Glück funktioniert Spotify nicht als Netzwerk!

Eine Idee von Spotify hat sich irgendwie nicht so recht durchgesetzt: der „social“-Aspekt. Theoretisch kann man alles, was man hört, auf Facebook teilen, man kann anderen Menschen folgen, Playlists öffentlich machen, sich austauschen. Meiner Erfahrung nach passiert das aber fast nie (außer jemand erschnorrt sich „diese eine gute Party-Playlist“ von Freund XY). Und dafür bin ich sehr, sehr dankbar! Ich kann mir nämlich nichts Schlimmeres vorstellen, als dass andere Menschen genau nachverfolgen können, welche Musik ich höre.

Etwa seit ich 18 bin, ist Musik nichts mehr, über das ich mich definiere, darstelle oder distinguiere. Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich ein Album, einen Künstler, vielleicht auch nur einen einzelnen Song auf Dauerschleife höre, aber dann höre ich auch mal wieder wochenlang gar nichts. Das ist natürlich kein Musik-Social-Media-taugliches Verhalten, sondern eher ein bisschen peinlich. Ich bin froh, dass Spotify eigentlich mal wollte, dass ich das vor aller Welt offen lege, aber die Plattform sich so entwickelt hat, dass es jetzt total egal ist, wenn man es nicht macht. (Okay, hier habe ich es gerade getan – aber ihr wisst immer noch nicht, was genau ich eigentlich anhöre…).

Einer der schönsten Spotify-Momente war für mich übrigens, als ich den „Private Session“-Button entdeckt habe. Der ist die absolute Absicherung, dass nichts von dem, was ich auf Spotify tue, eingesehen werden kann, weil es niemals auf meinem Profil erscheinen wird. Und seitdem schlafe ich abends ganz wunderbar ein. Stichwort: Hörspiele.

Nadja Schlüter

Spotify hat mir die Angst vor meinen eigenen Partys genommen

Partys bedeuteten für mich lange erstmal eines: Stress. Nicht, weil man davor (zumindest ein bisschen) aufräumen, Getränke einkaufen und Snacks vorbereiten muss. Sondern, weil der Gastgeber Verantwortung für die Musik zu übernehmen hat.

Letzteres war immer schweißtreibend für mich. Denn ich verstand das Ganze als die ultimative Coolness-Bewährungsprobe. Hatte ich einen respektablen Musikgeschmack? Oder hatte ich keinen? Die Antwort würde ich auf der Party bekommen. Entweder würden meine Gäste mich beglückwünschen oder mich verdammen. Und ich, die alte Selbstzweiflerin, tippte natürlich immer auf Verdammung.

Also begann ich schon Tage zuvor, fein säuberlich auszuwählen, welche Songs partytauglich waren, sie einzeln herunterzuladen und dann mühsam in eine Reihenfolge zu bringen, die musikalisch Sinn ergäbe. War die Playlist dann fertig, war sie eben fertig. An der Komposition war nicht mehr zu rütteln. Selbst wenn die Gäste jaulten und sich etwas anderes wünschten.

Spotify hat das geändert. Ich habe keine Angst mehr vor meinen eigenen Partys. Denn Spotify kann Playlists. Playlists, die ich nicht selbst zusammenstellen muss. Stattdessen spiele ich die von Freunden ab, deren Musikgeschmack ich schätze. Und wenn die dann auch nicht gefallen sollte, eben eine andere. Und früher oder später kommt ja eh ein Gast, der richtig richtig Bock hat, Verantwortung für die Musik zu übernehmen.

Lara Thiede

 

Die Kritik bleibt

Ich habe in den vergangenen zehn Jahren keinen Spotify-Account angelegt. Ich mag da von der „ganz alten Schule“ kommen, aber ich habe ein Problem mit dieser Verramschung von Musik. Schon vor Spotify fand ich es seltsam, wenn mich Freunde baten, ihre portable Festplatte „mit bisschen geiler Musik aus deinem MP3-Ordner“ voll zu laden. Abgesehen davon, dass das natürlich rein urheberrechtlich mindestens Grauzone war, geht für mich dabei sehr viel verloren. Ich finde, Musik sollte von Menschen kuratiert werden, nicht einfach in Massen auf Festplatten geladen – oder eben auf Spotify. Klar, auch hier kann man Playlists für Freunde erstellen, Neues entdecken, sich mit hörtechnisch Gleichgesinnten in aller Welt austauschen – auch Traditionalisten wie ich müssten vielleicht einfach anerkennen, dass im Streaming nun mal die Zukunft des Musikhörens liegt.

Ein großes Manko aber lässt sich nicht wegdiskutieren: Die Künstler bleiben nach wie vor auf der Strecke. Für ein milliardenschweres Börsenunternehmen ist es mehr als peinlich, die Basis seines Erfolgs – die Musiker – mit Zahlungen im Mikrocent-Bereich abszuspeisen, während eine durchschnittliche Spotify-Führungskraft mit einer guten Million im Jahr rechnen kann. Konnte man vor zehn Jahren noch hoffen, dass mit den Einnahmen des Unternehmens auch die Ausschüttungen an die Künstler wachsen würden, zeigt sich heute: Nichts hat sich geändert. Den Vertrauensvorschuss, den man einem kleinen Start-Up vor zehn Jahren vielleicht noch gegeben hat, ist verbraucht. Wenn Spotify mit seinen Künstlern weiterhin so umgehen sollte wie heute, arbeitet es nicht an der Zukunft des Musikhörens, sondern am Ende des Musikmachens.

Quentin Lichtblau

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