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„Im Heim aufzuwachsen heißt nicht, dass man ein Loser wird“

Foto: Johanna Ghebray

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Nura ist eine der erfolgreichsten Künstlerinnen im Deutsch-Rap. Als Teil des Rap-Duos „SXTN“ wurde sie zusammen mit Juju berühmt. 2018 trennten sich die beiden. Dass sie mit ihrer fünfköpfigen Familie als dreijähriges Mädchen mit dem Bus aus Kuwait nach Deutschland floh, wissen nur wenige. Jetzt hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. In ihrem neuen Buch „Weißt du, was ich meine“ beschreibt sie, wie es war, im Heim zu leben, als Schwarze Punkerin durch Düsseldorf zu laufen und mit SXTN in Berlin Pionierarbeit für Rap zu leisten. Wir haben mit ihr gesprochen.

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Foto: Ullstein / Johanna Ghebray

jetzt: Nura, schaust du dir die Rezensionen deines Buches an?

Nura: Ja klar, das Feedback ist größtenteils richtig gut. Ein paar Hater sind aber immer dabei. Einer hat geschrieben, dass ich viel zu oberflächlich bleibe und dass er gerne mehr zu meiner Flucht nach Deutschland erfahren hätte. Ich war damals drei Jahre alt, ich erinnere mich kaum. Meine Mutter hat sich gut um uns gekümmert. Für mich war die Flucht von Kuwait über die Türkei einfach nur eine sehr lange Busfahrt. Als Kind raffst du nicht, was da gerade passiert. Ich habe, bevor ich dieses Buch geschrieben habe, noch nie mit meiner Mutter über diese Flucht geredet. Ich wollte sie nicht in dieses Trauma zurückversetzen.

„Ich musste daheim für alles kämpfen und lügen“

Warum war jetzt der Zeitpunkt, ein Buch zu schreiben?

Viele Fans wollten, dass ich mehr über meine Geschichte erzähle. Ich habe bei dem Format „Germania“ auf YouTube zum erstem Mal erzählt, dass ich ein Flüchtlingskind und teilweise im Heim aufgewachsen bin. Daraufhin haben mir viele Leute geschrieben, denen es ähnlich geht und ich dachte, dass meine Geschichte denen vielleicht helfen könnte. Durch mich sehen die: Im Heim aufzuwachsen heißt nicht, dass man ein Loser wird. Mir hätte das einen großen Push gegeben.

Nachdem du im Heim warst, bist du mit Side-Cut und Ratte auf der Schulter durch Wuppertal gelaufen. Du schreibst, dass Punk ein untypischer Style für ein schwarzes Mädchen war. Was gab dir dieses Gefühl?

Ich bin viel mit Skatern abgehangen, die waren alle weiß. Deren Eltern haben die sogar zur Skate-Halle gefahren. Wenn die sich die Haare färbten, haben ihre Eltern ihnen die Farbe gekauft. Ich musste daheim für alles kämpfen und lügen. Als ich mit meinem ersten Piercing nach Hause kam, hätte meine Mutter mich fast umgebracht. Aber ich wollte halt aussehen wie die anderen. Eine Freundin hat sich mal einen Pony geschnitten. Ich fand das cool und wollte das auch. Vor dem Spiegel habe ich dann versucht, mir auch einen Pony zu schneiden. Weißt du, wie scheiße das aussah mit Afro-Haaren? Mir ging es gar nicht unbedingt um die Hautfarbe. Ich wollte so sein, wie die anderen. Dass ich anders war, weil ich schwarz bin, realisierte ich gar nicht.

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Familienportrait aus dem Jahr 1992: Nuras Mutter, ihre Brüder Moe und Ramadan, ihre Schwester Hannan und Nura selbst.

Foto: Privat

„Mit welchem Recht kriegt mein großer Bruder mehr zu essen als ich?“

Im Buch spielt das Verhältnis zu deiner Mutter, die streng muslimisch lebt, eine große Rolle.

Meine Mutter hat früher sehr streng ihren Glauben gelebt. Als Tochter musste ich mich immer meinen Brüdern unterordnen und sie hat das zugelassen. Mein ältester Bruder hat immer krass frauenfeindlichen Rap gehört, meine Mutter hat das erlaubt. Mir hat sie Slipknot und Linkin Park verboten, nur weil diese Musik für sie aggressiv klang. Die Texte hat sie gar nicht verstanden. Aber er war der Älteste in der Familie und er war ein Junge. Der Mann im Haus eben.

Du schreibst, dass in dieser Zeit dein Bewusstsein für Privilegien gewachsen ist.

Ja, sogar mein kleiner Bruder durfte immer viel länger raus als ich. Obwohl er jünger war. Natürlich fühlt man sich da benachteiligt.Warum dürfen die mehr als ich? Wenn wir gegessen haben, dann kriegte immer der Mann im Haus das größte Stück Fleisch. Ich bin Vegetarierin, ich wollte das Zeug eh nicht essen. Aber mit welchem Recht kriegt mein großer Bruder mehr zu essen als ich? Er hatte nicht mal größeren Hunger als ich oder tagsüber hart gearbeitet. Er hat nur mehr bekommen wegen seines Geschlechts, für dass er ja nicht mal was getan hat.

Wie denkt deine Mutter heute über Rollenbilder?

Wenn ich heute meine Mutter nach Sexismus frage, dann tut sie sich mit diesem Begriff schwer. Aber auch sie findet es kacke, wenn Männer andere Privilegien haben. Sie würde heute niemandem mehr das größte Stück Fleisch geben, weil er ein Mann ist. Über die Jahre in Deutschland hat sie sich davon lösen können. Heute machen wir darüber hardcore viele Witze. Ich frage meine Mama immer: „Wer ist jetzt der Mann im Haus?“ Ich bin bei uns jetzt nämlich der Versorger. Ich bin diejenige, die meine Mutter in den Urlaub einladen kann. Scheißegal, ob ich eine Frau bin. Ich bin die, die das Geld verdient.

Es gab und gibt immer noch viel weniger Frauen im Hip-Hop als Männer. Noch krasser war das 2016, als ihr mit SXTN angefangen habt. Warum war dieses Duo so erfolgreich?

Wir haben für Female Rap krasse Türen geöffnet. Als die Musikindustrie gesehen hat, wie SXTN abgeht, haben die ganzen Männer Dollarzeichen in den Augen gekriegt: „Wir schreiben Texte, machen die Musik, lassen sie tanzen und dann verdienen wir uns dumm und dämlich!“ Schau dir an, wie viele Youtuberinnen angefangen haben, auf einmal Rap zu machen.

Du schreibst in deinem Buch zum ersten Mal über die Trennung von Juju und das Ende von SXTN. Warum tust du das erst jetzt? Damals, 2018, wollten alle wissen, was bei euch los ist, ein Video oder Statement wäre sicher viral gegangen.

Ich war damals einfach nicht in der Lage dazu. An dem Tag habe ich erfahren, dass einer meiner besten Freunde im Koma liegt. Ein paar Tage später ist er gestorben. Ich hatte andere Dinge im Kopf und konnte nicht über die Band nachdenken. Immer wieder wurde ich dazu befragt und bin meinen Fans bis jetzt eine Erklärung schuldig geblieben, die habe ich nun geliefert. Das ist eben auch ein Teil meiner Lebensgeschichte und in der wollte ich nicht bewusst etwas aussparen.

Jetzt machst zum ersten Mal in deinem Leben alleine Musik. Was ist als Solokünstlerin besser?

Ich kann alles sagen, was ich will. Ich kann jetzt politischere Songs machen. Nach dem Mord an George Floyd hat mich mein Label angerufen und gefragt, was sie jetzt am besten für die schwarze Community tun können. Eine krasse Ehre für mich, als wäre ich eine Politikerin oder so. Ich fand schon als Kind diese ganzen Aktionen von Bob Geldof geil. Das Band Aid Konzert oder auch das Projekt um den Song „We are the World“. Diese Künsterinnen und Künstler waren meine Vorbilder, weil die mit ihrer Kunst etwas Gutes für die Welt getan haben. So wollte ich auch irgendwann mal sein.

2018 hattest du deinen ersten Solo-Auftritt bei #wirsindmehr in Chemnitz, eingehüllt in eine Regenbogenflagge. 

Krass, ne? Mit den Toten Hosen, mit K.I.Z, mit Kraftklub, mit Marteria und mit Feine Sahne Fischfilet, bei denen ich mir im Moshpit übrigens mal fast den Arm gebrochen habe. Das sind alles Menschen, die durch ihre Kunst eine Stimme bekommen haben und diese jetzt politisch nutzen. Diese Leute beweisen doch, dass man seine Meinung nicht verstecken muss, um erfolgreich zu sein. Man kann Rap machen, dabei gegen Homophobie und Sexismus kämpfen, eine gute Message verbreiten und trotzdem krass werden.

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