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AKK denkt laut über Regeln für Meinungsäußerungen von Influencern nach

Screenshot: YouTube / Rezo ja lol ey, Foto: dpa / Michael Kappeler Bearbeitung: jetzt

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CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) manövriert sich von einer politischen Misere in die nächste. Jetzt schwadronierte sie davon, dass man wegen des Wahlaufrufs der 90 Youtuber (und noch mal an alle Politiker, die das in den Talkshows dieses Landes permanent falsch aussprechen: es heißt „Jutjuber“) gegen die CDU über Regeln für Youtuber reden müsse. Von vielen wird das als Angriff auf die Meinungsfreiheit gewertet – in unserer Redaktion jedenfalls gehen die Meinungen darüber auseinander:

pro contra pro 2

Berit gibt AKK im Grunde recht:

Was haben wir uns die letzten Tage alle aufgeregt: Die CDU ist super uncool, die CDU hat das Internet nicht verstanden und die jungen Menschen sowieso schon mal gar nicht. Stimmt alles. Ich lege sogar noch einen oben drauf: Die CDU, genauer AKK, hat ganz offensichtlich auch nicht verstanden, was der Unterschied in der Jobbeschreibung von Journalist*innen und Youtubern ist. Das alles heißt allerdings nicht, dass AKK mit ihrer „Regeln für den digitalen Bereich“-Aussage nur unrecht hat. Vielleicht hat die CDU in ihrer digitalen Überforderung etwas verstanden, was vor dem 90-Youtuber-Video noch nicht allzu viele auf dem (Bild-)Schirm hatten – quasi als Nebenprodukt.

Youtuber sind die Popstars der jungen Generation und sie haben eine unfassbare Reichweite und ein krasses Mobilisierungspotenzial. Kurz gesagt: Sie haben Macht. Verdammt viel Macht. Und diese Macht war bisher hauptsächlich wirtschaftliche Macht. Solange es nur um Badeschaum und Zopfgummis ging, war alles fun and games, aber jetzt hat eine Armee von Youtubern sich entschieden, ihre in der Regel eher unpolitischen Jünger für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Next level shit also.

Das Problem ist nicht die CDU, die von einem Video „zerstört“ nun beginnt, panisch umherzulaufen. Das Problem sind die Youtuber, die sich zwischen Shopping-Haul und Prank-Video entschieden haben, kurz für 2 Minuten und 50 Sekunden politisch aktiv zu werden. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen allgemeinen politischen Botschaften, die beispielsweise zum Wählen aufrufen, die sich gegen Hass, Hetze oder politische Gewalt positionieren – und zwischen klaren Wahlanweisungen. Erstere sind sehr begrüßenswert, weil sie jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich eigenständig zu informieren und eine Meinung zu bilden, letztere sind im Zweifel Manipulation.

Mit großer Reichweite kommt auch große Verantwortung und im besten Fall sind sich die Youtuber dem aktuell einfach noch nicht bewusst, im schlimmsten Fall aber schon. Youtuber sind nicht unabhängig. Sie haben wirtschaftliche Interessen und sind auf Plattformen wie Google und Facebook angewiesen – und genau darin liegt auch der beschriebene Unterschied zu Journalist*innen, liebe AKK. Journalist*innen finanzieren sich nicht über Produktplatzierungen. Sie haben zwar auch eine politische Haltung, die sie ab und an äußern, diese Haltung beschränkt sich aber nicht auf bestimmte Aspekte, von denen sie sich Profit versprechen (z.B. warum Online-Journalismus ausschließlich hinter Bezahlschranken stattfinden sollte). Das hat sich bereits bei der Debatte um die vermeintlichen „Uploadfiler“ gezeigt und zeigt sich jetzt auch wieder: Wenn Youtuber sagen „Wählt nicht die CDU und auch nicht die SPD“, dann geht es nicht um das größere gesellschaftliche Wohl, sondern darum, dass sie mit ihrer Arbeit weiter das Geld verdienen wollen, das sie aktuell verdienen.

Natürlich können Youtuber alle Duschschäume der Welt in die Kamera halten und zu was auch immer ihre Meinung sagen und es ist schwachsinnig, darauf mit Zensur reagieren zu wollen. Aber auch das sind Dinge, die man ernstnehmen muss.

Es ist zu einfach, der CDU jetzt vorzuwerfen, dass sie die jungen Menschen einfach nicht gecheckt hat und sie deswegen auch nicht mehr erreicht. Sie hat immerhin gecheckt, dass mit teilzeit-politischen Youtubern eine neue Art der Beeinflussung auf die politische Bühne getreten ist, mit der nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft allgemein umgehen muss. Die CDU hatte den Mut, sich damit auseinanderzusetzen und das Ganze nicht unkommentiert zu lassen – auch auf die Gefahr hin, dabei super uncool zu wirken.

pro contra contra 2

 

Niko findet, dass sich die CDU die „Zerstörung“ selbst eingebrockt hat:

Dass Annegret Kramp-Karrenbauer laut darüber nachdenkt, Meinungen im Internet im Wahlkampf zu regulieren, zeigt, dass die CDU aus den Ergebnissen der Europawahl aber mal so gar nichts gelernt hat. Kramp-Karrenbauer sagte zum Video von Rezo, das mittlerweile zwölf Millionen Menschen gesehen haben: „Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.“ Mit diesem Vergleich zeigt Kramp-Karrenbauer der jungen Generation den Mittelfinger, so nach dem Motto: Euch nehmen wir eh nicht ernst. Außerdem, aber das wissen wir ja mittlerweile, stehen in der Bibel zehn Plagen von Ägypten, Frau Vorsitzende einer christlich-sozialen Partei! Nach diesem und anderen Kleinredungs-Versuchen zu Rezos Beitrag haben 90 Youtuber ein Video rausgehauen, in dem sie dazu aufrufen, die CDU, die SPD und die AfD nicht zu wählen.

Natürlich zucke auch ich erst mal zusammen, wenn eine so einflussreiche Gruppe an Menschen eine so deutliche Wahlempfehlung in einem demokratischen Land gibt. Natürlich ist es gefährlich, wenn eine so einflussreiche Gruppe an Meinungsmachern, denn nichts anderes sind Youtuber bei politischen Äußerungen mit solchen Followerzahlen, so einen Einfluss auf eine Wahl nimmt. Aber diese Youtuber stehen für meine Generation, die von den Regierungsparteien zu lange nicht gehört wurde. Die CDU hat uns durch ihre Ignoranz unsere politische Stimme entzogen. Deshalb ist es gut, dass sich diese Youtuber zusammengeschlossen haben, um der CDU zu zeigen, dass die Themen der unter 30-Jährigen in diesem Europawahlkampf von den Regierungsparteien einmal mehr nicht ernst genommen wurden.

Schuld daran, dass sich vermeintlich uninformierte Youtuber jetzt politisch äußern, sind nicht die Influencer, sondern die CDU selbst. Weil die Partei der jungen Generation zum Beispiel bei der Debatte um Artikel 13 nicht zuhören wollte, schlägt die jetzt mit dem stärksten Mittel zurück, das sie hat. Und dieses Mittel sind Internetaccounts mit Millionen von Followern, die zu einem Wahlboykott aufrufen. Und die Follower sind Menschen mit echten Meinungen, die gehört werden wollen und keine programmierten Bots. Deshalb ist eine Forderung nach Regulierung ihrer Meinung nichts anderes als eine Verweigerung des Diskurses mit einer Schicht unserer Gesellschaft. Und das darf in einer Demokratie nicht sein.

Auf das Video von Rezo hat die CDU mit einer elfseitigen PDF-Datei geantwortet. Das ist, als würde die CDU nur noch Instagram-Storys machen, um ihre Wähler zu erreichen. Die Kernwähler-Gruppe der CDU – bei der Europawahl war die Partei unter den 60-Jährigen am Stärksten – guckt wohl eher keine Insta-Storys, genauso wie sich kaum ein wütender Jugendlicher eine elfseitige PDF-Datei durchliest. Liebe CDU, so erreicht ihr keine jungen Leute, auch wenn wir alle froh sind, dass uns ein peinliches Philipp-Amthor-Antwortvideo erspart geblieben ist. Annegret Kramp-Karrenbauer denkt darüber nach, das Internet im Wahlkampf mehr zu regulieren und der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß empfiehlt jungen Leuten in einem Tweet, den er mittlerweile wieder gelöscht hat, erst mal richtig Geld zu verdienen, bevor sie politisch mitsprechen wollen. Das ist alles so was von daneben, dass man sich als junger Mensch von euch einfach nur verarscht vorkommt. Es zeigt, dass sachlicher Diskurs, wie ihn die CDU ja immer fordert, zwischen der jungen Generation und der Regierungspartei gerade nicht möglich ist, weil sich beide viel zu sehr voneinander entfernt haben. Anscheinend braucht es diese, ja, sehr populistischen Videos von einem Youtuber wie Rezo, dass die CDU kapiert, dass sie es sich bei jungen Menschen versaut hat.

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