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„Ich bin kein Freund der Polizei, aber noch weniger von sinnloser Gewalt“

Polizisten führen am Samstagabend, eine Woche nach den Ausschreitungen, Kontrollen im Stuttgarter Schlossgarten durch.
Foto: Sebastion Gollnow / dpa

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Eine Woche ist vergangen, seitdem in der Stuttgarter Innenstadt rund 500 Menschen randaliert haben. Der Auslöser für die Auschreitungen soll eine Polizeikontrolle im Schlossgarten gewesen sein. Viele Menschen solidarisierten sich mit dem 17-Jährigen, der kontrolliert wurde. Anschließend zogen um die 500 jungen Männer durch Stuttgart, verwüsteten und plünderten mehrere Geschäfte. Die Polizei verordnete die Täter später in der „Party- und Eventszene“, die sich regelmäßig im Schlossgarten treffe. Wir waren eine Woche nach den Ausschreitungen im Schlossgarten unterwegs und haben mit jungen Menschen gesprochen, die dort ihren Samstagabend verbringen.

Melissa und Lilli sitzen direkt am Eckensee im Schlossgarten und schauen auf das Neue Schloss. Der Park ist gefüllt mit jungen Menschen. Die Stadt hat die Polizeipräsenz spürbar erhöht, vor dem Neuen Schloss stehen rund 20 Kastenwägen. Die beiden jungen Frauen  trinken Sekt aus Dosen und unterhalten sich.

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Lilli und Melissa, die vergangene Woche beobachtet hat, wie die Ausschreitungen im Schlossgarten begannen.

Foto: Niko Kappel

Melissa, 22

„Ich saß letzten Samstag genau hier, nur eine Bank weiter. Eine Freundin war dabei, wir wollen nur einen chilligen Mädelsabend machen. Ich komme direkt aus Stuttgart, deshalb bin ich oft im Schlossgarten. Auf der anderen Seite des Eckensees haben wir vergangene Woche gesehen, dass es immer wieder Stress zwischen Beamten und ganz normalen Leuten gab. Das hat sich über den Abend so hochgeschaukelt und wurde immer krasser. Wir saßen weit weg und auf einmal haben wir einen lauten Knall gehört. Zuerst dachten wir es war ein Schuss, aber dann war es doch nur eine Flasche. Die Stimmung war aggressiv, deshalb sind wir lieber gegangen. Wir wollten den Park über den Schlossplatz verlassen, dann wurden wir von Polizisten dumm angemacht. Sie sagten, dass man sich auf dem Schlossplatz nicht mehr aufhalten darf. Ich weiß nicht, was ich zu den Randalen sagen soll. Ich fand es einfach asozial. Stuttgart ist sonst nicht so. Unsere Stadt steht eigentlich nicht für sowas. Ich finde es scheiße, wenn Menschen, wie zum Beispiel Politiker von der AfD, das jetzt an der Nationalität festmachen. Ich hab’s doch gesehen. Da waren Deutsche, aber auch sicher Leute mit Migrationshintergrund. Fakt ist, egal woher man kommt, sowas sollte man nicht machen.“

Lilli, 23

„Melissa hat mir über Instagram Videos von dem Abend geschickt. Ich hab das am nächsten Morgen gesehen und konnte es nicht glauben. Es gab eine Instagram-Seite, die diese ganzen Randale-Videos hochgeladen hat. Das fand ich schlimm. Wie aggressiv diese Leute waren! Richtig schockierend. Selbst wenn die Kontrollen rassistisch motiviert waren, rechtfertigt das meiner Meinung nach nicht diese Ausschreitungen.“

Abdaziz steht vor dem Rewe in der Kronenstraße, direkt am Hauptbahnhof. Er will gleich mit seinen Freunden in den Schlossgarten gehen. 

Abdaziz, 21

„Ich warte hier gerade auf meine Kumpels. Die holen Alkohol im Rewe. Hier sind am Wochenende immer krass viele Leute, wegen Corona gibt es jetzt immer eine Schlange vor dem Supermarkt. Wir wollen heute Abend im Schlossgarten chillen. Aber nur so bis um 1 Uhr, danach kommt die letzte Bahn. Ich komme eigentlich aus Esslingen, das liegt ein bisschen außerhalb. Letzten Samstag war ich zum Glück nicht in Stuttgart. Ich habe mitbekommen, dass randaliert wurde, aber erst am nächsten Tag. Keine Ahnung, was mit diesen Leuten abging, die haben einfach wahllos Sachen zerstört. Das war so sinnlos! Ich verstehe nicht, was ein Schuhladen oder ein Euroshop mit Polizeigewalt zu tun haben soll.“

Lara macht mit ihrer Freundin Shinan Selfies vor der Säule am Schlossplatz. Sie kommen gerade aus dem Schlossgarten.

Lara, 20

„Ich war früher fast jeden Samstag hier. Nicht bis spät in die Nacht, irgendwann kommt halt die letzte Bahn. Ich wohne in Waiblingen, das ist 20 Kilometer von Stuttgart entfernt. Letzten Samstag war ich nicht hier, ich habe erst am nächsten Morgen auf Instagram gesehen, was passiert ist. Ich finde es schade, dass aggressive Menschen das Black Lives Matter Movement auf diese Weise ausgenutzt haben. Das ist unnötig und passt nicht zu Stuttgart. Ich glaube, einige Leute waren frustriert durch die Bilder in den USA und wollten das hier rauslassen. Ich fand es schockierend zu sehen, wozu so eine Massendynamik führen kann.“

Shinan, 25

„Hier sind  viele Jugendliche, klar. Aber sowas wie vergangene Woche habe ich hier noch nie erlebt. Die Leute hier sind friedlich. Mir kam noch nie jemand dumm, weder alleine noch in einer großen Mädelsgruppe. Ich habe hier noch nicht mal eine Schlägerei oder ähnliches beobachtet.“

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Der Schlossgarten am Samstagabend.

Foto: Niko Kappel
Oper

Auf den Treppen vor der Stuttgarter Oper sitzen junge Menschen in Gruppen zusammen.

Foto: Niko Kappel
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Auch der Park ist gefüllt mit jungen Menschen.

Foto: Niko Kappel

Daniel spaziert mit seinem Freund durch den Schlossgarten. Die beiden kommen gerade aus der Innenstadt.

Daniel, 27

„Letzten Samstag habe ich mit ein paar Kumpels am Feuersee im Stuttgarter Westen abgehangen. Ich war nicht in der Innenstadt. Irgendwann haben wir einen Polizeihelikopter gesehen. Später in der Nacht sind dann die ersten Videos der Randalen auf Instagram aufgetaucht. Am Feuersee war die Stimmung hauptsächlich gut, aber ein paar Leute waren schon aggressiv drauf. Eine Gruppe Jungs hat gegen 23 Uhr gesagt, dass sie jetzt in die Stadt gehen wollen. Da ginge anscheinend was ab. Heute weiß ich, was sie meinten. Irgendjemand muss ihnen Bescheid gesagt haben, dass es in Mitte Stress mit der Polizei gibt. Die waren auf jeden Fall auf Krawall aus. Ich habe noch die ganze Nacht den Polizeihelikopter gehört. Ich finde die Randalen unter aller Sau. Ich hoffe die Täter werden bestraft, die Polizei sollte hart durchgreifen.“

Sascha und Jens nennen sich nur so, sie wollen ihre echten Namen nicht im Internet lesen. Jens trägt einen Iro, Sascha hat zwei Lippenpiercings. Auf Jens’ Jeansweste steht ACAB. Sie sitzen mit ihren Freund*innen am Rande des Parks, aus einer Bluetooth-Box läuft der Song „Marie“ von AnnenMayKantereit.

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Sascha, der fast jeden Tag im Schlossgarten verbringt.

Foto: Niko Kappel

Jens, 21

„Ich habe fast geweint, als ich am Tag nach den Randalen durch Stuttgart gelaufen bin. Überall die Glasscherben und der komplette Park war vermüllt. Wir sitzen jeden Tag hier im Schlossgarten. Uns Punks lassen die Bullen mittlerweile in Ruhe, die kennen uns schon. Die wissen, dass wir keine Scheiße bauen, wir sitzen nur hier rum, trinken und haben eine gute Zeit. Ich komme aus Aalen, der Schlossgarten in Stuttgart ist quasi mein zweites Zuhause. Man sieht mir ja an, dass ich kein Freund der Polizei bin. Aber noch weniger bin ich ein Freund von sinnloser Gewalt.“

Sascha, 20

„Ich kann das auch nicht verstehen. Man sollte sich gegen Polizeiwillkür wehren und dagegen demonstrieren. Aber man kann nicht anfangen, wahllos Geschäfte zu zerstören, das führt doch zu nichts. Mein Lieblingsladen, der Ivory (Anm. d. Red.: Ein Headshop in der Innenstadt Stuttgarts, bei dem die Scheiben eingeschlagen wurden), wurde zerstört. Ich bin richtig traurig und die Besitzer der Läden, in denen geplündert wurde, tun mir Leid.“

Vor dem Neuen Schloss werden gegen 22 Uhr immer mehr Menschen von der Polizei kontrolliert. Darunter ist auch eine Gruppe Jungs, zwei von ihnen heißen Justin und Yilmaz. Sie trinken aus Pappbechern, sind betrunken und verhalten sich ruhig während der Kontrolle.

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Justin und einer seiner Kumpels. Yilmaz wollte sich nicht fotografieren lassen. Minuten vorher wurde die ganze Gruppe von der Poizei kontrolliert.

Foto: Niko Kappel

Justin, 16

„Wir wurden gerade von der Polizei kontrolliert. Das war sicher wegen letzter Woche, die wollen halt wissen, wer sich hier so rumtreibt. Ich finde das schlau, so können die das zurückverfolgen, falls es nochmal zu Randalen kommt.“

Yilmaz, 16

„Naja, was heißt da schlau. Ich find es immer voll scheiße, wenn ich kontrolliert werde. Ich mach doch nix, alter.“

Justin, 16

„Ich weiß nicht, es kommt auf die Situation an. Heute verstehe ich das. Aber wenn wir sonst hier chillen, dann finde ich das auch scheiße. Wir werden so oft kontrolliert! Ich denke mir immer, warum machen die das? Wir chillen hier nur und wollen Spaß mit unseren Kumpels haben. Uns geht es nur um eine gute Zeit, verstehst du?“

Alex sitzt mit seinen Kumpels nur wenige Meter von der Polizeikontrolle entfernt. Sie essen Chips und trinken Bier aus Flaschen. Alex und seine Freunde werden nicht kontrolliert.

Alex, 21

„Ich verstehe schon, warum die nach der letzten Woche hier kontrollieren. Es ist echt viel los, das gehört wohl für die Polizei dazu. Aber wir wollen eigentlich nur hier was trinken und chillen, die Clubs haben ja immer noch zu. Heute Abend wurden wir noch nicht kontrolliert, aber das kommt bestimmt noch. Manchmal habe ich das Gefühl, das den Polizisten irgendwie langweilig ist. In meiner Wahrnehmung wurde hier schon immer unverhältnismäßig viel kontrolliert. Aber klar, nach letzter Woche müssen die Präsenz zeigen.“

An diesem Samstagabend blieb in Stuttgart alles weitestgehend ruhig. Die Polizei war mit mehreren hundert Beamten im Einsatz. Gegen 18.45 Uhr und gegen 23.30 Uhr wurden zwei junge Männer im Zusammenhang mit den Ausschreitungen der vergangenen Woche festgenommen.

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