Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Brasilien empfiehlt, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten

Foto: Money SHARMA / AFP / instagram / escolhiesperar

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

„Kein Sex vor der Ehe“ klingt wie eine verstaubte Floskel. Auch wenn manche Menschen ihr Leben tatsächlich noch danach ausrichten, scheint sie den meisten nicht mehr zeitgemäß. Dem brasilianischen Präsident Jair Bolsonaro aber offenbar schon, genau wie Brasiliens Menschenrechts- und Familienministerin Damares Alves. Denn mit einer Kampagne legen sie jungen Leuten genau das ans Herz: Abstinenz bis zur Vermählung. 

„Ich entschied mich zu warten” (portugiesisch: „Eu Escolhi Esperar“) ist der Titel der neuen brasilianischen „Aufklärungs“-Kampagne, die ab Februar 2020 starten soll. Ihr angebliches Ziel: Die Zahl minderjähriger Mütter und mit HIV infizierter Personen zu senken. Memes und lustige Sprüche sollen Teenager*innen daher vom Sex abhalten.

Die neue Kampagne ist nur eine von vielen Maßnahmen des erzkonservativen Bolsonaro

„Unsere jungen Leute haben Sex als Resultat von sozialem Druck“, sagt Ministerin Alves. Sie ist gleichzeitig evangelikalische Pastorin und hat die Kampagne gemeinsam mit anderen erzkonservativen Pastor*innen entwickelt. Kritiker*innen sehen dadurch unter anderem die Säkularität Brasiliens in Gefahr, weil die Trennlinie zwischen Staat und Kirche bei der neuen Abstinenz-Kampagne verschwimmt. Der Ex-Papst Benedikt XVI. hatte Jugendliche bei einem Besuch Brasiliens 2007 vor Sex gewarnt. Die katholische Herangehensweise an „Aufklärung“ ist nach wie vor Abstinenz.

Die Propagierung von Abstinenz als Verhütungsmaßnahme passt auch zum generellen Programm von Bolsonaros ultrarechter Regierung. Kurz nach seiner Wahl 2018 schaffte das Bildungsministerium beispielsweise die Diversity-Abteilung ab, außerdem wurden Themen wie Sexualität, LGBTQ, Feminismus und Gewalt gegen Frauen* aus dem Unterricht verbannt. Gendergerechte Inhalte gefährden in Bolsonaros Vorstellung die Religiosität und den Patriotismus der Menschen. Außerdem sind Schwangerschaftsabbrüche in Brasilien nach wie vor verboten.

Tatsächlich werden in Brasilien vergleichsweise sehr viele minderjährige Frauen* schwanger: Laut New York Times (NYT) liegt der weltweite Durchschnitt bei 44 Minderjährigen pro 1000 Schwangerschaften, in Brasilien sind etwa 62 von 1000 Schwangeren minderjährig. Außerdem ist die Verbreitung von HIV ein Problem, das die brasilianische Abstinenz-Kampagne angehen will. 2018 wurden mit 43 941 ganze 41% mehr Fälle gemeldet als noch 2014, so das brasilianische Gesundheitsministerium gegenüber der NYT.

Die Kampagne arbeitet allerdings nur mit dem Appell, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten und geht nicht darauf ein, wie Sex auch anderweitig sicherer werden kann. Kein Wort wird darauf verwendet, auf Kondome oder andere Verhütungsmittel hinzuweisen. Daher gilt es als sehr fragwürdig, ob die Kampagne wirklich den gewünschten Effekt erzielen kann.

Leslie Kantor, Professorin für Öffentliche Gesundheitspflege, erklärte der NYT, dass Aufklärungsprogramme, die mit Abstinenz arbeiten, nicht funktionieren. Sie tendieren dazu, Informationen für homo- und bisexuelle Menschen auszublenden und Fehlinformationen über die Wirksamkeit von Verhütungsmethoden zu liefern.

cku (mit Material von der New York Times)

  • teilen
  • schließen