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„Wo ich herkomme, wirft man Fridays for Future moralische Überheblichkeit vor”

Foto: ALI LORESTANI /TT NYHETSBYRAN

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Clemens Traub, 22, lief selbst bei Demonstrationen von Fridays for Future mit. Bis er feststellte, dass ihm die Bewegung zu radikal, zu elitär, zu abgehoben ist. Er stammt aus einem 2000-Einwohner-Dorf in Rheinland-Pfalz und studiert in Mainz Politikwissenschaften. Beide Welten, das Dorf und die Uni, haben seiner Meinung nach wenig miteinander zu tun, gerade beim Thema Klimaschutz. Nun hat er ein Buch darüber geschrieben: „Future for Fridays? – Streitschrift eines jungen Fridays-for-Future-Kritikers“.

jetzt: Kritik an Fridays for Future ist man vor allem von Älteren gewohnt, etwa beim Umweltsau-Lied. Du bist erst 22. Fühlst du dich manchmal älter als du bist?

Clemens Traub: Meine Haltung hat mit meinem Alter nichts zu tun. Ich fühle mich sehr als 22-Jähriger. Mein Freundeskreis, mein Lebensstil, mein Alltag ist der eines 22-Jährigen. Ich kritisiere Fridays for Future vielleicht auch deshalb, weil ich aus einem Dorf komme. Der Altersschnitt liegt dort bei über 60. Ich habe mittlerweile gemerkt, wie unterschiedlich die Lebenswelten sind auf dem Dorf und in der Großstadt. Diese Perspektive möchte ich einbringen. Aber ich würde nie plumpes Greta-Thunberg-Bashing betreiben wie es manche Ältere tun.

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Clemens Traub sieht FFF kritisch – jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben.

Foto: Clemens Traub

Du warst selbst bei einigen Demonstrationen von Fridays for Future. Was war der Moment, in dem du dachtest: Da gehe ich nicht mehr hin?

Als ich zum ersten Mal nach meiner Teilnahme in die Heimat gefahren bin, habe ich gemerkt, dass meine Begeisterung für die Bewegung nicht geteilt wurde. Wo ich herkomme, wirft man Fridays for Future moralische Überheblichkeit vor. Die Leute haben das Gefühl, ihre Stimmen würden nicht gehört von der Bewegung. Da habe ich angefangen, zu reflektieren. Und dann war da noch das Erlebnis an der Mensa.

Was ist passiert?

Irgendwann, als es Fridays for Future eine Weile gab, wurde in der Mensa meiner Uni freitags aus Solidarität mit den Demonstranten auf Plastikgeschirr verzichtet. Eigentlich eine nette Sache. Aber die Angestellten konnten das kaum nachvollziehen, die fanden die Aktion seltsam. Das konnten wiederum viele Studenten nicht verstehen. Es gab dann einen richtigen Schlagabtausch, bei dem sich die Aktivisten überlegen gefühlt haben. Sie haben die Kassierer beleidigt und sind in einen aggressiven Modus übergegangen.

Du wirfst Fridays for Future in deinem Buch vor, dass sich dort vor allem besser Gebildete und Bürgerliche engagieren. Was stört dich daran?

Zuerst dachte ich: Es ist nicht wichtig, wer demonstriert, sondern nur, dass demonstriert wird. Mittlerweile sehe ich das anders. Ich habe das Gefühl, dass Fridays for Future sozial homogen ist und ein gebildetes Milieu vertritt, das nicht die gesamte Gesellschaft abbildet. In der Bewegung fehlt das Bewusstsein, dass das Klima-Thema etwas ist, mit dem sich nur Menschen beschäftigen können, die keine dringlicheren Sorgen haben. Wer nicht weiß, wie er Ende des Monats seine Miete bezahlen kann, hat im Alltag andere Probleme. Noch problematischer ist, wenn die Bewegung Ärmeren vorwirft, dass sie keinen ökologischen Lebensstil haben. Der erhobene Zeigefinger ist das Erkennungsmerkmal von Fridays for Future.

Würde Fridays for Future den Ton mäßigen, würde die Bewegung vermutlich weniger stark wahrgenommen.

Sicher, eine Bewegung muss polarisieren. Ich möchte auch nicht, dass die Bewegung an Überzeugungskraft verliert. Aber Fridays for Future muss inklusiver und vielseitiger werden. Es ist nachgewiesen, dass die Mehrheit der Teilnehmer Abiturienten oder Studenten sind. Die Bewegung ist also nicht repräsentativ. Sie muss raus aus den Großstädten, weg von den Gymnasien und Unis.

Fridays for Future hat auch Ortsgruppen in Dinkelsbühl, Bad Kreuznach und Wurzen.

Aber dort sind viel weniger Leute aktiv, die sich dann doch wieder auf das Leben in Großstädten fixieren. Meine Traumvorstellung ist, dass Fridays for Future ganz bewusst auf die Dörfer fährt und dort mit den Menschen ins Gespräch kommt. Um die eigene Wohlfühlzone zu verlassen. Auch dort leben Menschen, die für das Klima eintreten, wenn sie sich um ihre Umwelt und ihre Bauernhöfe kümmern. Aber sie haben eben einen anderen Zugang, weil sie aus einem anderen Milieu kommen.

„Ich fordere mehr Diversität und Bodenständigkeit in den Reihen von Fridays for Future“

Du wirfst Fridays for Future in deinem Buch vor, dass sich ihre Gesichter wie Popstars verhalten, die egoistische Ziele verfolgen, um Instagram-Likes zu bekommen und die eigene Karriere voranzubringen. Welche Belege hast du für diesen Vorwurf?

Nehmen wir Luisa Neubauer. Wenn ich mit Leuten aus meiner Heimat spreche, dann werfen sie ihr vor, dass Fridays for Future auch ihrer Karriere nützen wird. Klar, jede Bewegung braucht Aushängeschilder und Leute, die vorangehen. Aber viele Leute sehen diese Professionalisierung von Luisa Neubauer skeptisch. Sie hat mittlerweile ein Marketing-Team hinter sich, das ihre Instagram-Accounts und Termine regelt. Da fragt man sich: Geht es ihr eigentlich noch ums Thema oder nur um Ruhm? Einerseits prangert sie an, wenn man zu Fleisch greift oder einen Diesel fährt. Andererseits bekommt sie einen Posten bei Siemens angeboten und nutzt ihre Popularität dann für die eigene Karriere.

Diesen Posten hat sie abgelehnt.

Aber sie bekommt Medienaufmerksamkeit und persönliche Perspektiven. Das Problem ist: Viele Leute haben das Gefühl, dass Fridays for Future eben kein Rebellentum der Außenseiter ist. Luisa Neubauer kommt aus bürgerlichen Verhältnissen. Sie weiß, wie sehr sie Fridays for Future für ihre eigene Karriere nutzen kann.

Das könnte man auch über dich sagen: Dass es dir nicht um die Sache geht, sondern nur um Aufmerksamkeit. Was ist selbstloser an dir als an Luisa Neubauer?

Ich fordere mehr Diversität und Bodenständigkeit in den Reihen von Fridays for Future. Wenn man in meinem Dorf über Fridays for Future redet, dann merkt man, welchen Verdruss die Menschen haben gegenüber Parteien, Medien und eben auch bei Fridays for Future. Sie machen Greta Thunberg und Luisa Neubauer den Vorwurf, dass sie ohnehin Vertreter der Elite sind. Es wäre gut, wenn es auch mal eine Identifikationsfigur gäbe, die aus einfachen Verhältnissen kommt.

Wärst du gern dieses Aushängeschild?

Ich sehe mich nicht als Aktivist. Ich versuche ein Bewusstsein zu schaffen, dass es Probleme gibt und dass man Leute in die erste Reihe stellen muss, die einen anderen Hintergrund haben. Die eigene Herkunft prägt die eigenen Perspektive. Wenn man aus der Pfalz oder dem Thüringer Wald kommt, versteht man, dass das Auto nicht etwas Verwerfliches ist – sondern ein Fortbewegungsmittel, das man für die Bewältigung des Alltags braucht. Man bekommt ein besseres Feingefühl für die Lebenssituation anderer Menschen.

Die Teilnehmerzahlen von Fridays for Future gehen zurück. Freust du dich darüber?

Nein. Ich würde mich freuen, wenn die Klimabewegung weiterhin stark in der Öffentlichkeit steht. Aber dann bitte mit einem Auftreten und Themen, die die Mitte der Gesellschaft ansprechen und auch aus anderen Milieus stammen.

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