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Der Klimastreik ist nicht zu brav

Freundliche Schilder, friedliche Demos – hat das noch Wumms?
Illustration: Julia Schubert

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„Alle fürs Klima“ ist das Motto des großen Streiks am 20. September. Die Aktivist*innen von „Fridays for Future“ rufen dazu auf, dass diesmal bitte jede*r mitmacht, nicht nur Schüler*innen und Student*innen, sondern auch Eltern und andere Erwachsene sollen die Arbeit niederlegen und auf die Straße gehen. Zwar gab es dazu einige kritische Posts in den sozialen Netzwerken – nicht jeder könne einfach streiken, das sei eine sehr elitäre Ansicht und Aufforderung, viele Menschen liefen so Gefahr, ihren Job zu verlieren etc. –, aber auf klima-streik.org kann man unter dem Punkt „Mitmachen“ nachlesen, dass die Bewegung das mitgedacht hat. Dort werden verschiedenste Möglichkeiten für Arbeitnehmer*innen aufgezählt, am Streik teilzunehmen: etwa in der Mittagspause vorbeikommen, die Mittagspause verlängern, Überstunden abbauen, Urlaub beantragen, mit dem*r Arbeitgeber*in sprechen. Und sogar die, die nicht dabei sein wollen, werden als passive Helfer*innen einbezogen: „Wenn Du Schicht arbeitest, versuche mit einer/einem Kolleg*in zu tauschen, der/ die nicht plant am Klimastreik teilzunehmen.“

Also eigentlich alles super. Niemand wird gezwungen. Niemand soll vor den Kopf gestoßen werden, weder die strenge Chefin noch der Kollege, der nicht mitmachen will. Jede*r so, wie er mag. 

Die streikenden Schüler*innen sind ein perfektes Abbild der linksliberalen Jugend

Doch genau das, dieses Kuschelige, Alle-Einladende, sorgt seit längerem  für Kritik: „Fridays for Future“ sei „zu brav“. Zu viel fröhlicher Straßenprotest, der zu wenig Druck mache. Im Juni zitierte die taz den Protestforscher Dieter Rucht mit den Worten: „Sie fordern von der Politik nicht mehr als die Umsetzung der beschlossenen Ziele. Das ist für eine Bewegung unglaublich bescheiden. Das könnte auch eine Initiative der Jungen Union sein.“ In einer Zwischenbilanz des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung schreiben Rucht und ein Kollege von einer „drohenden Veralltäglichung und Konventionalisierung“ der Bewegung. Nach anfänglicher Skepsis, der Schulschwänzer*innen- und der „Eine Sache für die Profis“-Debatte finden mittlerweile ja sogar sämtliche Politiker*innen die Bewegung gut. Die streikenden Schüler*innen sind damit ein perfektes Abbild der linksliberalen Jugend: politisch korrekt, jede*n mitdenkend, niemanden ausschließend oder diskriminierend. Und wer alle mitnehmen will, der eckt eben auch nirgends an – kann das noch Protest sein?

Auch intern fällt das manchen als negativ auf. Jana, eine 17-jährige Aktivistin, sagte bei der Protestwoche im Rheinland Ende Juni: „Ich hab mal irgendwo das Zitat gelesen: Fridays for Future ist die erste Bewegung, für die alle sind. Das ist total kritisch, weil es dadurch den rebellischen Spirit verliert.“ Ihr reichen die Schulstreiks nicht und sie schließt sich zusätzlich den weniger braven Blockadeaktionen in Braunkohlegruben an. 

Es gibt einige, die sich unter anderem deshalb radikaleren Gruppen wie „Extinction Rebellion“ oder „Ende Gelände“ anschließen oder parallel zu den Streiks an deren zivilem Ungehorsam teilnehmen, Straßenkreuzungen oder Kohlekraftwerke besetzen. Aber die meisten bleiben auf der Straße, mit Schildern in der Hand, Parolen und Liedern auf den Lippen, freundlich und friedlich. „Wir tragen die Klimakrise in die Mitte der Gesellschaft, appellieren an das ganze demokratische politische Spektrum und zeigen, dass Klimaschutz anschlussfähig ist“, sagt Luisa Neubauer dazu. 

Das zu kritisieren, ist völliger Unsinn. Im Gegenteil – beim Klimaschutz kann es gar kein „zu anschlussfähig“ geben. Die Klimakrise betrifft uns alle und jede*r wird gebraucht. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird, so der Sonderbericht des Weltklimarats, die 1,5-Grad-Marke womöglich schon 2030 gerissen, spätestens aber 2052. Um die schlimmsten Folgen für lebenswichtige Ökosysteme und für Hunderte Millionen Menschen zu verhindern, bleiben uns also vielleicht nur noch elf und maximal 33 Jahren Jahre. Darum kann die Bewegung gar nicht von zu vielen gut gefunden werden – und in Zeiten, in denen trotz allem immer noch Klimawandelleugner Online-Diskussionen kapern oder US-Präsident werden, ist es vermutlich unvermeidbar, dass man ganz von vorne, ganz unten anfängt. An der Basis, in der Mitte, um möglichst viele Menschen zu erreichen, einzusammeln, mitzunehmen.  

Klar, wenn eine Bewegung nicht ernst genommen wird und daraus keine Konsequenzen folgen, dann hätte nicht nur „Fridays for Future“ ein Problem, sondern die ganze Welt. Aber es liegt unter anderem an der Breite und der Anschlussfähigkeit dieser gerade einmal ein knappes Jahr alten Bewegung, dass der Klimaschutz derzeit aus sämtlichen Medien und Küchentischgesprächen nicht mehr wegzudenken ist.

Was wir brauchen, ist ein riesiger, beinahe unvorstellbarer Kompromiss

Vielleicht sollte man die Klimastreiks weniger als monothematische Protestbewegung verstehen und eher mit den friedlichen Revolutionen im Jahre 1989 vergleichen: Hier wird nicht für ein bestimmtes Gesetz oder gegen einen bestimmten Krieg demonstriert, sondern die Aktivist*innen wollen einen Systemwechsel. Sie wollen, dass sich an allen Fronten etwas ändert, weil die Klimakrise droht, an allen Fronten Konflikte zu befeuern, weil sie weltweit für mehr Armut und mehr soziale Ungleichheit sorgt und sorgen wird. Um das zu verhindern, kann es nicht zu viele geben, die Veränderungen fordern. Und um das zu verhindern, kann es auch nicht zu viele geben, die ihr individuelles Handeln überdenken und so selbst Veränderungen herbeiführen. 

Der amerikanische Journalist David Wallace-Wells, der ein vielbeachtetes Buch über die Klimakrise geschrieben hat, hat in einem Podcast einmal etwas sehr Kluges zu diesem Thema gesagt. „Will man denn wirklich Neulingen in der Klimabewegung sagen, sie hätten nicht das Recht, Klima-Aktivist*innen oder Unterstützer*innen zu sein, weil sie bisher noch nicht aufgehört haben, Fleisch zu essen oder zu reisen?“, fragte er in der „Ezra Klein Show“. „Strategisch, moralisch und politisch ist doch absolut klar, dass es darum geht, dass mehr Menschen dieses Thema ernst nehmen. Und nicht darum, dass sie es auf die optimale Art und Weise ernst nehmen. Wir wissen doch nicht mal, was die optimale Art und Weise ist.“ 

Ja, wir brauchen einen Systemwechsel. Aber man könnte auch sagen: Was wir brauchen, ist eigentlich ein riesiger, unglaublicher, beinahe unvorstellbarer Kompromiss. Wir müssen einen Weg finden, die Welt zu retten, ohne alles aufzugeben oder zu verlieren, was wir haben. Und für einen solchen Kompromiss muss wirklich jede*r mitmachen wollen. 

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