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„Wenn ich zugeschaut habe, hat sich die Polizei meistens fair verhalten“

Der 32-jährige Michael Bloss ist ganz frisch für die Grünen in das EU-Parlament eingezogen. Jetzt ist er bereit für eine weitere Rolle.
Foto: Michael Bloss

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15 Stunden war Michael Bloss mit den Protestierenden in der Grube. Die ganze Nacht. Am Ende des zweitägigen Protests hatte er 35 Stunden nicht geschlafen. Dabei war er weder als Demonstrant, noch als Polizist, noch als Journalist bei der großen Ende-Gelände-Demo am vergangenen Wochenende: Michael Bloss begleitete die Aktion als parlamenarischer Beoachter. Der 32-jährige grüne EU-Abgeordnete nahm damit eine spezielle Aufgabe wahr: Mit auffälligen grünen Westen bewaffnet, schauen sich die Beobachter das Geschehen vor Ort an und können danach zum Beispiel berichten, wer den ersten Stein geworfen hat. Außerdem vermitteln sie zwischen Polizei und Protestierenden und versuchen, brenzlige Situationen zu deeskalieren. Am Wochenende war das bei im Tagebau Garzweiler auch nötig, erzählt Michael.

jetzt: Glaubst du, der Protest im Rheinischen Braunkohlerevierwäre anders verlaufen, wenn ihr nicht dabei gewesen wärt?

Michael: Auf jeden Fall. Vor allem in der Grube – am Anfang hatte sich die Situation dort echt aufgeschaukelt. Da kann es schnell zu Gewalt kommen. Alle sind unter Druck, die Menge ist aufgewühlter. Es war wichtig, dass wir da waren.

Wie viele parlamentarische Beobachter waren am Wochenende dabei? 

Ich denke so um die 20. Von den Grünen etwa aus dem Bundestag, Landtag und eben dem EU-Parlament. Ich hatte noch eine grüne Abgeordnete aus den Niederlanden mitgebracht – darüber haben sich ein paar fremdsprachige Protestierende gefreut. Und von den Linken waren welche aus dem Bundestag und dem Landtag da. 

Wie kamst du zu der Rolle?

Ich war selbst schon öfter bei solchen Protesten als Demonstrant dabei – etwa bei anderen Ende-Gelände-Aktionen – und habe super Erfahrungen gemacht mit parlamentarischen Beobachtern. Es ist einfach gut, wenn es jemanden gibt, der sich kümmert. Also, damit es nicht nur konfrontativ ist, auf der einen Seite ist die Polizei und auf der anderen Seite sind wir. Da war mir klar, dass ich dieses Mal in dieser anderen Rolle dabei sein will. Ich habe dann in der Fraktion rumgefragt, ob noch jemand Lust hat.

Wie kann man sich das vorstellen, was habt ihr da gemacht?

Erstmal war es schwer in die Grube zu kommen. Wir haben fast zwei Stunden gebraucht. Als wir endlich ankamen, waren da über tausend Protestler unten im Tagebau. Einer von denen hat gerade mit den Kontaktleuten von der Polizei verhandelt, ob es vielleicht die Möglichkeit gibt, dass alle geschlossen gehen dürfen – ohne polizeiliche Identifikation.

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Die Protestierenden ziehen in Richtung Tagebau.

Foto: Patrick Haermeyer
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An diesen Westen kann man sie gut erkennen: Parlamentarische Beobachter.

Foto: Patrick Haermeyer
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Die Ausmaße der Grube sind beeindruckend.

Foto: Patrick Haermeyer
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Ein parlamentarischer Beobachter beim beobachten.

Foto: Patrick Haermeyer
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Friedlich aber doch: ziviler Ungehorsam. Die Protestierenden blockieren Gleise.

Foto: Patrick Haermeyer

Das hat aber nicht geklappt…

Nein, nach zehn Minuten hat die Polizei plötzlich angefangen zu räumen. Es war chaotisch, es gab unschöne Szenen mit relativ viel Gewalt- und starker Zwangsanwendung von Seiten der Polizei. Also sind wir zur Polizei gegangen und haben gesagt: ‚Hey Leute, das geht so nicht. Lasst uns das doch ein bisschen geordneter machen.’  Wir haben dann durchgesetzt, dass zuerst diejenigen, die sich freiwillig in Polizeigewahrsam begeben wollen, vorkommen und abgeholt werden, zum Beispiel Verletzte. Erst danach sollte die Räumung beginnen. Und auch die Räumung haben wir mitorganisiert. Also so, dass die Polizei nicht einfach kommt und die Leute rausreißt. Das war für alle viel stressfreier.

Was habt ihr sonst noch vor Ort gemacht?

Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Demonstrierenden Essen und Wasser bekommen. Das hat immerhin funktioniert, Wasser kam fünf Stunden nachdem die Blockade gestartet wurde. Im Gegensatz zu den Protestierenden kommen wir durch die Polizeiblockaden und können so zwischen den Fronten vermitteln. Das vereinfacht den Dialog. 

Ihr beobachtet ja nicht zum Spaß, erzählt ihr dann auch irgendwem, was am Wochenende passiert ist?

Ich glaube, dass es im Landtag von Nordrhein-Westfalen ein Nachspiel geben wird. Etwa Befragungen, wie dieser Einsatz verlaufen ist. Und dann ist es auch gut, dass wir da waren und berichten können.

Das klingt weniger so, als ob du zwischen den Seiten vermittelst, sondern eher so, als ob du die Wünsche der Demonstranten bei der Polizei vertrittst...

Nein, auch andersrum. Es gab etwa eine Demonstrantengruppe, die megaschwer zu erreichen war, weil man über Sand laufen musste. Die Polizei hat uns gefragt: Könnt ihr nicht mit denen reden, damit die von selbst hochkommen? Also haben wir versucht, die zu überzeugen, haben etwa gesagt, dass es im Zweifelsfall auch für sie mit der Räumung unangenehm wird. Die haben sich aber dagegen entschieden. Aber für so etwas sind wir auch da. Oder: Manchmal helfe ich den Polizisten auch beim Übersetzen, wenn sie versuchen, mit ausländischen Protestierenden zu kommunizieren.

Aber ihr seid in euren Kompetenzen doch auch begrenzt? Ihr seid nicht wie Gandalf, der auf einem weißen Pferd einreitet und alles wird gut.

Natürlich nicht. Wir dürfen auch die Polizeimaßnahmen nicht behindern und können nicht eingreifen. Das ist ja auch sinnvoll. Wir müssen uns am Rand halten.

„Ich habe gesehen, wie ein Demonstrant zu Boden ging“

Es kam ja auch zu Gewalt – auf Seiten der Polizei sind nach Informationen der taz 16 Personen verletzt.

Ja und es gab auch bei Ende Gelände Verletzte. Ich habe von einem gehört, dem die Lippe genäht worden ist. Und ich habe gesehen, wie ein Demonstrant zu Boden ging. Der hatte danach ein mega dickes Auge. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber ihm wurde wahrscheinlich ins Gesicht geschlagen. Allerdings: Wenn ich zugeschaut habe, hat sich die Polizei meistens fair verhalten.

Hast du Verständnis für die Polizei?

Klar. Auf der einen Seite kann ich total nachvollziehen, dass man wegen der Klimakrise auf eine radikalere Form des Protestes zurückgreift. Auf der anderen Seite bin ich ein Teil einer quasi-staatlichen Institution. Da muss man auch auf die Polizisten achten. Dass die nicht überanstrengt werden. Es ist für die auch nicht einfach: Die Polizisten sind zum Teil ewig im Einsatz, es ist heiß und die Beamten haben diese riesengroßen Uniformen an. Und dann tragen sie die Aktivisten weg, das ist ja auch eine schwere Arbeit.

Sollte aus deiner Sicht jemand von euch auch inkognito da sein? Also jemand der schaut, was die Polizei macht, wenn sie sich unbeobachtet fühlt?

Nein. Es ist wichtig, dass wir sichtbar sind. Was es meiner Meinung nach bräuchte, ist so eine Art Ombudsman von der Polizei, den man bei Problemen und Fragen anrufen könnte. Die Polizisten vor Ort können oft nichts machen. Es gibt einen Einsatzleiter, der alles entscheidet und den haben wir die ganzen zwei Tage nicht erreicht. Irgendwann haben wir Witze gemacht: Gibt’s diesen ominösen Typen überhaupt? Da wäre es gut gewesen, wenn jemand den Durchblick hätte.

Glaubst du, mehr Abgeordnete sollten sich mal als parlamentarischer Beobachter ausprobieren? 

Pflicht muss es nicht gleich sein. Aber ich finde es politisch total wichtig, dass man dabei ist, wenn Menschen auf der Straße demonstrieren. Gerade, wenn absehbar ist, dass es zu ernsthafteren Konfrontationen kommen kann. 

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