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„Obwohl ich so offen damit umgehe, ist es mir unangenehm“

Foto: Heidrun C. Hauschild

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An den Zimmerwänden hingen Runen aus Salzteig, ihr Vater leugnete den Holocaust und die Ferien verbrachte sie in Zeltlagern rechtsextremer Organisationen. Heidi Benneckenstein verbrachte ihre gesamte Kindheit und Jugend mitten in der Nazi-Szene. Doch zusammen mit ihrem Mann schafft sie mit 19 Jahren den Ausstieg. Über ihre Kindheit in der Nazi-Szene und den Weg zurück in die Zivilgesellschaft hat sie ein Buch geschrieben.

jetzt: Heidi, du bist in einem Dorf nahe München groß geworden. Wie muss man sich das vorstellen, in so einer Familie aufzuwachsen?

Heidi Benneckenstein: Unser Vater hat über unseren gesamten Tagesablauf bestimmt. Wir durften keine Bücher ausländischer Schriftsteller lesen oder Kleidung tragen, die amerikanisch sein konnte, wie zum Beispiel Schlaghosen. Er bestimmte, welche Musik wir hören, aber auch mit welchen Spielsachen wir spielen durften. Jede dieser Entscheidungen konnte er durch seine Ideologie begründen. Meine Schwestern und ich wurden sehr autoritär erzogen, Fehlverhalten wurde bei uns immer hart bestraft oder wir wurden deshalb von ihm schikaniert. 

Woran konnten Außenstehende merken, dass ihr anders seid als die meisten Familien?

Schon wenn jemand unser Haus betreten hat, ist ihm sicher aufgefallen, dass wir da seltsame Sachen an den Wänden hatten: Runen aus Salzteig, Jagdtrophäen meines Vaters aus der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, mit Sprüchen und Gedichten bestickte Tücher. Wir Kinder trugen unmoderne Kleidung, gestrickte Pullover und Socken – oft alles etwas älter. Unser Leben hat sich schon gravierend von dem Familienleben meiner Freundinnen unterschieden. Sie wurden anders erzogen, hatten andere Spielsachen und durfte ihre Ferien anders gestalten.

Erst als ich schon älter war, haben mich ehemalige Schulfreundinnen auf unsere Lebensweise angesprochen: Ich hätte immer ein Dirndl getragen, sagte die eine, eine andere hat mir gebeichtet, dass sie es früher bei uns immer unheimlich fand. Ich glaube für andere Kinder hat sich die Atmosphäre bei uns auch genauso angefühlt – unheimlich trifft es ganz gut.

Du hast es ja gerade schon angesprochen, auch die Feriengestaltung sah bei euch anders aus. Du hast die freie Zeit beispielsweise in Ferienlagern der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) verbracht.

Die meisten Sachen, die wir dort gemacht haben, hatten das Ziel, uns die Inhalte der Ideologie zu vermitteln. Wir haben Lieder gelernt und wurden auf die sogenannte Pimpfenprobe vorbereitet, die man dort ablegen musste. In Arbeitsgemeinschaften haben die Mädchen dann ganz klassisch genäht oder Kalligrafie geschrieben, während die Jungs beispielsweise geboxt haben. 

"Ich war oft auf Nazi-Konzerten, die mein Vater veranstaltet hat und fand die Szene damals einfach cool."

Wie ging es dann als Jugendliche mit deinem Leben weiter?

Ich war oft auf Nazi-Konzerten, die mein Vater veranstaltet hat und fand die Szene damals einfach cool. Als ich etwa 14 oder 15 Jahre alt war, habe ich dann aktiv Kontakt zu den Jungen Nationaldemokraten aufgenommen. Dort habe ich meinen heutigen Mann kennengelernt und wurde schließlich Mitglied seiner Kameradschaft. Wir haben Stammtische abgehalten, sind auf Kundgebungen gegangen und haben uns am Wochenende mit Politik beschäftigt.

Die meisten Mädchen in deinem Alter hatten sicherlich andere Sachen im Kopf. Hast du dich irgendwie besonders gefühlt?

Ich habe mich damals vor allem besonders erwachsen gefühlt. Ich dachte, dass ich über die Oberflächlichkeiten der anderen, wie Shoppingtouren oder den ersten Freund, schon hinaus war. Ich fand mich viel reifer, weil ich mich ja um „die große Sache“ gekümmert habe. Ich war Mitglied in der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ in der Kameradschaft Erding und machte natürlich noch ganz viele Sachen, die nicht von Organisationen geleitet wurden. Dieses ganze Kameradschaftsfeld wird ja bewusst sehr frei gehalten, damit es nicht als Organisation verboten werden kann. Ich habe in dieser Zeit aber auch einige Leute und Vereinigungen kennengelernt, die mir dann schon suspekt waren.

Kannst du mir da ein Beispiel nennen?

Es gibt da eine Organisation, wobei, eigentlich ist es eine Sekte, die nennt sich „Germanische Neue Medizin“. Die haben ganz eigene Erklärungen für die Entstehung von Krankheiten oder darüber, was krank macht.

Und solche dubiosen Organisationen ließen Zweifel in dir aufkommen und trugen zu deinem Ausstieg aus der Szene bei?

Klar, so etwas haben mein Mann und ich damals schon sehr kritisch gesehen und uns auch zum Teil darüber lustig gemacht. Wir haben einfach immer öfter festgestellt, dass die Szene nicht das ist, was sie vorgibt zu sein. Sie behaupten, die besseren Menschen zu sein und Werte zu pflegen, die in der normalen Gesellschaft angeblich gar nicht mehr vorhanden sind. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass diese Werte auch in der Szene nicht vorhanden sind – oder eben nur zum Schein.

Kannst genauer erklären, welche Werte du damit meinst?

Die Familie wird in der NS-Ideologie sehr verehrt und als das höchste Gut dargestellt. Doch gleichzeitig habe ich festgestellt, dass es in der Szene gang und gäbe ist, dass Männer ihre Frauen betrügen. In vielen Beziehungen herrscht Gewalt, Männer beschäftigen sich nur zum Schein mit ihren Kindern, haben aber eigentlich kein Interesse an ihnen. Außerdem wird massiv Alkohol konsumiert.

Bei dauerhaftem Kontakt mit diesem Menschen merkt man einfach, wie wenig sie mit sich selbst anzufangen wissen. Größtenteils sind es Personen, die irgendwas glauben oder verfolgen müssen, weil sie mit sich selbst nicht klarkommen.

Nach rund 19 Jahren in der rechten Szene hast du also gemeinsam mit deinem Mann den Ausstieg gewagt. Wie lief das konkret ab?

Mein Mann war kurz vor unserem Ausstieg noch einmal im Gefängnis und nutzte die Zeit um sich da einen Plan zu überlegen. Als er raus kam, haben wir uns bei Organisationen Hilfe gesucht, auch, um uns finanziell besser aufzustellen. Wir hatten kein Geld und konnten ohnehin nicht damit umgehen. Mein Mann hat seinen Schulabschluss nachgemacht und einen Ausbildungsplatz gefunden. Ich selbst habe eine Ausbildung als Kinderpflegerin begonnen.

Die Bekannten aus der Szene haben wir damals angelogen und gesagt, wir würden woanders arbeiten oder seien woanders hingezogen. Mein Mann hat damals beispielsweise einfach behauptet, sein Arbeitgeber wüsste, dass er in der Szene ist, toleriere das aber nicht. So konnten wir unsere alten Bekannten erst einmal auf Distanz halten. Doch selbst, als wir politisch nicht mehr aktiv waren, wollten sich diese Leute noch privat mit uns treffen. Wir haben einfach gemerkt, dass die nicht lockerlassen und uns deshalb an die Aussteigerorganisation „Exit“ gewandt. Denn von der Szene wird vieles akzeptiert, der Ausstieg aber nicht.

Wurdet ihr angefeindet oder bedroht, nachdem ihr diesen Schritt gemacht und damit quasi den ultimativen Schlussstrich gezogen habt?

Natürlich. In sechs Jahren Ausstieg sammeln sich da schon einige Beleidigungen und Bedrohungen an. Gegen meinen Mann gab es auch schon versuchte körperliche Angriffe, zum Glück ist nie etwas Schlimmeres passiert. Mittlerweile sind wir sehr vorsichtig, wie wir uns im Leben bewegen.

"Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand von mir abgewendet hat."  

Jetzt führst du ein neues Leben, lebst mit deinem Mann, deinem Kind und einem Hund in München. Schämst du dich manchmal für deine Vergangenheit?

Ja, auf jeden Fall! Obwohl ich so offen damit umgehe, ist es mir unangenehm. Wenn ich jemanden neu kennenlerne, spreche ich meine Vergangenheit sehr schnell an, sonst hätte ich das Gefühl, ich würde etwas verschweigen oder gar lügen.

 

Und wie reagieren die Menschen dann auf dich und deine Geschichte?

Meist recht positiv und sehr überrascht. Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand von mir abgewendet hat. Bis zu einem gewissen Grad hätte ich dafür ja sogar Verständnis. Auf der anderen Seite bin ich nun seit sechs Jahren ausgestiegen, eigentlich sollte niemand Angst haben, dass ich noch Kontakte zur Szene habe oder deren Gedankengut noch in mir trage.

 

Fühlst du dich denn schuldig und versuchst mit deinem Gang an die Öffentlichkeit vielleicht auch etwas wiedergutzumachen?

In gewisser Weise schon. Mir ist zwar bewusst, dass ich für meine Kindheit nichts kann, Eltern sind für Kinder nun mal die wichtigsten Bezugspersonen und prägen sie sehr. Aber in meiner Jugend hätte bei mir schon ein Umdenken stattfinden müssen und das hat es eben nicht. Das werfe ich mir vor. Und natürlich mein Verhalten in einzelnen Situationen, beispielsweise als wir einmal einen linken Fotografen zusammengeschlagen haben.

 

Dein Gesicht sieht man in den Medien mittlerweile oft, auch dein Mann ist bekannt. Werdet ihr auf der Straße darauf angesprochen?

Ich habe das Glück, dass ich alleine eher selten erkannt werde. Aber gemeinsam mit meinem Mann kommt das vor. Oft weiß man anfangs nicht, ob das jetzt ein positives Gespräch wird oder nicht. Haut der mir jetzt eine rein oder sagt der mir etwas Nettes? In den meisten Fällen trifft zwar letzteres zu, aber es gibt auch Menschen, die uns anpöbeln und Verräter nennen.

 

Du hast ein Facebook-Profil unter deinem Klarnamen. Das überrascht mich, ist das nicht anstrengend?

Eigentlich finde ich das ganz gut. Auf der einen Seite bin ich so direkt ansprechbar für andere, die ebenfalls aussteigen wollen. Über Facebook melden sich da wirklich die meisten Leute bei mir, manche wollen auch nur Erfahrungen austauschen. Auf der anderen Seite bekomme ich dort natürlich auch böse Nachrichten. Aber sogar das ist interessant, so kann ich einschätzen, was und wie die Menschen gerade denken.

 

 

Anm. d. Red.: Heidi Benneckensteins Buch ist unter Mitarbeit von Tobias Haberl entstanden. Er arbeitet als Redakteur für das Süddeutsche Zeitung Magazin.

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