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„Ich betrachte die linke Szene heute viel kritischer“

Zusammen mit ihrem Vater Guido suchte Patrizia Schlosser nach den letzten RAF-Mitgliedern.
Foto: Fredy Gareis, Patrizia Schlosser; Bearbeitung: jetzt

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Etwa vierzig Jahre ist es her, dass die RAF die Bundesrepublik terrorisierte. Spätestens nach ihrer offiziellen Auflösung 1998 dachte die Öffentlichkeit, das Kapitel sei vorbei – bis drei mutmaßliche Mitglieder der dritten Generation im Juni 2016 bewaffnet einen Geldtransporter überfielen. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette zwischen 1999 und 2016 mindestens zwölf Raubüberfalle begingen, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren. Die Polizei fahndet immer noch nach ihnen. Doch wie schafften sie es überhaupt, über mehrere Jahrzehnte unterzutauchen? Und wie funktioniert so ein Leben im Untergrund? 

Mit diesen Fragen beschäftigt sich Patrizia Schlosser. Um herauszufinden, wieso jemand zum Terroristen oder zur Terroristin wird und wie man es schafft, jahrzehntelang im Untergrund zu leben, machte die 32-jährige Journalistin sich 2016 auf die Suche nach dem mutmaßlichen RAF-Trio. Unterstützt wurde sie von ihrem Vater Guido, einem 68-jährigen, bayerischen Polizist in Rente, der beim Olympia-Attentat 1972 im Einsatz war. Die beiden sprachen unter anderem mit ehemaligen RAF-Mitgliedern und verschafften sich so einen Einblick in die Köpfe der linksextremen Szene. In ihrem Buch „Im Untergrund: Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich“ erzählt Patrizia Schlosser von der Suche.

Jetzt: Patrizia, wie kam es zu deiner Suche nach dem RAF-Trio?

Patrizia: Die Frage, wie die RAF-Mitglieder zu Terroristen geworden sind und wo sie mittlerweile verblieben sind, beschäftigt mich schon lange. An die Verbindung zu meinem Papa dachte ich aber erst, als das Trio 2016 in den Nachrichten auftauchte. Mein erster Gedanke war: „Krass, das gibt’s ja nicht!“ Zu dem Zeitpunkt rechnete schließlich niemand damit, dass die RAF überhaupt noch existiert. Als Papa mich dann deswegen anrief, fiel mir auf, wie sehr ihn das Thema nach so langer Zeit noch beschäftigte. Dieser Verbindung musste ich dann nachgehen.

Guido, was war dein erster Gedanke, als Patrizia dir vorschlug, sie bei der Suche zu unterstützen?

Guido: Zuerst fragte ich mich, ob sie der Polizei nicht traut. Sie erklärte dann aber schnell, dass sie die Mitglieder nicht tatsächlich finden und überführen will. (lacht) 

P: Als ich dir von der Idee erzählte, sagtest du erstmal, dass das ein Schmarrn sei.

G: Genau. Dass das ein Käse ist, habe ich gesagt.

„Die Recherche hat meinen Blick auf die RAF auf jeden Fall verändert“

Du warst 1972 beim Olympia-Attentat im Einsatz, bei dem 17 Menschen starben. Wie war es, dich nach so langer Zeit wieder mit diesem Erlebnis auseinanderzusetzen?

G: Es war hart. Ich hatte das davor noch nie jemandem so erzählt. Die Geschichte quälte mich damals lange, aber zu der Zeit war es nicht üblich, so etwas therapeutisch aufzuarbeiten. Als Geschenk für unseren Einsatz bekamen wir Eintrittskarten für einen Wettkampf bei der Olympiade, und damit war das für den Arbeitgeber erledigt. 

P: Ich hörte die Geschichte meines Vaters 2017 zum ersten Mal, und fand das wahnsinnig intim. Plötzlich war er eben nicht mehr nur mein Vater, sondern eine ganz andere Person. Da entfaltete sich ein komplettes Leben, von dem ich davor keine Ahnung hatte. Ist ja auch schwer, sich den eigenen Vater als jungen Mann mit solchen Erlebnissen vorzustellen. Das hat mir Respekt eingeflößt. 

G: Dann hätte ich dir eher davon erzählen sollen. (beide lachen)

Guido, du bist der linken Szene von Anfang an mit Skepsis begegnet, während Patrizia ihr sehr offen gegenüberstand. Wie war es für euch, mit so unterschiedlichen Meinungen an einem so politischen Thema zusammenzuarbeiten?

G: Wir haben uns schon gestritten, ge? Die Fetzen sind geflogen. (lacht)

P: Teilweise mussten wir uns zwingen, das durchzuziehen. Wir waren oft erschöpft davon, zusammen unterwegs zu sein. 

G: Es lag immer Zeit zwischen den Treffen. So konnten wir uns erholen. (beide lachen)

P: Die Recherche hat uns einander aber viel näher gebracht. So, wie wir jetzt zusammensitzen, waren wir früher nicht unterwegs. 

Seht ihr die Recherche im Nachhinein als Erfolg?

P: Wir haben das Trio zwar nicht gefunden, aber die Recherche hat uns sehr interessante Ergebnisse gebracht. Durch die ganzen Aussagen von Leuten, die das Trio von früher kennen, konnten wir uns ein Bild von den Menschen dahinter machen. Außerdem hat die Recherche meinen Blick auf die RAF auf jeden Fall verändert. 

„Unsere Gesellschaft tendiert dazu, Linksextremismus zu unterschätzen“

Inwiefern? 

P: Zum Beispiel frage ich mich, inwieweit Menschen, die heute als Ex-RAF-Mitglieder gesucht werden, für Anschläge verantwortlich gemacht werden können. Manche sind vielleicht nur untergetaucht, weil sie Angst davor hatten, dass ihnen im Nachhinein alles angehängt wird, was in der RAF-Geschichte noch ungeklärt ist. Sie denken möglicherweise, würden sie sich stellen, würde der Staat sonst was mit ihnen machen. Also hieß es: Endstation Untergrund.

Im Buch erzählst du auch, dass du während der Recherche anfingst, deine politischen Ansichten in Frage zu stellen.

P: Ich betrachte die linke Szene heute viel kritischer als früher. Unsere Gesellschaft tendiert dazu, Linksextremismus zu unterschätzen – da zähle ich mich dazu. Wenn linke Aktivisten randalieren, werden sie eher als Chaoten bezeichnet, wie beispielsweise beim G20-Gipfel in Hamburg. Wenn solch ein Verhalten von rechts kommt, wird viel genauer hingeschaut.

G: Die Grundeinstellung der linken Seite ist den meisten näher, darum entschuldigt man ihr Verhalten häufig. Ich verstehe die Einstellung, die die RAF-Mitglieder damals hatten, auch. Die Ziele waren richtig, der Weg war falsch. Polizisten können nicht als Unmenschen gesehen werden, die jederzeit umgebracht werden dürfen. 

Gab es während der Recherche denn einen Moment, der dazu geführt hat, dass ihr eure Einstellung hinterfragt?

P: Als wir bei Paul Tiene und Hildegard Krämer waren. Papa fand nämlich sogar, dass das sympathische Menschen waren – obwohl sie sehr links eingestellt waren.

G: Die führen so ein verkorkstes Leben. In jungen Jahren hatten sie vielleicht Erfolgserlebnisse, aber jetzt haben sie große gesundheitliche Probleme und hausen in einem Loch. Ihre Einstellung hat sich all die Jahre nicht verändert. Die taten mir leid.

P: Das, was die bei dem Besuch teilweise zu uns sagten, war echt krass. Hätten Rechtsextreme das gesagt, wäre das überhaupt nicht okay gewesen. Trotzdem saßen wir da und hörten zu. Ich persönlich begann aber vor allem an meiner Offenheit gegenüber der Szene zu zweifeln, als in einem linksextremen Online-Forum ein Artikel über mich erschien, in dem anonym vor meiner Recherche gewarnt wurde. Darin hieß es unter anderem, man wüsste nicht, was meine Motive sind, und ich könnte ja für den Staat arbeiten. Da dachte ich: „Das gibt’s doch nicht, was die für einen Scheiß denken.“

„Eine Demokratie muss so eine Situation aushalten“

Hattet ihr zwischendurch auch mal Bedenken, dass euch das Ganze doch zu heikel wird?

P: Immer mal wieder. Papa war immer recht besorgt.

G: Du hattest Ideen, die ich für falsch hielt. Mein Hauptgedanke war, dass du nach so einer Recherche schnell als linke Journalistin abgestempelt wirst. Und du hast dir ein paar Dinge geleistet, bei denen du Glück hattest, dass sie gut ausgingen. In die „Rote Hilfe e.V.“ (ein Verein zur Unterstützung linker Aktivisten und Aktivistinnen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, Anm. d. Rede) wäre ich zum Beispiel nicht gegangen. Du hast denen ja gesagt, dass du eine Journalistin bist, die zur RAF recherchiert. Da hätten früher bei denen die Alarmglocken geläutet.

Hattet ihr denn den Eindruck, dass die Menschen, mit denen ihr gesprochen habt, immer noch so eingestellt waren wie zu RAF-Zeiten?

P: Nicht alle. Ein paar sahen das durchaus differenzierter. Bei den meisten hat sich aber nichts an der Einstellung geändert. Vielleicht brauchen sie das auch. Denn würden sie sich eingestehen, was für schwerwiegende Fehler sie gemacht haben, müssten sie einen riesigen Teil ihres Lebens in Frage stellen.

Findet ihr, der Staat hätte damals anders mit der RAF umgehen sollen?

P: Der Staat reagierte über. Aus Panik wurde versucht, die RAF-Gruppe auf jegliche Art einzugrenzen. Aber sogar Menschen, die nur Flugblätter verteilten, als Terroristen abzustempeln, war falsch – und schaffte neue Feinde.

G: Der Staat hoffte, über diese Personen an die Mitglieder zu kommen. Das war ein Irrweg, denn eine Demokratie muss so eine Situation aushalten. Man kann nicht einfach alles in Frage stellen und neue Gesetze aufstellen, die die Rechte der Bürger eingrenzen – jetzt rede ich ja fast schon wie du.

P: Das finde ich super! (beide lachen)

Glaubt ihr, eine derartige Situation wäre heute wieder möglich?

P: Ja, das sieht man an der islamistischen Szene. Hier stellt sich immer noch die Frage, ab wann jemand ein Gefährder ist. Und der Staat hat darauf immer noch keine überzeugende Antwort – ist ja auch schwierig. Eine Terrorismusforscherin vom BKA erklärte mir mal, dass durch solche Anschuldigungen ein Prozess in Gange kommt. Wenn jemand von der Presse ein Image als Gefährder übergestülpt bekommt und von den Behörden ständig kontrolliert wird, fängt die Person an, diese Rolle auch zu erfüllen. 

Wie geht es jetzt mit eurer Recherche weiter?

P: Wir planen, uns mit dem Olympia-Attentat und all den ungeklärten Geschichten darum auseinandersetzen.

G: Das wird sicher schwer, weil viele von meinen alten Kollegen gar nicht mehr leben.

P: Heute fahren wir bei einem vorbei, der auch Teil der Einsatzgruppe des Olympia-Attentats war. Mal schauen, ob er da noch wohnt – Papa meint, dass er auf jeden Fall noch lebt. Wir sagen dann einfach mal „Servus“. Das reicht wahrscheinlich erstmal schon. (lacht)

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