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Jamel rockt den Förster
Birgit und Horst Lohmeyer wohnen in Jamel in Mecklenburg-Vorpommern – einem Dorf, das Rechtsextremisten zum „nationalsozialistischen Musterdorf“ einrichten wollen. Das bedeutet: eine gezielte Besiedlung, fremdenfeindliche Aushänge, Beschilderungen in Richtung Hitlers Geburtsort und Feste mit Fackeln und Scheiterhaufen. Inzwischen ist Jamel aber für etwas anderes bekannt: Heute beginnt das 13. „Jamel rockt den Förster“-Festival. Der Veranstaltungsort: Der Forsthof des Ehepaars. In den letzten Jahren sind hier schon Stars wie Die Toten Hosen, Casper & Marteria, Die Ärzte und Herbert Grönemeyer aufgetreten.
jetzt: Frau Lohmeyer, Jamel hat sich in den letzten Jahren verändert.
Birgit Lohmeyer: Ja, als wir 2004 hierhergezogen sind, wohnte ein Neonazi im Dorf. Wir haben vorher lange überlegt, ob wir unseren Traum vom Forsthaus wirklich in diesem Ort erfüllen sollten. Aber wir haben uns damals dafür entschieden, weil wir uns das Zusammenleben mit einem dieser Menschen zugetraut haben. Ein oder zwei Jahre später sind dann aber gezielt immer mehr Nazi-Familien hergezogen. Inzwischen wohnen hier zirka 95 Prozent Nazis: Es gibt im Dorf elf Häuser, neun davon sind mit Nazi-Familien besiedelt - die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen.
Wie kam dann die Idee für das Festival?
Wir sahen uns gezwungen, etwas gegen die Nazis zu unternehmen. Gemeinsam mit Politikern hier aus Mecklenburg-Vorpommern hatten wir die Idee, unseren Forstsitz für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Wir wollten dokumentieren, was hier im Ort passiert und den Nazis zeigen: Dieses Dorf gehört nicht euch allein, es gibt auch noch andere Menschen, die eine offene Gesellschaft wollen, die die Demokratie fördern möchten. So ist das Festival entstanden.
Also ist die Veranstaltung eine Demonstration gegen rechts?
Nein, das ist ein Denkfehler, den Journalisten häufig machen. Wir machen kein Rockfestival gegen rechts. Wir machen ein proaktives Festival für Demokratie und Toleranz. Das wird in den Schlagzeilen oder Berichterstattungen immer gerne verkürzt auf „gegen rechts“. Das ist nicht unsere Intention.
Aber warum ein Rockfestival – ist Musik politisch?
Vergnügungsveranstaltungen und gerade Musikveranstaltungen sind besonders gut dafür geeignet, Menschen, die sich vielleicht eher als apolitisch verstehen, zu informieren. Wir haben hier ein riesiges Beiprogramm während des Festivals, mit Infoständen verschiedenster gesellschaftlicher Initiativen und Workshops. Wir glauben wirklich, dass Musik die Herzen der Menschen am ehesten erreicht – und auch am schnellsten und einfachsten. Dabei sind wir nicht diejenigen, die mit Grundsatzreferaten nerven wollen. Es geht uns darum, die Menschen direkt zu erreichen, emotional zu packen und zu begeistern.
„Wir wurden oft bedrängt, drangsaliert, bedroht, bestohlen“
Wer dieses Jahr auftreten wird, erfahren die Besucher erst heute Abend. Man kann aber mit großen Namen rechnen. Verliert man da mal aus den Augen, worum es eigentlich geht?
Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Mittlerweile ist es sogar so, dass berühmte Künstler sich bei uns melden und auf unserer Bühne stehen wollen, auch um ein gesellschaftspolitisches Statement abzugeben. Herbert Grönemeyer zum Beispiel im vergangenen Jahr: Den haben nicht wir kontaktiert, sondern sein Management hat uns angesprochen.
Vielen Ihrer Nachbarn gefällt Ihr Engagement offenbar gar nicht. 2015 wurde ihre Scheune von Unbekannten angezündet, sie ist vollständig abgebrannt.
Wir wurden oft bedrängt, drangsaliert, bedroht, bestohlen. Weil unsere Nachbarn natürlich gemerkt haben: Wir sind keine Nazis. Wir wurden Opfer von Sachbeschädigungen und so weiter und so fort. Der Brandanschlag war natürlich ein sehr traumatisches Erlebnis. Aber trotz alldem hat uns das eigentlich nur in unserem Vorhaben bestärkt, weil wir danach auch sehr prominente Unterstützung bekommen haben. Zum Beispiel von den Toten Hosen, die für einen Benefiz-Auftritt gekommen sind und uns Profis aus ihrem Organisationsteam zur Verfügung gestellt haben. Deswegen ist unser Bandprogramm inzwischen auch so hochkarätig.
Nach all den schlechten Erfahrungen einfach wegzuziehen war keine Option?
Das steht nicht zur Debatte, nein. Das hier ist unsere neue Heimat geworden, wir leben jetzt seit 15 Jahren hier. Wir lassen uns von niemandem von unserem eigenen Hof vertreiben.
Trotzdem kann es auch für die Besucher gefährlich werden.
Wir haben eine sehr gute, professionelle Security und die Polizeikräfte sind während der ganzen Veranstaltung rund um die Uhr im Einsatz und schützen die beiden politischen Lager voreinander. Wobei von unserer Seite natürlich keine Aggressionen ausgehen. Wir sind Pazifisten, die ganze Veranstaltung ist sehr friedlich.
1200 Besucher kommen zu Ihrem Festival, seit November letzten Jahres ist es ausverkauft. Planen Sie, es bei der Nachfrage größer werden zu lassen?
Wir haben 1200 Tickets verkauft, auf dem Gelände selber werden bis zu 2000 Menschen sein. Das Festival zu vergrößern ist schlicht nicht möglich, weil unsere Flächen ja nicht größer werden. Und es soll genau hier im Ort stattfinden. Uns wurde auch vorgeschlagen, es einfach wo anders zu machen. Aber der Anlass, der ja immer noch existiert, ist hier im Dorf. Und insofern muss da Festival – das ja auch noch „Jamel“ im Namen trägt – natürlich weiterhin hier stattfinden.
2007 hat „Jamel rockt den Förster“ zum ersten Mal stattgefunden. Hat sich seitdem etwas verändert?
Wir hoffen, dass sich in den Köpfen der Menschen, die unser Festival besuchen oder die über die Berichterstattung davon erfahren haben, etwas verändert. Wir erwarten aber in keinem Fall, dass sich hier im Dorf irgendwas verändert. Das sind steinharte, ideologisch geschulte Nazis, bis hin zu den Kindern, die im jüngsten Alter durch ihre Eltern völlig indoktriniert werden. Hier wird sich nichts tun.
Die Veranstalter möchten darauf hinweisen, dass alle Tickets ausverkauft sind. Ohne gültiges Ticket kommt niemand auf das Festivalgelände oder auf die Camping-Plätze.