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Junge Italiener sprechen über ihre neue Regierung und die Zukunft des Landes
Die Regierungsbildung in Italien hat sich über Wochen hingezogen und in den vergangenen Tagen gab es noch einmal ein großes Auf und Ab: Zunächst legte am Sonntag Staatspräsident Sergio Mattarella ein Veto gegen die geplante Koalition aus der rechtsextremen Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung ein. Er hatte Einwände gegen den von den Koalitionären vorgeschlagenen Wirtschaftsminister Paolo Savona, einen bekannten Euroskeptiker. Plötzlich stand das Land vor Neuwahlen – bis sich am Donnerstag alle Beteiligten doch noch auf eine Regierung einigten, die am Freitag vereidigt wurde. (Mehr dazu auf sz.de.)
Wir haben junge Italiener gefragt, wie sie die letzte Woche erlebt haben, was sie über das Veto und die neue Regierung denken und welche politische Zukunft sie jetzt für ihr Land sehen.
„Ich glaube, bei den Bürgerrechten werden wir große Rückschritte erleben“
Sara Capone, 22, studiert International Studies in Rom
„Drei Monate hat Italien auf eine Regierung gewartet und jetzt, da wir eine haben, mache ich mir ehrlich Sorgen, welche Folgen das haben wird. Wenn man sich die letzten Tage genauer anschaut, mit all dem, was zwischen Staatspräsident Mattarella und den Parteivorsitzenden Salvini von der Lega und Di Maio von Fünf Sterne vorgefallen ist, wird ziemlich schnell klar, dass Salvini alles getan hat, um zu bekommen, was er wollte. Er hat es geschafft.
Mattarella hat das getan, was er tun musste: Er hat das ihm verliehene Mandat respektiert, indem er einen starken EU-Gegner wie Savona nicht als Wirtschaftsminister akzeptiert hat. Doch Salvini ist es gelungen, durch diese Situation in den letzten Tagen noch mehr Rückhalt zu bekommen. Dann hat er sich auch noch als Retter der Demokratie aufgespielt, nur, um sofort ein anderes Ministerium mit Savona zu besetzen. Trotzdem bin ich froh, dass es diesen Sommer keine Neuwahlen geben wird. Salvini hätte nicht nur haushoch gewonnen, die populistischen Parteien hätten sich auch noch mehr untereinander vereint.
Die politische Zukunft Italiens macht mir Sorgen. Ich habe Angst, dass die Regierung einen noch rechteren Weg einschlagen wird. Vor allem wegen bestimmter Minister: Da ist Salvini als zukünftiger Innenminister mit seiner starken Ablehnung gegenüber Migranten. Ich befürchte, dass wir wie Ungarn mit seinen restriktiven Gesetzen werden könnten. Und dann ist da noch Fontana als Familienminister – ein Homophober, der auch gegen Abtreibung und Sterbehilfe ist. Leider sind diese beiden nicht die einzigen Beispiele. Ich glaube, dass wir bei den Bürgerrechten große Rückschritte erleben werden.“
„Wir wollen keine Masseneinwanderung mehr“
Marco Schiesaro, 31, aus Padua macht einen Master in Europäischer Integration und leitet ein Unternehmen, das Tiefkühlprodukte herstellt.
„Viele Menschen in Italien sind gerade sehr glücklich. Denn sie haben ein neues Selbstbewusstsein gewonnen. Nach 88 Tagen Regierungsbildung haben wir zum ersten Mal in der Geschichte mit der Regierungskoalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung eine, die über das gewöhnliche rechts-links Schema hinausgeht. Wenn ich hier andere Leute frage, sagen mir viele: ‚Es war Zeit, dass die sich getroffen haben!‘
Ich denke, dass die neue Regierung sehr wichtige Themen angeht: Die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, Steuersenkungen und Europa. So wie es jetzt ist, funktioniert Europa nicht. Das Dublin-Abkommen muss überprüft werden.
Denn wir Italiener haben ein enormes Problem mit der Einwanderung. Italien ist zusammen mit Griechenland das südliche Tor Europas und es gibt einfach zu viel illegale Migration. Doch nun hat die Wahl klar gezeigt: Viele wollen keine Masseneinwanderung mehr.
Dieses Wahlergebnis ist dabei weder gegen Europa, noch gegen den Euro gerichtet. Aber Italien wehrt sich gegen das System von Regeln aus Brüssel. Ein System, das nicht besonders gut funktioniert. Wir haben langsam keine Demokratie mehr, sondern eine Technokratie.
Viele Entscheidungen in der Europäischen Union werden dabei zu Gunsten Deutschlands getroffen. Es gibt vor allem einen harten Wettbewerb zwischen den europäischen Volkswirtschaften und keine Gemeinschaft mehr. Deutschland steht an der Spitze und Italien kommt erst danach.
Auch wurde in den letzten Tagen in der deutschen Presse zum Teil sehr abfällig über Italien gesprochen. Und das haben viele Menschen hier sehr schlecht aufgenommen. Diese Art von Umgang ist nicht gerade wünschenswert. Deutschland bleibt ein sehr wichtiger Handelspartner. Dennoch darf es sich nicht in das politische Innenleben eines anderen Landes einmischen.“
„Diese Regierung ist ein seltsamer Mix“
Marco Cellini, 33, aus Rom macht gerade seinen Doktor in Politikwissenschaften
„Ich war ziemlich perplex darüber, dass Mattarella am vergangenen Sonntag ein Veto einlegte. Er kann natürlich seine persönliche Meinung haben, aber als Präsident repräsentiert er das Land und es ist nicht seine Aufgabe zu entscheiden, welche politische Richtung eingeschlagen wird. Genauso wenig sollte er den Wunsch der Öffentlichkeit umgehen. Demokratie funktioniert so nicht.
Auch wenn linke Parteien meine Sicht der Dinge besser vertreten, respektiere ich, dass nun rechte und populistische Parteien die Mehrheit erhalten haben. Somit ist es gut, dass sie nun doch die Möglichkeit haben, eine Regierung zu bilden. Neuwahlen hätte ich nicht für sinnvoll gehalten. Die Menschen haben entschieden und eine mögliche Mehrheit im Parlament existierte bereits.
Dennoch ist diese Regierung ein seltsamer Mix. Matteo Salvini von der Lega und Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung erzählen zwar etwas über eine „Regierung der Veränderung“ – wenn ich mir aber die Namen der zukünftigen Minister so ansehe, haben wir auf der einen Seite zukünftige Minister, die fragwürdige Ideen von Veränderung und Fortschritt haben: Erika Stefani, die designierte Ministerin für regionale Angelegenheiten, möchte zum Beispiel die nördlichen und reicheren Regionen steuerlich unabhängiger machen. Wobei diese natürlich noch mehr profitieren würden. Und auf der anderen Seite haben wir Personen, die für ihre reaktionären Ideen bekannt sind. Wie etwa der zukünftige Familienminister Lorenzo Fontana, der eine starke Haltung gegen Abtreibung vertritt.
Aufgrund dieser Zusammenstellung ist es meiner Meinung nach gerade nicht möglich, eine Prognose für die Zukunft zu treffen. Es wird aber schwer für Lega und Fünf Sterne werden, alle ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen. Einige Vorhaben sind wahrscheinlich verfassungswidrig: Sie wollen zum Beispiel gegen das Dublin-Abkommen vorgehen. Damit gefährden sie internationale Verträge. Andere Vorschläge sind einfach nicht praktikabel, wie etwa die geplanten Steuersenkungen. Denn woher nehmen wir Geld für Sozialausgaben, wenn wir die Steuern bei Reichen und Armen gleichzeitig senken?“
„Unsere Gesellschaft macht gerade eine kulturelle Krise durch“
Marco Dell’Avvento, 25, hat gerade seinen Master in Wirtschaft in Turin gemacht
„Für mich hat sich diese Woche wie ein weiterer Beweis dafür angefühlt, dass unsere Politiker nicht an die Zukunft dieses Landes glauben. Wir haben glücklicherweise immer noch eine auf einem Parlament basierende Republik und keine Präsidialrepublik – aber unsere Politiker und auch viele Menschen haben so getan, als wäre das nicht so.
Ich glaube, es war falsch von Mattarella, aus politischen Beweggründen ein solches Veto einzulegen. Die Regierung nun doch zuzulassen, war somit die einzig wirklich richtige Entscheidung. Neuwahlen hätten uns womöglich noch eine erneute Regierung mit Berlusconi beschert und Salvini und die Lega hätten an die 30 Prozent bekommen. Und das wäre momentan wirklich das schlimmste Szenario gewesen.
Trotzdem kann ich nicht sagen, dass mich die Situation, wie sie jetzt ist, glücklich macht. Das einzige, was ich mir erhoffe, sind ein paar strukturelle Veränderungen: Zum Beispiel ein Gesetz gegen Korruption, was ein wichtiger Teil des Wahlprogramms der Fünf Sterne war.
Natürlich geht es jetzt auch darum, extreme Positionen, die sich gegen Flüchtlinge oder gleichgeschlechtliche Paare richten, zu vermeiden. Alles Themen, die Salvini und seiner Partei im Vorfeld viele Stimmen gebracht haben.
Die Frage nach Italiens politischer Zukunft ist nicht leicht zu beantworten. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft gerade eine kulturelle Krise durchmacht. Europa muss folgendes einsehen: Wir müssen mehr in Bildungsprogramme investieren und wie eine richtige Einheit agieren, unsere Zukunft als Mitglieder der gleichen Union hängt davon ab. Zurzeit gibt es zu viel Zersplitterung.“