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Wie zwei Videos vor der Wahl in Österreich die ÖVP zerstören sollen

Screenshot: Youtube; Bearbeitung: jetzt

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Am Sonntag wird in Österreich ein neuer Nationalrat gewählt. Die Chancen, dass die ÖVP weiterregiert, stehen gut. Die Partei von Kanzler Sebastian Kurz ist das österreichische Pendant zur CDU – und hat jetzt ein Problem, das den deutschen Christdemokraten bekannt vorkommen sollte. Auf Youtube gehen zwei Videos viral, die beide den gleichen Titel tragen: „Die Zerstörung der ÖVP“. Beide Macher gehen zu Beginn ihres Videos direkt auf Rezo und seine „Zerstörung der CDU“ vor der Europawahl Ende Mai ein. Keiner der beiden ist professioneller Youtuber. Absurd daran: Die beiden Macher wussten nichts von dem jeweils anderen Video, dennoch gingen beide Produktionen etwa zeitgleich online.

Konstantin Kladivko steckt hinter „Die echte Zerstörung der ÖVP“. Er studiert Jura in Wien, ursprünglich kommt er aus Paffstätten, einer kleinen Gemeinde in Niederösterreich. Der 25-Jährige sagt im Gespräch mit jetzt: „Mir ist wichtig, dass sich junge Menschen wie ich mit Politik befassen. Ich will, dass die Jungen anfangen, kritisch gegenüber Parteien und Politikern zu werden.“ Junge Menschen sollten nicht einfach an alles glauben. Um das zu erreichen, hat er viel Freizeit investiert: „Das Video war sehr viel Arbeit, ich habe mehrere Wochen recherchiert. Das ist wie eine kleine wissenschaftliche Arbeit.“ Bereits im Juli begann er mit den Vorbereitungen. Freitagnachmittag haben sich schon mehr als 91 000 Menschen das Video angesehen. Das ist für Österreich eine beachtliche Anzahl an Klicks – vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Konstantin keine Basis an Follower*innen hat.

Wie Rezo hangelt er sich an verschiedenen Themen wie Bildung, Klimaschutz und Chancengerechtigkeit entlang, führt die Standpunkte der konservativen Politiker*innen vor und stellt ihnen recherchierte Fakten gegenüber. Die ÖVP habe in den vergangenen Jahren an der Zerstörung des Planeten gearbeitet, sagt er. „Kein anderes Land in der EU hat weniger Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt“, wirft Konstantin der Partei vor. Die ÖVP leitet immerhin seit 32 Jahren das österreichische Umweltministerium. Die Politik tue so, als ob sie handeln würde, mache aber in Wirklichkeit „genau gar nichts“.

Auch die Wahlkampfkosten der ÖVP schaute sich Konstantin genauer an. Denn: Die Partei hatte im vergangenen Wahlkampf immer behauptet, sich an alle gesetzlichen Vorgaben halten zu wollen. Tatsächlich hat die Partei aber wohl versucht, zwei Millionen mehr einzuplanen als vorgeschrieben. So kommt der Student nach 35 Minuten Monolog zu einem ernüchterten Ergebnis: „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es so arg ist.“ Und ruft dazu auf, die Partei auf keinen Fall zu wählen.

„Youtube stand nie auf meinem Lebensplan“

„Ich bin kein Parteimitglied. Keine Partei hat Geld oder sonstige Ressourcen für dieses Video zur Verfügung gestellt“, steht am Ende des Videos. Vorbild ist für Konstantin klar Rezos Video. Vor der Wahl in Österreich habe er darauf gewartet, dass die großen österreichischen Youtuber ein ähnliches Video produzieren, erzählt er im Gespräch mit jetzt. Doch das passierte nicht. Also musste er selber ran. „Youtube stand nie auf meinem Lebensplan. Doch dieses Thema war mir einfach zu wichtig, um es nicht zu tun.“ Er sei extrem besorgt, dass die ÖVP nach der Wahl wieder das Umweltministerium bekomme. Denn die ÖVP-Klimapolitik könne sich das Land nicht mehr leisten.

Paul, der Macher des zweiten Zerstörungs-Videos bekennt sich klar zu den Grünen, er ist Parteimitglied. Die Partei aber habe mit dem Video nichts zu tun. Fast 45 000 Mal wurde sein Video in den vergangenen vier Tagen angeklickt. „Mit dem Gedanken, ein Video zu machen, habe ich schon länger gespielt“, sagt Paul, der in Wien Politikwissenschaften studiert, im Gespräch mit jetzt. Rezo habe ihn auf jeden Fall inspiriert. Insgesamt zwei Monate lang habe er dann intensiv recherchiert und gemeinsam mit seiner Freundin den Text geschrieben. Die habe auch beim Filmen geholfen. „Was hier herauskommt, sollte der österreichischen Bevölkerung echt nicht egal sein“, sagt der 22-Jährige. Sein Video richtet sich gegen ÖVP und FPÖ. Auch er spricht über das Versagen der Partei beim Klimaschutz, Machtkämpfe innerhalb der Partei, den Ibiza-Skandal und schaut sich insgesamt an, „für was sich ÖVP und FPÖ eigentlich einsetzen“. Auf die Wahl am Sonntag schaue er mit gemischten Gefühlen, sagt er am Telefon. „Ich halte es für sehr realistisch, dass Schwarz-Blau weiterregiert. Dafür hoffe ich auf einen Einzug der Grünen ins Parlament.“

Viele Menschen in Österreich finden beide Videos fantastisch. „Mehr davon! Und bitte weiter so nach den Wahlen“, schreibt einer unter dem Video von Paul, ein anderer: „Hab zwar fast alles schon gewusst, will aber jetzt trotzdem nur weinen.“ Paul ist davon überrascht und fühlt sich gleichzeitig bestärkt. Vielleicht, sagt er, mache er mit den Videos nach der Wahl auch weiter. „Ich denke, dass das eine gute Möglichkeit ist, junge Menschen zu erreichen.“ Auch Konstantin hat fest vor, weiter öffentlich seine politische Meinung zu vertreten: „Das ist wahnsinnig wichtig für eine Demokratie.“

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