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„Wie oft wollen wir das Märchen des Einzeltäters noch glauben?“

Aminata Touré ist Grünenpolitikerin und setzt sich schon lange gegen Rassismus ein.
Foto: Jan Gemkow

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Nach dem rechtsextremen Terroranschlag in Hanau wurde auf Twitter auch Kritik an der Berichterstattung der Medien laut. Wir haben mit Aminata Touré über den Anschlag und die Reaktionen darauf gesprochen. Die 27-jährige Grünen-Politikerin ist Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtages. Sie setzt sich immer wieder ein gegen Rassismus, für Feminismus und queere Menschen. Wir sprachen mit ihr über Rassismus in Deutschland und darüber, was nach Hanau geschehen muss.

jetzt: Wie geht es dir gerade? 

Aminata Touré: Meinst du als Politikerin oder als Privatperson? 

Erst einmal als Privatperson. 

Ich bin sehr betroffen, weil so viele Menschen Angst um ihre eigene Sicherheit haben. Das haben mir sehr viele Menschen geschrieben. 

Hast du auch Angst um deine Sicherheit? 

So weit würde ich nicht gehen. Aber es macht mich traurig, dass es vielen so geht. Denn ich kann die Angst gut nachvollziehen. 

„People of Colour werden seit Jahren nicht ernst genommen“

Wie hast du als Politikerin die Reaktionen auf den Anschlag erlebt? 

Mich schockiert es, dass so viele Menschen das Gefühl haben, dass ihre Ängste nicht ernst genommen werden. Und zwar Menschen, die potentiell auch Opfer eines solchen Anschlags werden könnten: Menschen mit Migrationshintergrund, jüdische Menschen, muslimische Menschen. People of Colour werden seit Jahren nicht ernst genommen. Die Warnungen, die wir formulieren, werden ignoriert. Das macht nachdenklich.

Ärgerlich ist auch, dass immer noch oft von „fremden-“ oder „ausländerfeindlichen Angriffen“ die Rede ist. Diese Wortwahl macht deutlich, dass viele das Motiv nicht begriffen haben. Es geht dem Täter nicht darum, ob man einen deutschen Pass hat oder nicht. Sondern darum, dass man nicht-weiß ist, dass man jüdisch ist oder muslimisch. Deswegen ist das Tatmotiv Rassismus und nicht Ausländerfeindlichkeit.

Frustriert es dich, dass viele den Unterschied zwischen diesen Begriffen immer noch nicht sehen? 

Ich bin nicht frustriert, sondern ich bin immer hoffnungsvoll, dass sich in unserer Gesellschaft etwas verändert. Wenn ich frustriert wäre, dann würde ich keine Politik machen. Ich bin froh, dass immer mehr Menschen den Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ kritisieren und ich denke, dass sich auch langsam etwas ändern wird.

Wie sollten wir uns in unserer Gesellschaft mit Rassismus auseinandersetzen? 

Vor allen Dingen auf ernsthafte Art. Rassismus ist kein Wohlfühlthema, das mit der „Internationalen Woche gegen Rassismus“ abgehakt ist. Rassismus ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Ich selbst bin als Politikerin ja auch dafür verantwortlich, es ist einer meiner Schwerpunkte. Manchmal fragen mich Menschen, wieso es notwendig ist, darüber immer wieder zu sprechen. 

Was sagst du dann? 

Dass sie mal um sich schauen sollen, was so passiert in unserer Gesellschaft. Und sich die Frage dann selbst beantworten sollen. Es gibt rechten Terror, People of Colour werden angegriffen, Rassismus ist Alltag für viele von uns. 

„Zu viele Menschen in unserer Gesellschaft sind rechtsradikal und rassistisch“

Gerade bekunden viele Menschen ihre Solidarität, bundesweit gab es Mahnwachen. Was aber, wenn das in ein paar Tagen wieder abflaut, wie es so oft schon passiert ist? 

Das ist das große Problem. Es geht um mehr als Lippenbekenntnisse. Ja, es ist unfassbar wichtig, dass an solchen Tagen Solidarität ausgesprochen wird und dass People of Colour wissen: Wir sind nicht allein. Aber was noch wichtiger ist, ist, dass diese Frage strukturell beantwortet wird. 

Inwiefern? 

Man muss sich die Frage stellen: Wie sieht es aus in unserem Bildungsbereich, in den Schulen? Wir müssen zum Beispiel darüber aufklären, wie rassistische Bilder entstehen. Wir müssen auch in den Sicherheitsbehörden und in der Justiz ganz genau hinschauen, inwieweit da struktureller Rassismus Thema ist. Also, einen Aktionsplan gegen Rassismus, bei dem alle Ministerien Maßnahmen gegen strukturellen Rassismus ausarbeiten müssen, wie ich ihn für Schleswig-Holstein in den Koalitionsvertrag verhandelt habe.

Erst vergangenes Wochenende wurde von den Behörden eine rechtsextreme Terrorzelle hochgenommen. 

Ja, das zeigt: Zu viele Menschen in unserer Gesellschaft sind rechtsradikal und rassistisch. Und das müssen wir deutlich benennen. Aber ich habe das Gefühl, dass viele schon ein Problem damit haben, das Wort Rassismus in den Mund zu nehmen. Jeder Einzelne und jede Einzelne ist in der Verantwortung, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und solidarisch zu sein. Ganz viele Menschen versuchen aber erst einmal, ein „aber“ zu finden. 

Also zum Beispiel behaupten, das sei ein Einzeltäter gewesen?

Genau. Das ist einfach Quatsch. Wie oft wollen wir das Märchen des Einzeltäters noch glauben? Die Zivilgesellschaft muss sich auch damit auseinandersetzen. Auch, weil sie ihre Vertreter*innen in die Parlamente wählt. Das ist der Job aller Menschen.

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