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„Eine Tochter zu haben, macht einen Mann noch nicht anständig“

Alexandria Ocasio-Cortez äußerte sich erst nur auf Twitter zu dem Vorfall mit dem Abgeordneten Ted Yoho. Doch nachdem er sich dazu im Kongress geäußert hatte, entschloss sie sich, zu kontern.
Foto: Uncredited/House Television/AP/dpa

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Alexandria Ocasio-Cortez spricht ruhig und gefasst. Nur, als sie ihren verstorbenen Vater erwähnt, bricht ihre Stimme kurz. „Mein Vater muss zum Glück nicht mehr mit ansehen, wie Mister Yoho seine Tochter behandelt“, sagt sie. Es ist der persönlichste Moment in ihrer Rede – in der sie ansonsten sehr deutlich macht, dass es ihr eigentlich nicht um sich selbst geht. Sondern darum, dass Männer immer noch ungestraft Frauen beleidigen könnten. Sogar auf den Stufen des Kongressgebäudes in Washington. Und dass gewalttätige Sprache eben auch eine Form von Gewalt sei.

Ocasio-Cortez – Star der demokratischen Linken, berühmte Kritikerin des Präsidenten und oft bei ihren Initialen AOC genannt – hat diese zehnminütige Rede am Donnerstag im Repräsentantenhaus gehalten, als Reaktion auf einen Vorfall vom vergangenen Montag. Von diesem gibt es kein Video und keine Tonaufnahme, aber ein Reporter der Nachrichtenseite The Hill hatte ihn beobachtet und anschließend öffentlich gemacht:

An jenem Tag begegneten sich demnach AOC und ihr Kollege Ted Yoho, republikanischer Abgeordneter aus Florida, vor dem Kapitol, er auf dem Weg nach draußen, sie auf dem Weg nach drinnen. Dort stellte er sie zur Rede, weil sie sich kürzlich bei einer Podiumsdiskussion zu steigenden Kriminalitätsraten in ihrer Heimatstadt New York während der Corona-Pandemie geäußert hatte. AOC sah hier einen Zusammenhang mit Armut und Arbeitslosigkeit und warb dafür, das Budget der Polizei zu kürzen und das Geld für soziale Programme zu nutzen. Yoho ist da offensichtlich anderer Meinung und äußerte sich dem The Hill-Bericht nach sehr unflätig: Er habe AOC „ekelhaft“ und „durchgeknallt“ genannt. Sie habe erwidert, er sei unhöflich. Daraufhin hätten die beiden sich getrennt, wobei Yoho seine Gesprächspartnerin im Weggehen eine „fucking bitch“ genannt haben soll.

Nach der Veröffentlichung bei The Hill äußerte AOC sich in einem Tweet. Sie habe vor dem Vorfall noch nie mit Yoho gesprochen und normalerweise komme sie gut mit ihren Abgeordneten-Kolleg*innen zurecht.

Damit hätte die Sache erledigt sein können. Yoho beschloss allerdings, sich im Kongress dazu zu äußern – und handelte sich mit seinem eineinhalbminütigen Statement erneut Kritik ein. Er wolle sich für die „abrupte Art und Weise des Gesprächs“ entschuldigen, sagte er, stritt allerdings ab, die erwähnten Beschimpfungen geäußert zu haben. Als verheirateter Mann und Vater zweier Töchter sei er sich seines Sprachgebrauchs sehr bewusst. Yoho begründete die Heftigkeit seiner Äußerungen mit seiner „Leidenschaft“ für politische Themen und die Menschen, die davon betroffen seien. Seine „Entschuldigung“ endete mit den Worten: „Ich kann mich nicht für meine Leidenschaft entschuldigen, oder dafür, meinen Gott, meine Familie und mein Land zu lieben.“

AOC reagierte wiederum prompt auf Twitter. Yoho übernehme keine Verantwortung. Sie werde ihren Nichten und anderen jungen Menschen nicht beibringen, dass seine Äußerungen im Kongress eine Entschuldigung seien und dass Frauen so etwas hinnehmen müssten. „Er hat nicht mal meinen Namen gesagt“, ergänzte sie in einem weiteren Tweet.

Das alles führte schließlich zu ihrer Rede am Donnerstag. Sie habe es schon häufiger erlebt, sprachlich derart angegangen zu werden, sagte AOC, immerhin habe sie in der Gastronomie gearbeitet und sei in New York mit der U-Bahn gefahren. „Das ist nicht neu. Und das ist das Problem.“ Die Alltäglichkeit und die Akzeptanz von Gewalt und gewalttätiger Sprache gegen Frauen benennt sie als strukturelles Problem, das auf einer bestimmten Machstruktur basiere. Als Beispiel dafür, wie absolut diese Akzeptanz sei, nannte sie unter anderem den amerikanischen Präsidenten, der zu ihr gesagt habe, sie solle „nach Hause gehen“. Damit bezog sie sich wohl auf den vielfach kritisierten Tweet Trumps, in dem er Abgeordneten der Demokraten nahegelegt hatte, in ihre Heimatländer „zurückzugehen“ – die vier Abgeordneten, die er damit wohl meinte, sind alle US-Amerikanerinnen, drei davon, darunter AOC, sogar gebürtig.

Als besonders problematisch empfand AOC es, dass Yoho in seiner Rede so prominent seine Familie erwähnte. „Ich habe ein Problem damit, wenn Frauen, Ehefrauen und Töchter als Entschuldigung für schlechtes Benehmen benutzt werden“, sagte sie. „Ich bin auch die Tochter von jemandem.“ Nämlich die ihres verstorbenen Vaters und ihrer Mutter, die ihr beigebracht hätten, Belästigungen von Männern nicht zu akzeptieren. „Eine Tochter zu haben, macht einen Mann noch nicht anständig. Eine Ehefrau zu haben, macht ihn nicht anständig. Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln, das macht einen anständigen Mann aus.“

AOC, die auf Twitter fast acht Millionen Follwer*innen hat, bekam dort für ihre Rede viel Zuspruch, wurde aber auch kritisiert. Einige Nutzer*innen schrieben, sie inszeniere sich als  Opfer und die Reaktion sei übertrieben. Viele aber lobten, dass sie von diesem persönlichen Erlebnis aus auf ein größeres Problem verwiesen habe. Zudem wurde oft erwähnt, wie „ruhig“ und „kraftvoll“ ihre Rede gewesen sei. Das war eventuell sogar eine sehr bewusste Entscheidung von ihr: Tatsächlich wird es Frauen meist nicht positiv ausgelegt, wenn sie sich allzu „leidenschaftlich“ äußern – wohingegen Männer ausfallend werden und sich hinterher damit entschuldigen können, „leidenschaftlich“ gewesen zu sein. Quod erat demonstrandum.

nasch

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