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Wie China versucht, freie Meinungsäußerungen im Westen zu untergraben

Mercedes, Zara, Blizzard – die Liste der Firmen, die sich in letzter Zeit bei China entschuldigt haben, ist lang.
Illustration: Julia Schubert

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„In einer Welt, in der China die Kunst in meinem Land diktiert, lohnt es sich nicht zu leben“, sagt ein kleiner, zehnjähriger Junge mit blauer Mütze. Gerade hat er sich entschlossen, sich nicht dem Druck der Produktionsfirma zu beugen und die Dokumentation über seine Band so zu verändern, dass sie mit der chinesischen Politik zu vereinbaren ist. Das ist der Plot der South Park Folge „Band in China“, in der die Einflussnahme Chinas auf die amerikanische Popkultur thematisiert wird. Dass man den Folgentitel auch als „Banned in China“ aussprechen kann, hat prophetischen Charakter. Kaum wurde die Folge veröffentlicht, war plötzlich kein einziges Video der US-Serie von China aus abrufbar.

Tatsächlich ist der Inhalt der Folge, die sich zunächst nach satirischer Übertreibung anhört, sehr nahe an der Realität. Der Einfluss, den China auf die europäische und US-amerikanische Kultur nimmt, ist in den vergangenen Jahren immer stärker geworden. Hollywood, die Modeindustrie, der Sport – alle sind betroffen. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein großes Unternehmen sich reumütig zeigt, öffentlich ein angebliches Fehlverhalten bedauert und für immer Besserung gelobt – aus Angst vor immensen wirtschaftlichen Einbußen oder gar dem kompletten Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu China.

Mercedes entschuldigte sich wegen Dalai-Lama-Zitat

Swarovski , Gap, Versace, McDonald's, Delta Airlines, Qantas, Givenchy, Zara und Coach – die Liste der Firmen, die sich in den vergangenen Monaten bei China entschuldigt haben, ist lang. Denn die chinesische Regierung nimmt starken Einfluss darauf, was Firmen, die in China Geld verdienen wollen, erlaubt ist zu sagen und was nicht. Besonders bei Kritik an der sogenannten Ein-China-Politik reagieren die Regierung in Peking, die sozialen Medien und chinesische Influencer seit einigen Jahren sehr schnell und sehr heftig.

So zählten beispielsweise Versace, Calvin Klein und Qantas Hong Kong und Macau in einer Liste von Ländern auf, in die sie ihre Waren liefern. Für China eine Provokation, da der Ein-China-Politik zufolge nicht nur Hong Kong und Macau, sondern auch Taiwan und Tibet zu China gehören. Gap musste sich öffentlich entschuldigen, weil sie letztere Gebiete nicht auf ein T-Shirt druckten, das die Umrisse Chinas zeigen sollte. Autobauer Mercedes entschuldigte sich im vergangenen Jahr öffentlich dafür, eine Texttafel mit einem Dalai-Lama-Zitat auf Instagram veröffentlicht zu haben. Computerspiele-Hersteller Blizzard schloss kürzlich einen professionellen E-Sportler von seinem Hearthstone Wettbewerb aus, weil er seine Unterstützung für die Demonstrationen in Hong Kong ausgedrückt hatte.

„Fight for Freedom. Stand with Hong Kong“

Der Ablauf der Empörungswelle aus China ist meistens derselbe: Chinesische Staatsmedien machen auf eine „Verfehlung“ aufmerksam, mit der klaren Botschaft, dass das eine nicht hinzunehmende Beleidigung der chinesischen Selbstverständnisses darstelle und dass dies das Ende der Geschäftsbeziehungen sein könnte. Garniert wird das mit einem Shitstorm in den sozialen Netzwerken, inklusive öffentlichkeitswirksamen Vertragsauflösungen durch bekannte Testimonials.

Am heftigsten bekam in letzter Zeit die amerikanische National Basketball Association (NBA) den Zorn Chinas zu spüren. Sieben Wörter reichten aus, um eine Krise auszulösen, die bis in die höchsten Ebenen der Politik vordrang. Es war ein Tweet auf dem privaten Konto von Daryl Morey, dem General Manager der Basketball-Mannschaft Houston Rockets, der die Kontroverse lostrat. Eine simple Textkachel mit der Botschaft: „Fight for Freedom. Stand with Hong Kong“. Der Tweet überlebte nur wenige Stunden, bevor ihn Morey wieder löschte und sich anschließend entschuldigte.

Da war der Schaden schon irreparabel: Zwei große chinesische Sponsoren des Teams kündigten die Vertragsbeziehungen auf, das chinesische Staatsfernsehen erklärte, es werde keine Partien der Houston Rockets mehr zeigen, den Fans wurde nahegelegt, sich eine neue Mannschaft zu suchen. Die Rockets waren, seit der chinesische Basketballer Yao Ming dort seine gesamte NBA-Karriere gespielt hatte, eine der beliebtesten Mannschaften auf dem chinesischen Markt. Auch nachträgliche Liebesbekundungen in Richtung China des aktuellen Superstars der Rockets, James Harden, halfen nicht mehr, die Wogen zu glätten.

Es kamen Drohungen: „Deine Mutter ist tot“

Auf Twitter brach eine Welle des Hasses auf Morey herein. Fast 170 000 Tweets in nur vier Tagen hatte die Botschaft des Managers zur Folge. Alleine sein Entschuldigungs-Tweet bekam mehr als 28 000 Antworten. Fast 5000 Mal bekam Morey nach eigenen Angaben die Nachricht: „NMSL“ – chinesischer Internetslang für „Deine Mutter ist tot“. Viele dieser Tweets kamen von einer Pro-Peking-Troll-Armee, wie das Wallstreet Journal (WSJ) analysiert hat. 77 Prozent aller Tweets in den ersten Stunden kamen von Accounts mit weniger als 13 Followern, bei vielen war es der erste Tweet. „Ich sage nicht, dass dies ein Einsatz war, bei dem es Verbindungen zu einem Staat gibt“, sagte Professor Derran Linvill von der Clemson University dem WSJ. Und fügte an: „Aber ich habe bislang nur ein einziges Mal so viele brandneue Nutzer gesehen, die für so etwas benutzt wurden, und damals war es ein staatsnaher Einsatz.“

Worauf Linvill anspielt: Erst im August hatte Twitter 936 Accounts gesperrt, die das Unternehmen als Teil einer von der chinesischen Regierung gesteuerten Troll-Armee erkannt haben wollte. Facebook löschte auf einen Tipp von Twitter hin einige Accounts und die von ihnen kreierten Seiten und gab in einem Statement bekannt: „Auch wenn die Personen, die hinter diesen Seiten stehen, versucht hatten, ihre echte Identität zu verschleiern, konnte unsere Untersuchung Verbindungen zu Personen finden, die der chinesischen Regierung nahestehen.“

Die NBA versuchte zunächst, die Wogen zu glätten. Auf Weibo, der chinesischen Variante von Twitter, verkündete die Liga, sie sei „sehr enttäuscht von diesen bedauerlichen Aussagen“. Sowohl demokratische als auch republikanische Politiker kritisierten diese Reaktion und beschuldigten die NBA, ihre Werte zu verkaufen. Wenig später sprang NBA-Chef Adam Silver in einem Interview Morey zur Seite: „Was ich in dieser Situation unterstütze, ist seine Meinungsfreiheit.“ Die NBA versucht sich mittlerweile in einem Balanceakt, die chinesische Regierung nicht weiter zu ärgern, indem sie etwa auf Pressekonferenzen Journalisten daran hindert, Fragen zu der Hong-Kong-Affäre zu stellen und andererseits durch Silver Stärke gegenüber dem chinesischen Einfluss demonstrieren möchte. Der chinesische Streaminganbieter von CCTV Tencent, der für die Übertragungsrechte von fünf Jahren über 1,5 Milliarden Dollar zahlt, wird wohl weiterhin die Spiele der NBA übertragen.

Auch der chinesische Einfluss auf Hollywood ist groß

Weitaus subtiler geht der Einfluss Chinas auf die Filmindustrie vonstatten. Hier braucht es keine öffentlichen Statements, keine Troll-Armeen, um Drehbücher von westlichen Filmen entscheidend zu beeinflussen. Wer viel Geld machen will – und das dürfte wohl auf jedes größere Hollywood-Studio zutreffen – sollte auf keinen Fall China in seinen Film schlecht wegkommen lassen. Denn China hat mittlerweile den USA den Rang abgelaufen und ist der größte und lukrativste Filmmarkt auf der Welt. Wer auf diesen Markt will, muss sich den Bedingungen der chinesischen Behörde SARFT beugen. Die ist nämlich ein erbarmungsloser Türsteher für den exklusiven Klub, der Millionengewinne verspricht, sobald man ihn betreten darf. 34 ausländischen Filmen ist dieser Schritt pro Jahr gewährt. Und um das zu schaffen, ändern nicht wenige Filme ihre Drehbücher. Teils sind die Änderungen nur in China zu sehen, doch meistens sind auch die Originalversionen betroffen.

World War Z etwa entfernte sich von der Buchvorlage, wo der Ursprung des menschheitsvernichtenden Viruses beim illegalen Organhandel in China zu finden ist. Bei Red Dawn, einem Remake des 1984 erschienenen Filmklassikers Rote Flut, entschied man sich nach Drehschluss dazu, vom Original abzuweichen und änderte in der Postproduktion den Kontrahenten der USA von China auf Nordkorea. Das ganze kostete eine Millionen Dollar und ein Jahr Zeit. Bei Der Marsianer führt eine Kooperation zwischen China und den USA schließlich zum Happy End.

So unterschiedlich die Methoden der Einflussnahme sind, eins haben doch alle Beispiele gemeinsam. China, der sozialistische Staat, setzt einzig und alleine auf die Logik des Kapitalmarktes. In dem Wissen, dass all diese Unternehmen das große Geld in China suchen, diktieren sie die Spielregeln. In den vergangenen Jahren wurde das laxer gehandelt, die Einflussnahme bei großen Unternehmen fand nur in Ausnahmefällen statt. Doch mittlerweile ist China einer der größten und lukrativsten Märkte der Welt – und die Attacken auf die Meinungsfreiheit werden häufiger und heftiger. Wie man sich dem ganzen entziehen kann, zeigten die „South Park“-Macher. Auch sie entschuldigten sich für die Folge: „Genau wie die NBA begrüßen wir die chinesischen Zensoren in unser Heim und unser Herz. Auch wir lieben Geld mehr als Freiheit und Demokratie. (...) Lang lebe die Kommunistische Partei. (...) Alles wieder gut, China?“

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