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Wie wird die Krise unsere Generation verändern?

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Die Corona-Krise durchkreuzt Pläne, sie vernichtet Jobs, bringt Menschen zur Verzweiflung. Und nebenbei steckt der Lifestyle einer ganzen Generation auf einmal im Standby-Modus. Keine Easy-Jet-Flüge mehr nach Lissabon. Keine durchtanzten Nächte mehr in Kellerclubs. Keine ICE-Fahrten mehr quer durchs Land, um auf die WG-Party dieser einen ganz netten Kommilitonin zu fahren. 

Wer in diesem Jahr Abitur schreibt, für den ist „Abicalypse Now“ längst mehrdeutiger als ein mittelwitziger Motto-Spruch. Andrew Cuomo, Gouverneur von New York, sagte vor ein paar Tagen: „Das ist ein Trauma für eine ganze Generation.“ Könnte die Corona-Krise also zum Wendepunkt werden für die heute 18- bis 35-Jährigen?

Das 20. Jahrhundert war voll von Krisen, und immer waren es auch die Jüngeren, die darunter besonders zu leiden hatten. Als die Weltkriege begannen, durften auch die privilegierten Jüngeren nicht mehr in den Hörsaal und in die Welt hinaus. Sie mussten an die Front. In den Wirtschaftskrisen zog es der Jugend den noch wackeligen Boden unter den Füßen weg. Und als 1990 die DDR verschwand, da standen die jungen Ostdeutschen plötzlich mit ihren Abschlüssen da, deren Anerkennung alles andere als sicher war. 

Wer in der Krise aufwächst, gibt später weniger wagemutig sein Geld aus

„Depression Babies“ nannte die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier 2011 jene Menschen, die im jungen Alter Krisenerfahrungen gemacht hatten. In ihrer Studie stellte sie fest, dass diese „Depression Babies“ auch im höheren Alter noch weniger wagemutig ihr Geld ausgeben (etwa für Aktien) als Menschen, die nicht in einer Krise groß geworden sind. Der natürliche Optimismus der Jugend kann in einer Krise in langfristige Verunsicherung umschlagen. Einerseits.

Andererseits kann die Jugend auch ein Schutzschild sein, um Krisen besser  zu verkraften. Nach dem Mauerfall konnten Jüngere (vor allem die jüngeren Frauen) ihr Leben unter den neuen Vorzeichen eigenständig in die Hand nehmen, während von den Älteren mancher am Wandel zerbrochen ist. Die Jüngeren sind es auch, die Veränderungen häufig selbst erst anstoßen. In der 68er-Bewegung war es die studentische Jugend, die sicher geglaubte Gewissheiten in Frage stellte. Und als im Jahr 2015 hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, waren es auch die Jüngeren, die selbstverständlich halfen.

Und nun, in der Corona-Krise? Jörn Leonhard, Historiker für Neuere Geschichte an der Universität Freiburg, ist zurückhaltend mit dem Urteil darüber, inwiefern die Krise eine „epochale Zäsur“ sein könnte für die jüngere Generation. „Das kann erst der zeitliche Abstand zeigen.“ 

Wer heute zwischen 18 und 35 ist, der hat bereits einige Krisen in seinem Leben erlebt. Die islamistischen Terrorangriffe auf das New Yorker World Trade Center im Jahr 2001. Die weltweite  Finanzkrise ab dem Jahr 2007. Den „Flüchtlingssommer“ im Jahr 2015. „Die Wenigsten würden aber heute sagen, dass diese Krisen eine ganz tiefe persönliche Zäsur für die junge Generation gewesen sind“, sagt Leonhard. Denn diese Krisen betrafen laut Leonhart zumeist nur einen Teilaspekt des Lebens, was man erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand feststellen kann. Der islamistische Terrorismus erschütterte das Sicherheitsgefühl. Die Flüchtlingskrise stellte die Hilfsbereitschaft der Gesellschaft auf die Probe. In der Finanz- und Bankenkrise verloren – gerade in Südeuropa – viele Jüngere ihren Arbeitsplatz.

Bisher blieb das Leben der Jugend von all den Krisen recht unberührt

Das alltägliche Leben der meisten Jüngeren in der deutschen Mittelschicht blieb von all diesen Krisen jedoch eher unberührt. Die Wochenendtrips nach London, der Kauf des neuen iPhones und auch das Master-Studium im Nachbarland – all das stand wegen dieser Krisen selten in Frage. Jedenfalls, sofern man sich all das auch schon vorher leisten konnte und wollte.

Jetzt aber scheint es so, als treffe die Krise jeden. Hunderttausende Jobs sind gefährdet. 41 Prozent der Unter-30-Jährigen arbeiten mit einem befristeten Arbeitsvertrag. Es sind die Jobs, die als erste wegfallen könnten. Ein Erasmus-Sommersemester 2020 wird es für die meisten nicht geben. Und 2021 vielleicht auch nicht. Was wird von dieser Unsicherheit bleiben?

Isabella Heuser-Collier leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin. Sie sagt: „Junge Menschen haben oft eine sorglosere Zukunftsperspektive als Ältere.“ Das führe zu Resilienz, also zu psychischer Widerstandsfähigkeit, um Krisen zu bewältigen. „Je älter man ist, umso vorsichtiger und einsichtiger wird man in der Regel“, sagt sie. Schwierig sei es nun für jene unter den Jüngeren, die sich in der „Rushhour des Lebens“ befinden, also zwischen 20 und 40 Jahre alt sind und Verpflichtungen haben, etwa kleine Kinder und dazu noch einen fordernden Job. Die Corona-Krise könne gerade für sie die Belastung erhöhen, wenn der ohnehin große Stress mit dem Stress der Krise zusammenkommt.

Heuser-Collier hält es allerdings auch für möglich, dass die Jüngeren aus der Corona-Krise gestärkt hervorgehen könnten. „Die Krise wird als eine prägende Zeit wahrgenommen werden. Als etwas Außergewöhnliches, das man gemeinsam gemeistert hat.“ So eine Phase könne man rückblickend durchaus auch positiv werten – als ein Ereignis, das die Solidarität und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt hat. 

Es ist schwer, die jetzige Krise mit historischen Krisen zu vergleichen, auch weil ihr Ausgang noch nicht in Sicht ist. Dennoch kann man schon jetzt ahnen, wohin es führen könnte, wenn die Krise länger dauert als ein paar Wochen oder Monate. Etwa dann, wenn es eine zweite Infektionswelle geben sollte, oder eine dritte – wie bei der Spanischen Grippe von 1918 bis 1920. 

Auch am globalen Ausbruch der Spanischen Grippe war gewissermaßen die gestiegene Mobilität der Menschheit Schuld. Denn in dem vorangegangen Ersten Weltkrieg wurden Waren und Menschen quer über die Kontinente transportiert. Der Krieg und die damit verbundene Mobilität brachten auch die Krankheit überall hin. Der Unterschied zu heute: Das Coronavirus verbreitet sich im Frieden. Weil Menschen im Ausland studieren, weil sie Geschäftstermine auf globalen Messen in anderen Ländern vereinbaren, kommt das Virus von Wuhan nach Ischgl und von Ischgl nach New York. Es ist auch die Lebensart der mobilen, vernetzten Jugend, die das Virus um die Welt geschickt hat. „Diese Erkenntnis, indirekt zu einer Verbreitung beitragen zu haben, kann erschütternd sein“, sagt Historiker Leonhard. Die Frage ist also, wie tiefgreifend die Konsequenzen sind – und ob mancher denkt: Kann und möchte ich so weitermachen wie bisher?

Mehrere Krisen hintereinander machen misstrauisch gegenüber der Zukunft

Fundamental erschütternd wird es für eine Gesellschaft nämlich dann, wenn sich Krisen wie in einer Kette aneinanderreihen, sagt Leonhard. So geschehen ist es vor etwa hundert Jahren: Auf das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 folgte die Spanische Grippe. Zur gleichen Zeit kam es in Deutschland zur Novemberrevolution und wenig später im Jahr 1923 zur Hyperinflation, die die Wirtschaft wieder einmal in die Krise stürzte. „Das war eine Perlenkette von Katastrophen“, sagt Leonhard über diese Zeit. „Und dies führte zu einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der Zukunft.“

Die Generation der heute 18- bis 35-Jährigen hat in ihrem Leben bisher die genau gegenteilige Erfahrung gemacht: Ja, Krisen gehören zum Leben dazu. Die Weltfinanzkrise, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise. „Seit über zehn Jahren scheint Krise ein Dauerzustand zu sein“, schrieb die Zeit noch vor wenigen Monaten. Aber wer in Leipzig, Bochum oder Nürnberg wohnt, der hat von all diesen Krisen zwar etwas mitbekommen, aber meist nur indirekt etwas davon gespürt.  

„Historisch sieht man, dass Menschen sich nach einer Krise nach der Normalität zurücksehnen“

Die aktuelle Krise wird aber wohl gerade für Jüngere wirtschaftliche und soziale Veränderungen bedeuten; es werden Narben bleiben. Und dennoch: Wenn ein Impfstoff gefunden ist, wenn die Reisefreiheit und all die anderen Freiheiten zurückgekehrt sind, dann könnte die Zäsur für diese Generation, zumindest in Deutschland, wieder einmal ausbleiben. „Historisch sieht man, dass Menschen sich nach einer Krise nach der Normalität zurücksehnen“, sagt Leonhard. 

Bis es soweit ist, könnte der Jugend aber noch eine weitere Prüfung bevorstehen: „Prägend könnte für die heutige Jugend-Generation sein, wie sie mit der ethischen Frage nach dem Schutz der Lebens umgeht“, sagt die Psychologin Heuser-Collier. Die Debatte läuft schon seit Wochen: Wie weit darf die Gesellschaft die wirtschaftliche Existenz der Jüngeren gefährden, um die Gesundheit der Älteren zu schützen? Diese Frage dürfe nicht nur von der Politik und Wirtschaft diskutiert werden. Die Jugend, sagt Heuser-Collier, müsse diese Diskussion mitführen. Wie viel sind ihre Freiheit und ihr Wohlstand wert, um andere zu schützen? Auch an der Haltung zu dieser Frage wird sich diese Generation einmal messen lassen müssen.

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