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„Bei uns beiden ist die Zündschnur kürzer als vor Corona“

Illustration: FDE

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„Unsere Tochter ist fast zwei Jahre alt. Vor der Krise war sie sieben Monate lang unter der Woche bis 15:30 Uhr in der Kita. Das ging plötzlich nicht mehr. Wir haben am Anfang richtig gemerkt, wie sie diese Umstellung, tagsüber zu Hause zu sein, verwirrt hat. Mittlerweile geht es. Ich bin auf Anweisung meines Arbeitgebers im Home-Office, meine Freundin hat sich selbst dazu entschieden. Sie arbeitet als Designerin bei einem Unternehmen, das Spiele-Apps entwickelt. Weil gerade viele Menschen mit Langeweile am Smartphone hängen, gibt es dort natürlich jede Menge zu tun. Sie bekommt ihr komplettes Equipment gestellt. Außerdem unterstützt sie das Unternehmen für die nächsten zwei Jahre mit der schnellstmöglichen Internetverbindung. Das ist natürlich super, auch für mich.

Sie hat viele Video-Meetings und wir bauen alles um diese Termine herum. So versuchen wir, uns am Tag gegenseitig zwei bis drei Stunden konzentrierte Arbeit am Stück zu ermöglichen. Ich kümmere mich vor allem vormittags, gehe mit unserer Tochter in den Park oder in den Wald, damit sie rauskommt. Am Nachmittag wechseln wir dann oft. Das passt ganz gut, weil ich mit meinem Chef vereinbart habe, dass ich bei der Zeitung vor allem Spätdienste übernehme. Es schaut außerdem niemand minutiös auf die Arbeitszeit, solange am Ende alles erledigt ist. Am Abend, wenn wir unsere Tochter ins Bett gebracht haben, arbeiten wir oft weiter, noch zwei, drei Stunden, falls nötig. Wir haben uns getrennte Tische eingerichtet, meine Freundin im Wohnzimmer, ich im Schlafzimmer. So kommen wir ganz gut klar. Wir sind vor allem froh, dass wir keine Existenzängste haben müssen und das alles zu zweit stemmen können.

„Einige Väter, die unter der Woche sonst häufig unterwegs waren, haben jetzt Probleme, ihre Kinder ins Bett zu bringen“

Trotzdem ist die Situation belastend. Alle, die etwas anderes sagen, lügen sich selbst in die Tasche. Unsere Tochter fängt gerade erst an durchzuschlafen. Wir sind übermüdet, hängen viel aufeinander und haben täglich die Doppelbelastung. Außerdem fehlt der Ausgleich: Ich kann nicht mehr zum Floorball-Training gehen, meine Freundin nicht mehr zum Yoga. Abends sind wir dann nur selten motiviert genug, um zu Hause die Matte auszurollen oder im Park joggen zu gehen.

Bei uns beiden ist die Zündschnur kürzer als vor Corona. Das merkt man schon, zum Beispiel, wenn mal einer von beiden das Gefühl hat, dass der Andere ihm nicht genug den Rücken freihält: Ich musste vor Kurzem zum Beispiel relativ schnell einen Text fertig schreiben. Wenn dann deine Tochter im gleichen Zimmer Rabatz macht, wird es einfach schwierig.           Der Kleinen fehlen ihre sozialen Kontakte. Ab und zu ein kurzer Video-Call mit den Kindern eines befreundeten Paares oder am Wochenende während des Frühstücks mit den Großeltern ist einfach nicht genug. Sie fragt mittlerweile sogar selbst danach: ‚Opa anrufen?‘, ‚Oma anrufen?‘

Vor ein paar Tagen durfte sie mit meiner Freundin kurz in die Kita und war ihren Erzieherinnen gegenüber total schüchtern. Wenn die Kitas irgendwann wieder öffnen, wird das auf jeden Fall auch wieder eine extreme Umgewöhnung. Das geht wohl den meisten Kindern so. Über manche Schwierigkeiten reden wir auch mit anderen Eltern. Einige Väter, die unter der Woche sonst häufig unterwegs waren, haben jetzt Probleme, ihre Kinder ins Bett zu bringen, weil die das nur von ihren Müttern gewohnt sind. Da hilft es, sich auszutauschen und gegenseitig Ratschläge zu geben.

Wir versuchen, so lange es geht, geduldig zu bleiben und schaffen das bisher auch ganz gut. Zumindest habe ich im Moment nicht das Gefühl, dass uns all das nachhaltig schadet. Wie gut die Menschen es wegstecken würden, wenn in ein paar Monaten Lockerungen zurückgenommen werden müssten, weiß ich nicht. Das wäre sicher auch für uns hart.“

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