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Corona versaut mir meinen Kinderwunsch

Kinder sind schon zu normalen Zeiten eine immense Aufgabe. Und jetzt? Ist fühlt sich diese Aufgabe für unsere Autorin unbewältigbar an.
Illustration: FDE

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Die Pandemie hat alles, was wir zuvor dachten über die Zukunft zu wissen, gesprengt – und ihre ganz eigenen Vorhersagen erschaffen. Diese Corona-Prophezeihung wurde etwa von Medien 2020 lange für wahrscheinlich gehalten: der angebliche Babyboom 2021. Weil, so die Theorie, gerade jede Menge Leute in ihren Wohnungen aufeinander sitzen – und was macht man, wenn einem langweilig ist? Genau, zwinkerzwinker. Und die Geburt eines Menschen ist doch etwas unsagbar Schönes, ein neues Leben ist entstanden, heureka, lobet und preiset die Fähigkeit des Menschen sich zu reproduzieren!

Nicht. 

Leute, die diese Babyboom-Prognose teilen, verstehen absolut nicht, dass die Aussicht, ein Kind zu bekommen, nie weniger sexy war als jetzt. Denn dank Social Media und dem eigenen Umfeld wird einem auch in sozialer Isolation vorgeführt, wie zehrend Elternsein ist. Und tatsächlich zeigt auch die Statistik, dass die Pandemie zumindest in reicheren Ländern zu einem Geburtenrückgang geführt hat.

24/7-Kinderbetreuung ist eine extreme psychische und physische Belastung

Mich wundert es nicht: Ich habe die Haha-wie-soll-das-gehen-Posts von arbeitenden Eltern mit Kleinkindern in den ersten Wochen des ersten Lockdowns gesehen und schon da war offensichtlich, dass hinter den lockeren Sprüchen und dem Galgenhumor immer auch ein bisschen echte Verzweiflung steckt. Aber spätestens seit der Hashtag #CoronaEltern tagelang auf Twitter trendete, ist allen klar: Rund-um-die-Uhr-Kinderbetreuung ist eine extreme psychische und physische Belastung. Auch im Job beobachte ich, wie junge Mütter ein tapferes Gesicht machen, während sie in der Video-Konferenz ihren Laptop vom einen Raum in den nächsten tragen, um den tatschenden Händen und verheulten Augen ihrer Kleinkinder zu entkommen. Wie sie sich täglich zwischen Kinderbespaßung, Mittagessen vorbereiten, arbeiten, Familienstreits und freundlich gegenüber den Kolleg*innen bleiben zerreißen müssen. 

Und ich sitze auf der anderen Seite des Screens, sippe gemütlich meinen Kaffee und frage mich voll schlechten Gewissens, warum ich nochmal gestresst bin. Wie zur Hölle machen Eltern das gerade? Wo haben diese Menschen diese immense Stärke her? Wenn morgens um sechs Klein-Maxi neben ihrem Bett steht und fragt, was man denn jetzt spiele. Wie verlieren sie nicht den Verstand, wenn sie neben dem Job noch Hintern abwischen, jemanden vom Käsebrot-Essen überzeugen und sich selbst kontrollieren müssen, dass sie diesen absoluten Irrsinn bloß nicht am Nachwuchs auslassen?

Ich bin nicht stolz drauf, aber ich bin schon genervt, wenn mein Mitbewohner nur ein bisschen zu laut auf seinem Computer tippt oder alle zehn Minuten in den Kühlschrank schaut: DA IST SEIT DEM LETZTEN MAL NICHTS NEUES REINGEZAUBERT WORDEN, TORBEN, GLAUB’S HALT!! Ja, Selbstisolation ist auch kinderlos nicht nur geil, aber immerhin habe ich Zeit, mein Gesicht aus dem Fenster zu halten, Netflix, bisschen Lesen oder einfach nur etwas mehr schlafen als sonst. Und wenn ich zwischendrin vier Sit-Ups mache, kann ich mir sogar richtig auf die Schulter klopfen, was ich heute wieder geleistet habe. 

Babys und kleine Kinder nehmen einem die Kontrolle über das eigene Leben, das zeigt die derzeitige Situation in aller Deutlichkeit.

Dabei ist es überhaupt nicht so, dass ich per se Babys hasse. Oder es irgendwie schlecht finde, wenn jemand schwanger wird. Ich finde Kinder sind etwas Tolles. Sie sind knuffig und lustig, sie entwickeln sich so schnell, und gerade wenn man mit ihnen verwandt ist, muss man sie einfach lieb haben. Und Eltern betonen immer wieder: Das sei den Stress wert. Dabei belegen Langzeit-Studien, dass junge Eltern im Schnitt unglücklicher und gestresster sind als ihre gleichalten kinderlosen Pendants. Dieses Verhältnis kann sich allerdings umdrehen, wenn man älter wird, besser gesagt: wenn die Kinder anfangen Nächte durchzuschlafen und im Garten zu helfen. Trotzdem muss man derzeit schon doppelt wegschauen, um nicht zu sehen, wie anstrengend und aufreibend es ist, ein guter Elternteil zu sein. Wie verflucht hoch der Druck ist. Dass man nach dieser Einsicht vielleicht doch dreimal überprüft, ob das Kondom gut sitzt.

In der Corona-Krise blättert die ganze Bauernhaus-und-Familie-Romantik ab 

Die Pandemie ist nicht der Normalzustand, schon klar. Normalerweise gibt es Kitas, Schulen, Großeltern, Tanten und Onkel, Spielkamerad*innen und so weiter – man muss die Last nicht immer so alleine tragen. Und doch zeigt sich: Wenn es hart auf hart kommt, muss man bereit sein, für die Brut alles stehen zu lassen – und gleichzeitig alles am Laufen zu halten. Wochenlang – ohne nennenswerte staatliche Unterstützung. Da verlassen sich die Landesregierungen nämlich entspannt darauf, dass Eltern unter allen Umständen versuchen werden, ihren Kindern den Lockdown so angenehm wie möglich zu gestalten, ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Die eigene psychische und körperliche Gesundheit – egal. Die eigene berufliche Perspektive – egal. Worauf man selber gerade Lust hätte – egal. Wenn Klein-Lotta langweilig ist, muss Klein-Lotta bespaßt und umsorgt werden.

In der Corona-Krise blättert die ganze Bauernhaus-und-Familie-Romantik ab und für alle wird die darunterliegende Realität sichtbar: Eltern sind gerade alleine mit ihren Aufgaben. Selbst wenn man als Vater oder Mutter in der Isolation den besten Job macht, ist es oft einfach nicht gut genug. Kein Spielplatz, keine Gleichaltrigen, keine Abwechslung für die Kleinen. Und du, du armer Elternteil, musst nicht nur gegen die „normalen“ Herausforderungen kämpfen, sondern auch noch diese Situation meistern, in der du schlicht nicht gewinnen kannst.

Und das kriege ich einfach nicht in meinen Kopf: Warum sollte ich mich freiwillig für einen Kampf melden, der mich schon normalerweise Nerven, Kraft, sowie unter Umständen meine finanzielle und berufliche Sicherheit kosten kann – und mir dann in der Pandemie-Krise das Herz bricht, weil mein Kind eingesperrt ist? Eben. Also noch ein letzter Check: Kondom sitzt. Alles unter Kontrolle. Babyboom verhindert. 

Die Autorin möchte anonym bleiben, damit sie keine panischen Anrufe ihrer Eltern bekommt, dass Kinder doch etwas ganz tolles seien.

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