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„Da dachte ich zum ersten Mal: Gleich sterbe ich.“

Foto: einhorn.my

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„Ich habe manchmal Panikattacken. Ich halte das für eine große Schwäche und traue mich nicht darüber zu sprechen. 2017 werde ich dieser Angst entgegentreten.“ Das schrieb Philip Siefer, 34 Jahre alt und Gründer von „Einhorn Kondome“, vor zwei Wochen auf Facebook. Aber was passiert, wenn man seine Angst öffentlich macht?

jetzt: Philip, hattest du heute schon Angst?

Philip: Ich bin etwas verkatert, und deshalb unsicher, ob ich Angst haben sollte. Aber nein, heute noch nicht.

Was wäre denn deine Angst?

Wenn sich etwas komisch anfühlt oder ich ein Kribbeln spüre im linken Arm, dann habe ich panische Angst, einen Herzinfarkt zu kriegen. Dass mein Herz aufhört, zu schlagen. Diese „Herz-Angst" kommt immer wieder.

Wieso das Herz?

Mit 23 hatte ich eine Herzmuskelentzündung. Und seitdem spüre ich dieses Organ – das ja nie schläft, immer arbeitet – intensiver. Also war ich zigmal beim Kardiologen, habe Belastungs-EKGs und 1000 Untersuchungen gemacht, um zu erfahren, was mit meinem Herzen nicht stimmt. Da will man ja lieber irgendeine Diagnose als diese ständige Unsicherheit. Aber ich bin kerngesund. Es gibt keinen Grund für die Angst vor dem Herzinfarkt.

Wann war deine erste schlimme Panikattacke?

Vor vier Jahren bin ich einen Halbmarathon gelaufen. Danach war ich total am Arsch. Aber statt mich zu entspannen, war ich eine Woche lang nur noch Feiern. Und bin irgendwann morgens abgehetzt durch die Gegend gelaufen. Mir ist ganz heiß geworden. Mein Herz hat so heftig geschlagen. Ich habe krass geschwitzt. Da dachte ich zum ersten Mal: Gleich sterbe ich. Also habe ich einen Passanten angesprochen, ob er mir einen Krankenwagen rufen kann, weil ich einen Herzinfarkt habe. Der war zufällig Arzt. 

Und der hat dich gerettet?

Er hat mich erstmal beruhigt, dass ich okay wäre. Weil eben gar nichts mit meinem Herzen war. Dann bin ich nach Hause gegangen. Und war völlig erschrocken, wie krass mein Körper auf Alarm stellen kann, weil er fälschlicherweise von einer großen Gefahr für mein Leben ausgeht. Das ist so ein Urzeitmenschmodus, wie wenn der Tiger vor dir steht.

Und seitdem?

Danach hatte ich diese Angst mit dem Herzen immer wieder. Nicht so krass, wie bei der ersten Attacke, aber doch stark genug, dass ich mich total reinsteigern kann. Ich hatte immer wieder Momente, in denen ich nur noch schnell in die Notaufnahme wollte. Das hing natürlich vor allem von meinem Stresslevel ab.

Wieso hast du diese Angst jetzt öffentlich gemacht?

Vor vielen Sachen hat man nur Angst, solange sie ein Geheimnis sind. Angst, die man formuliert und zugänglich macht, ist plötzlich gar nicht mehr so unheimlich. Und ich wusste, dass es anderen auch so geht.

Aber die wenigsten reden darüber.

Es gibt leider eine Stigmatisierung von Leuten, die zu Gefühlen stehen, die Ängste zeigen. Das wird als Schwäche wahrgenommen – oder zumindest so dargestellt. Deshalb muss man viel öfter darüber reden und Hilfsmittel anbieten. Ich dachte: Eine Anti-Angst-Bewegung wäre super!

"Wenn ich zu viel mache und gestresst bin, wird auch die Angst schlimmer."

Laut einer Studie von 2013 leiden über 15 Prozent der erwachsenen Deutschen an einer Angststörung. Kommt dir die Zahl realistisch vor?

Ja, die kann gut stimmen. In meinem Umfeld sind besonders Männer zwischen 28 und 40 ganz krass betroffen. Also vor allem Unternehmer wie ich, die viel Stress haben. Da fährt andauernd jemand in die Notaufnahme.

Stehen Unternehmer wie du, zumal in der Startup-Szene, besonders unter Druck? Weil Scheitern keine Option ist? 

Natürlich: Man arbeitet viel und muss sich ständig präsentieren, gegenüber Investoren und anderen Gründern. Und dabei stark und abgeklärt, also erfolgreich wirken. Denn je besser die eigene Ausstrahlung, desto mehr wollen andere teilhaben. Wer über Probleme redet, zieht keine Unterstützung an. Das ist anstrengend. Deshalb versuche ich zum Ausgleich auch besonders gesund zu leben, viel Yoga zu machen, auf meinen Körper zu hören. Es ist ganz logisch: Wenn ich brav bin, geht es mir gut. Wenn ich zu viel mache und gestresst bin, wird auch die Angst schlimmer. 

Wie waren die Reaktionen auf den Post?

Mir haben hunderte Leute geschrieben. Vor allem bekam ich Erfahrungsberichte und Ratschläge gegen die Angst. Von Psychotherapie über Beruhigungsmittel bis hin zu irgendeinem Hanf-Öl, das helfen soll. Das fand ich schon krass. Jetzt habe ich eine Riesenliste mit Ideen. Wie hätte ich die sonst gefunden?

Durch Googeln?

Davon wird man nur noch kränker. Es bräuchte so etwas wie ein Anti-Angst-Wiki, das mir erste Hilfestellungen liefert, wenn ich Angst habe. Mir hilft, meine Angst einzuordnen. Und das von meinem Input lernt.

Du hast in Deinem Post geschrieben: Ich halte das für eine große Schwäche und traue mich nicht darüber zu sprechen.“ Denkst du jetzt anders darüber?

Ehrlich gesagt: Ich würde die Angst schon gerne abstellen. Deshalb sehe ich sie immer noch als Schwäche. Aber ich habe viel Positives darüber gelernt. Aus Schwächen entwickelt man eben Stärken: Ein besseres Körpergefühl, mehr Empathie für Menschen, denen es nicht gut geht. Ich bin sensibler geworden durch die Auseinandersetzung. Und überhaupt darüber sprechen zu könne, empfinde ich auch als Stärke.

"Jetzt wird der angstfreie Waldweg zur Autobahn."

Wir alle sprechen vom Menschen ja gerne wie von einer Maschine. Wir müssen am Wochenende mal „auftanken“ und „abschalten“, und wollen an uns „arbeiten“, auch was unsere Gefühle angeht. Sind nicht so sprachliche Bilder schon Teil des Problems?

Wir haben wirklich ein komisches Verhältnis zu uns als „Arbeitsmaschine“. Die man aber eben nicht auftanken kann. Auch nicht mit 40 Smoothies. Schon diese Begriffe setzen uns unter Druck. Das ist auch eine Generationensache. Wir haben nicht mehr diesen klassischen Rhythmus: morgens in die Arbeit, abends essen, Ruhe. Wir kommunizieren heute viel mehr und ständig. Die Erwartungen an uns sind vielfältiger geworden.

Was tust du jetzt gegen die Angst?

Erstmal mich weiter beruhigen. Ich habe auch schon einen Durchbruch geschafft. Neulich hat mir eine Ärztin bei einer weiteren Untersuchung gesagt, dass ich einen total blockierten Schultermuskel habe. Links. Wo auch mein Arm oft taub ist. Das hat mich jetzt zumindest im letzten Monat sehr erleichtert.

Hat Angst manchmal so banale Ursachen?

In den schlauen Büchern, die ich darüber gelesen habe, zum Beispiel in „Die Biologie der Angst“, steht dazu viel Spannendes drin: Unser Gehirn ist sehr variabel. Es passt sich an, indem es neue neuronale Verknüpfungen schafft. Man kann also die Wege, die ein Gedanke nimmt, was er auslöst, beeinflussen. Es gibt sozusagen viel befahrene Gedanken-Autobahnen. Und wenig betretene Waldwege. Bei mir war die Verknüpfung „Kribbeln im Arm, Herzinfarkt, Riesenangst!“ eine Autobahn. Und die Möglichkeit, dass das Kribbeln seine Ursache vielleicht in der Schulter hat, ein Waldweg. Jetzt wird der angstfreie Waldweg zur Autobahn.

Obwohl sich medizinisch bei dir ja nichts geändert hat.

Genau. Mit der medizinischen Ursache haben diese Gedankenwege nichts zu tun. Das ist reine Interpretation meinerseits. Und die kann man beeinflussen. Und damit auch die Angst. 

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