Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Männer, schämt ihr euch manchmal für das Verhalten anderer Männer?

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Liebe Männer, 

das Verhalten von Männern oder Jungs in Gruppen ist mir oft rätselhaft – eigentlich schon immer. In der Grundschule auf dem Pausenhof waren es die  freundschaftlichen Rangeleien unter Jungs. In der Mittel- und Oberstufe dann Challenges à la „Wer kann die meisten Snickers innerhalb einer Minute essen?“ oder „Wer schafft die meisten Klimmzüge?“. Der Gewinner ließ sich von seinen Mitstreitern gerne feiern und wurde noch Wochen später mit „Snickers-King“ oder „stabiler Bruder“ angesprochen. Klar, das sind harmlose Situationen. Aber wie der starke Geruch nach „Axe Temptation“ hat mich auch die männliche Gruppendynamik gestört, weil es laut war und zu viel Raum eingenommen hat. 

Heute sitze ich oft genug in Kneipen oder öffentlichen Verkehrsmitteln und erlebe Männergruppen, die frauen*feindliche Deutsch-Rap-Songs textsicher mitgrölen. Die sich ungefragt zu mir und meinen Freund*innen setzen und nicht gehen, wenn wir sie freundlich dazu auffordern. Harmloser, aber auch irritierend, finde ich außerdem, wenn Männer mit ihren Autos an Ampeln stehen, die Fenster herunterlassen, ihre Musik laut aufdrehen und dann mit röhrendem Motor extra schnell anfahren. Ich gehe eigentlich davon aus, dass nicht alle Männer so drauf sind. Aber so richtig empört über solch ein Verhalten scheinen Männer mir irgendwie nie. Warum nicht? Schämt ihr euch da nicht ein bisschen fremd?

Versteht mich nicht falsch, auch ich habe meine durchaus fragwürdigen Momente in der Öffentlichkeit. Ich performe trotz fehlender Kompetenz auf Bar-Tischen Helene Fischer und habe schonmal eine Freundin nach der Nummer des attraktiven Mannes in der U-Bahn fragen lassen, während ich daneben stand. Das können Situationen sein, in denen sich Personen für mein Verhalten schämen, aber nichts sagen. Ich schäme mich im übrigen auch, spätestens am nächsten Tag. Dann frage ich mich, ob es möglich ist, mich irgendwie zu entschuldigen. 

Doch hier soll es nicht um das manchmal peinliche, aber harmlose Verhalten Einzelner gehen, sondern speziell um männliche Gruppendynamiken. Kennt ihr die alle? Seid ihr Teil davon? Oder ist es euch auch unangenehm, wenn ihr sowas bei anderen Männern beobachtet? 

Ich habe wie gesagt meistens nicht das Gefühl. Oft genug steht ihr mit euren Kumpels schweigend, manchmal auch bestätigend neben solchen Männergruppen – oder eben mitten darin.  Fällt euch nicht auf, wie peinlich, bedrängend oder sogar bedrohlich die Situation für außenstehende (oft Frauen) ist? Oder merkt ihr das schon, ihr sagt nur nichts? Warum sagt ihr dann nichts? Und: Ist es euch wichtig, von euren Kumpels darauf hingewiesen zu werden, wenn ihr euch selbst daneben verhaltet? Schämt ihr euch dafür, dass so viele von euch schweigen? 

Wir sind sehr gespannt. 

Eure Frauen

Die Antwort:  

Liebe Frauen,

ich möchte mit, nun ja, einem Geständnis beginnen: Wäre ich in deiner Klasse gewesen damals, dann wäre es nicht auszuschließen, dass in meinem Personalausweis heute in der Zeile Künstlername „Snickers-King“ steht. Aber mal ehrlich: Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte ich mich an dem Wettstreit beteiligt. Ich hätte die anderen angefeuert, ich hätte sehr, sehr viel gelacht. Und vermutlich wären diese anderen, die sich ebenfalls Snickers in den Mund geschoben haben, vor allem Jungs gewesen. Ich hätte dann mit schokoladenverschmiertem Mund daneben gestanden und mich darüber gefreut, zu welcher Selbstzerstörungskraft das menschliche – oder wohl eher das männliche – Gehirn fähig ist. Nur peinlich gewesen, das wäre es mir wohl eher nicht. 

Für das meist männliche Geblödel, muss ich gestehen, schäme ich mich nur sehr selten. Auch als Erwachsener nicht. Und ich habe das Gefühl, dass das den meisten Männern, die ich kenne, ähnlich geht. Jedenfalls dann, wenn es diese harmlose Sorte von Humor ist, die im besten Fall niemandem weh tun kann, außer einem selbst. Zum Beispiel, weil man sich nach dem fünften Snickers übergeben muss.

Bei Themen, jenseits vom dadaistischen und infantilen Humor, ist das etwas anderes. Die sexistischen Sprüche. Das Machotum. Die Ansagen, die Frauen auf ihr Äußeres reduzieren. Die Vatertag-Streifzüge, die für alle Menschen unangenehm sind, außer für die fünf, die den Bollerwagen ziehen. So unterschiedlich die Sachen auch sind, eins haben sie gemeinsam: Die, die so etwas tun, sind meistens Männer.

Ob ich selbst mich manchmal unangemessen verhalte, sollen andere beurteilen. Wenn ich aber von diesen Geschichten höre oder selbst Zeuge davon bin, denke ich mir: Warum machen diese Männer das? Was geht in ihnen vor? Trotzdem spüre ich dann keine Scham gegenüber ihnen. Vielmehr kann man das Gefühl, das dann entsteht, als eine Art Unverständnis beschreiben. Oder als Wut. Aber Scham? Eher nicht. 

Wenn aber jemand, den ich gut kenne, etwas Blödes macht, dann schäme ich mich, weil er mein Freund ist und nicht weil er ein Mann ist. Vielleicht liegt das daran, dass ich mit diesen Männern, die in meinen Augen etwas Unangenehmes oder Grenzüberschreitendes tun, nichts teile – außer das Geschlecht. 

Gut möglich, dass anderen Männern das nicht so geht. Und ich glaube, man kann das eher an Mario Barth erklären als mit Snickersriegeln. Mario Barth gelang es, mit seinen Witzen Stadien zu füllen und unzählige DVDs zu verkaufen, die nun in Fernsehschränken einstauben. Erfolg hatte er natürlich vor allem deshalb, weil er Männer und Frauen holzschnittartig darstellte. Auf der einen Seite die Männer, die nicht zuhören. Auf der anderen Seite die Frauen, die nicht einparken können. Wer sich miteinander identifiziert – dort wir Männer, da ihr Frauen – kann sich auch für Angehörige der eigenen Gruppe herzlich freuen. Und tief in den Boden schämen. 

Wer sich als Teil dieser mario-barth-haften Welt sieht, der fügt sich ein in die Logik der kalauer-liefernden Klischees. Ein großer Teil der Männer, die ich kenne, haben darauf, wie ich, aber eher nicht so große Lust. Also empfinden sie für diese Männer, die in ihren Augen ziemlich anders sind als sie selbst, auch keine Scham. Vielleicht fällt es mir sogar leichter, mich für Menschen aus meiner Heimatstadt oder aus dem Journalismus zu schämen, wenn die etwas peinliches tun. Mit denen teile ich immerhin noch den Dialekt oder den Beruf. Es öffnet sich also da ein Graben der Ratlosigkeit, wenn man sieht, wie Männer sich verhalten und man das selbst nicht okay findet. Vor allem würde mich aber jetzt mal interessieren, für welches männliche Verhalten Mario Barth sich schämt.

Eure Männer

  • teilen
  • schließen