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Horror-Urlaub: Die Kakerlaken-Invasion über Silvester

Illustration: Julia Schubert

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Urlaubsort: Mérida und Umgebung in Mexiko

Mitfahrer*innen: Schwester und deren Freund

Horror-Stufe: 9 von 10

Die Misere begann an einem mexikanischen Flughafen, einen Tag vor Silvester. Ohnehin völlig fertig mit den Nerven (die Reise dorthin war lang), verpassten meine Schwester, ihr Freund und ich unseren Bus – nachdem wir zwei Stunden in der Hitze darauf gewartet hatten. Er hatte einfach am falschen Bussteig geparkt und war dann unbemerkt ohne uns abgefahren. Erst vier Stunden später kam der nächste, mit dem wir weitere vier Stunden fuhren. Gegen zwei Uhr nachts kamen wir an unserem Hostel an. In der Nebenstraße fand gerade eine Massenschlägerei statt, als der Mann an der Rezeption uns freundlich mitteilte, dass es einen Fehler bei der Buchung gegeben habe und wir hier leider nicht unterkommen könnten. Jackpot. 

Die Suche nach einem Taxi gestaltete sich um diese Uhrzeit schwierig, aber irgendwann fanden wir eines. Wo immer wir damit anhielten, waren alle Betten bereits voll. Zwei Stunden und eine ziemlich hohe Taxirechnung später fanden wir einen 6er-Dorm für wenig Geld. Die Ventilatoren darin funktionierten nicht, in dem kleinen Zimmer fühlte sich jede Bewegung an wie ein neuer Saunaaufguss, wir schliefen nicht. Als am nächsten Morgen auch Toilette und Dusche nicht funktionierten, beschlossen wir, erneut eine Unterkunft zu suchen.

„Aus den Abflüssen krabbeln Dutzende Kakerlaken. Dutzende!“

Diesmal buchten wir im Internet. Eine kleine Ferienwohnung, zehn Kilometer außerhalb. In der Stadt war kein bezahlbares Zimmer mehr frei. Gegen frühen Abend fuhren wir zur Wohnung, bepackt mit unseren Rucksäcken, Snacks und jeder Menge Spirituosen. Mit denen wollten wir dann wenigstens zum zwei Kilometer entfernten Strand pilgern, um ins neue Jahr zu feiern. 

Bei der Wohnung angekommen, war keiner da. Wir riefen die im Netz vermerkte Nummer an, nach einigen Stunden hob jemand ab. Die Frau am Telefon war vollkommen überrumpelt davon, dass jemand ihre Wohnung gebucht hatte. „Die ist seit Jahren nicht mehr bewohnt worden.“ Noch zwei Stunden bis zum neuen Jahr und wir zogen weiter.

Noch 45 Minuten bis Neujahr und wir haben ein neues Hotel gefunden. Ich stehe endlich in einer Dusche, schließe die Augen und atme ganz tief durch. Plötzlich krabbelt mir etwas über den Fuß. Ich öffne die Augen und sehe: eine Kakerlake. Ich schüttle das Tier ab, nehme mein Handtuch und gehe nach draußen. Eine Kakerlake, pah, hab ich schon zu oft getroffen, um beunruhigt zu sein. Ich bitte die anderen, mir beim Einfangen des Tieres zu helfen. Sie willigen ein und kommen mit mir ins Bad. Eine Sekunde später schlagen wir die Badtür von außen zu und schauen uns panisch an. 

Denn aus den Abflüssen krabbeln Dutzende Kakerlaken. Dutzende! Noch 30 Minuten bis Neujahr und ich streite mit der Rezeptionistin um ein neues Zimmer. Sie willigt schließlich ein und führt mich in einen anderen Raum. Neben dem Bett liegen tote Kakerlaken, ins Bad will ich nicht mehr. Beim nächsten und übernächsten Zimmer brüllen wir beide schon beim Türöffnen: Die Kakerlaken kommen uns entgegen.

Zehn Minuten vor Mitternacht presst sich die verängstigte Mexikanerin an meine Zimmerwand

Spätestens jetzt weiß ich: Die Rezeptionistin ekelt sich nicht weniger als ich. Das wird sie gleich auch ihrem Chef sagen, der ihr trotzdem befiehlt, den Tieren doch einfach den Garaus zu machen. Zehn Minuten vor Mitternacht presst sich also eine verängstigte Mexikanerin an meine Zimmerwand, Schwester und Freund warten verstört draußen, die Kakerlaken muss ich selbst erledigen. 

Ein letztes Mal wage ich mich in das Badezimmer, die Kakerlaken sitzen in allen Ecken. Ich setze ein Spray ein, das mir der Hotelbesitzer gegeben hat. Die Tiere stören sich nicht daran, stattdessen krabbeln immer neue aus dem Abfluss. Als eine direkt auf mich zukommt, werde ich panisch – und knalle die Tür wieder von außen zu. Den Schlitz unter der Badezimmertür decken wir mit Handtüchern und Kissen ab, das Zimmer kühlen wir über die Klimaanlage so weit runter, dass die Kakerlaken hoffentlich nicht aus dem Bad zu uns kommen wollen. Dann kauern wir uns zu dritt in das Bett, das am weitesten von den Tieren entfernt ist. Irgendwann während des Kampfes gegen die Kakerlaken ist es Mitternacht und ein neues Jahr geworden. 

Im Bad bei den Kakerlaken liegen am nächsten Morgen noch Zahnbürste, Shampoo, Seife. Dinge, die ich zurücklasse, bevor ich in den nächsten Bus in eine andere Stadt steige. Dinge, die ich besonders dringend gebraucht hätte. Denn während der Fahrt kotzt mir mein fremder Sitznachbar auf die Füße. Meine Schwester raunt zynisch zu mir herüber: „Frohes neues Jahr.“

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