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Eine Liebeserklärung an den Fernbusbahnhof

Collage: Daniela Rudolf / Fotos: dpa / unsplash

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Es gibt viele Gründe, sie zu hassen: Fernbusbahnhöfe sind nie schön, sondern betongrau und unwirtlich. Meistens ist es kalt und zugig, ungemütlich auf jeden Fall. In irgendeiner Ecke stinkt es immer, genug Sitzplätze zum Warten gibt es auch nicht. Und trotzdem gibt es viele Gründe, sie zu lieben.

Denn in Zentralen Omnibusbahnhöfen, kurz ZOB, hängen Anzeigentafeln mit fernen und verheißungsvoll klingenden Städten, die doch alle mit dem Bus erreichbar sind: Budapest. Ljublijana. London. Zagreb. Paris. Prag. Rom. Belgrad. Und viele andere, kleinere Orte, deren Namen man vielleicht noch nie gehört hat, die man nicht einmal richtig aussprechen kann, die aber irgendwie neugierig machen. Es ist ein schönes Gefühl, sich theoretisch jederzeit für wenig Geld in so einen Bus setzen zu können. An Busbahnhöfen packt mich immer eine besonders große Reiselust, ein Bedürfnis, all diese Städte zu besuchen.

Irgendjemand hat immer diese riesigen karierten Taschen aus festem Plastik dabei

Busbahnhöfe sind nicht schick, und auch die Menschen dort sind es fast nie. Da sieht man wenige Anzugträger, kaum teure Handtaschen, Laptops, High-Heels und metallene Rollkoffer. Geschäftsreisende nehmen selten den Fernbus. Stattdessen versammeln sich Großfamilien, die über den Sommer auf Heimaturlaub fahren, nach Kroatien vielleicht oder Rumänien, Studenten mit vollen Rucksäcken, Jogginganzüge in allen Ausführungen und gefühlt überdurchschnittlich viele Raucher. Es mischen sich alle Sprachen. Und irgendjemand hat immer diese riesigen karierten Taschen aus festem Plastik dabei, in die man zur Not einfach unglaublich viel Zeug stopfen kann.

Busbahnhöfe sind unprätentiöse Orte. Da warten die Menschen inmitten ihrer Gepäckberge, oft auf dem Boden sitzend, essen Schokoriegel oder wickeln mitgebrachte Brote aus Alufolie. Wenn man Glück hat, gibt es irgendwo am ZOB einen Stand mit Fastfood, einen kleinen überteuerten Laden mit Bockwurst, Limo und Keksen, oder sogar einen Backshop. Wenn man Pech hat, ist da nur ein Automat für Getränke und noch einer für Süßigkeiten.

Busreisende teilen die Bereitschaft, sich längere Zeit in einen engen und langsamen Bus zu setzen. Viele andere Menschen finden das ungemütlich oder sogar unzumutbar. Es gibt Leute, die lieber gar nicht von Berlin nach Freiburg fahren, wenn das Geld für den Zug oder das Flugzeug fehlt, als diese Reise im Bus hinter sich zu bringen. Eine lange Busfahrt vor sich zu haben oder gemeinsam aus dem Nachtbus zu steigen, erzeugt dadurch ein leises Gefühl der Verbundenheit zwischen sich eigentlich fremden Menschen. Neulich bin ich über Nacht von München nach Paris gefahren. Mein Bus kam schon aus Budapest. Von Budapest bis Paris, das sind 1500 Kilometer und 21 Stunden Busfahrt, mit unzähligen Stopps auf dem Weg. Das muss man erst mal durchhalten. Die Menschen, die Fernbusbahnhöfe prägen, halten sowas durch.

Gemeinsame Kaffee- und Zigarettenpausen verbinden

Natürlich ist Busfahren oft einfach eine Budgetfrage, und Busreisende haben wahrscheinlich oft nicht viel Geld. Dafür haben sie die Zeit für diese Busreise, die immer ein bisschen improvisiert ist. Mit dem Bus begibt man sich auf einen Weg, einen richtigen Weg, merkt jeden Kilometer, macht gemeinsame Kaffee-, Zigaretten- und Pinkelpausen mit der Busgemeinschaft, ist nicht so schnell am Ziel wie mit dem Flugzeug, reist nicht so luxuriös wie im Zug, wo man zwischendurch zumindest mal aufstehen kann. Hat mehr Privatsphäre als bei den meisten Mitfahrgelegenheiten.

Ja, auch an Flughäfen sitzen und liegen übermüdete Menschen in ihrem vielen Gepäck, aber trotzdem sind Flughäfen mit den schicken Duty-Free-Shops und den vielen sterilen Schaltern und Sicherheitskontrollen nicht einmal annähernd mit einem Busbahnhof vergleichbar. An Zugbahnhöfen fehlen für das richtige Reisegefühl schon die fernen und verheißungsvollen Ziele auf der Anzeigentafel, vor allem, seit immer mehr Nachtzugverbindungen eingestellt werden. Köln oder Bremen lösen in mir nicht das Gleiche aus wie Bukarest oder Palermo.

Busbahnhöfe sind eine Mischung aus Müdigkeit und Vorfreude, aus leichtem Benzingestank und dem Wissen, in ein paar Stunden schon ganz woanders zu sein. Selbst ganz neu gebaute ZOBs wie der in Leipzig sehen schnell ein bisschen gammlig aus. Auf dem Boden liegen gefühlt tausend Kippen, es ist chaotisch, Leute wuseln durcheinander, es gibt viel zu wenige Ansprechpartner und Anzeigentafeln, und manchmal wird die Verspätung des Fernbusses einfach nicht angesagt und alle kriegen Panik, dass sie am falschen Bussteig stehen und ihr Bus schon wieder weg ist.

Dafür kommt man sehr schnell mit dem Reisenden zwei Meter weiter ins Gespräch, kann direkt vor dem Einstieg in den Bus noch eine letzte Zigarette rauchen und die witzigsten Gepäckkombinationen beobachten. Aus all diesen Gründen sind Busbahnhöfe zwar zugegebenermaßen sehr unwirtlich. Aber trotzdem ganz besondere Orte, an die ich immer wieder gerne zurückkehre. Egal, in welcher Stadt, und egal, wohin die Reise dann geht.

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