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Typologie: Urlaub während der Corona-Krise
Nie hatten die Menschen Urlaub wohl nötiger als nach dem vergangenen halben Jahr: Pandemie dies, Pandemie das – viele Menschen fühlen sich psychisch ausgehöhlt. Egal ob durch Online-Vorlesungen, Kurzarbeits-Formulare oder endlosen Diskussionen mit Verwandten über Maskenpflicht, zu einem Eis am Stiel am Strand im Süden würde jetzt wohl niemand Nein sagen. Aber Halt! So leicht macht es 2020 uns natürlich nicht. Zwischen all den Regeln, neuen Informationen, Vernunft, Risiko und Angst müssen die Menschen neue Wege finden, wie sie sich dieses Jahr entspannen können. Hier sind die Urlaubstypen, die Corona neu hervorgebracht hat:
Die Zum-Ersten-Mal-Camper*innen
Motto: Zelten ist auch nichts anderes als DIY-Urlaub!
Ihr Corona-Urlaub: Nach einigem Hin- und Her einigt man sich mit der Freundesgruppe auf Zelten am Ammersee – das einzige, das irgendwie „ok“ zu sein scheint, und hey: „Abenteeeeuer“. Immerhin hat man da die Möglichkeit nett zu radeln und sooo schlimm kann das mit den Campingduschen ja gar nicht sein. Also erstmal ein Zelt kauf… 400 Euro?? Öhm, vielleicht kann man eins von Marius leihen? Und Schlafsäcke vielleicht auch? Aber Ausrüstung allein hilft nichts, wennman sie nicht einzusetzen weiß. So scheitern die Zum-Ersten-Mal-Camper kläglich am Zusammenschrauben von Kartusche und Gaskocher, und schielen neidisch auf die Langzeitcamper und ihre chilligen Wohnmobile. Nach zwei Nächten mit Nieselregen, Mücken und Straßenlaterne neben dem Zelt fahren sie verfrüht wieder heim. War von Anfang an eine blöde Idee.
Das haben sie dabei: Eine Vogelgezwitscher-Erkennungs-App. Aber keinen Hammer.
Die Reisewarnungen-Checker*innen
Motto: Solange die Regierung und die WHO nichts dagegen haben, ist der Urlaub safe!
Ihr Corona-Urlaub: Mit dem Flugzeug nach Portugal, ah ne, warte da sind die Fallzahlen grade so gestiegen, doch Kroatien. Kleines Häusle gemietet, das ist dann doch auch nicht unsicherer als zuhause. Wobei: Wenn man schon da ist, will man natürlich auch an den Strand, später zum einheimischen Gemüsemarkt und dann noch gemütlich essen gehen, das muss halt. Sonst hätten die Reisewarnungs-Checker*innen ja auch gleich in ihrer Wohnung in Dortmund bleiben können. So oder so, passieren kann ihnen nichts – der Regenradar sagt gutes Wetter an und für Notfälle haben sie natürlich auch eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen.
Das haben sie dabei: Sonnencreme und ein Miniatur-Desinfektionsmittel, dazu die selbstgenähte Maske mit trendy Muster.
Die Isolierten
Motto: Sicher ist sicher.
Ihr Corona-Urlaub: Im Bett, ganz vielleicht noch bei den Eltern. Eigentlich würden sie die Zeit gerne nutzen, ihr Heim auf Vordermann zu bringen. Aber man will ja nicht so bescheuert wie der Rest der Republik sein, und sich in irgendwelche hochriskanten Schlangen vor Baumärkte stellen. Stattdessen vertreiben sie sich die Zeit damit, Reproduktionszahlen zu vergleichen, unter Facebook-Posts über Risiken und Maßnahmen-Pakete zu streiten und Symptome zu googeln. Nach 14 Tagen sind sie erschöpft von der ganzen digitalen Aufregung und ziemlich froh, wieder arbeiten zu dürfen. Im Homeoffice natürlich.
Das haben sie dabei: Die moralische Oberhand.
Die Urlaubs-Schwindler*innen:
Motto: Das geht euch gar nichts an.
Ihr Corona-Urlaub: Offiziell planen sie dieses Jahr „nur was kleines“, vielleicht ein Häuschen an der Mecklenburgischen Seenplatte mieten, oder so. Ha, von wegen! Ihr Trottel habt das auch noch geglaubt! Dabei haben Mareike und Helmut sich den Cluburlaub in Ägypten im Januar reserviert, im Mai einmal kurz drüber diskutiert, und jetzt ist es „leider“ zu spät zu canceln, da kriegt man ja kein Geld mehr zurück. Und wenn alle anderen brav zuhause bleiben, dann gibt es ja auch keine Ansteckungsgefahr – Fuchs muss halt man sein! Fotos kann man dann ja mit dem Hashtag #2019 trotzdem auf Insta posten, alles kein Problem.
Das haben sie dabei: Ein 50er-Pack Einmal-Masken, die man für 2,49 Euro an der Tanke erstehen kann, und über denen Helmut lässig seine Nase raushängen lässt.
Die Digital Nomads
Motto: Arbeiten, wo andere Urlaub machen.
Ihr Corona-Urlaub: Wenn eh gerade alle im Homeoffice sind, kann man das Büro auch mit nach Madeira nehmen. Videocalls mit einem Hintergrund, der Kolleg*innen vor Neid erblassen lässt, in der Mittagspause ‘ne Runde surfen und ein Feierabend-Gin-Tonic an der Strandbar. So sollte sie aussehen, die Workation. Doch die Ferienwohnung hatte leider kein W-LAN, also muss der einzige Starbucks am Flughafen als Büro herhalten. Um von dort aus zum Strand und zurück zu kommen, reicht die Mittagspause leider nicht aus und beim Feierabend-Gin-Tonic denken die Digital Nomads die ganze Zeit nur über diese E-Mail von Frau Schulze nach, anstatt zu genießen, wie das Orange der untergehenden Sonne das Meer in ein impressionistisches Gemälde verwandelt.
Das haben sie dabei: Den Laptop und die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben. Nur das Ladekabel haben sie leider zuhause auf dem Schreibtisch vergessen.
Die Leute, die in Risikogebiete reisen, weil sie dort Familie haben
Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Ihr Corona-Urlaub: Die Lage vor Ort ist undurchsichtig, die Flugverbindungen sind zu teuer und nur mit mehrfachem Umsteigen. Und trotzdem: Mittlerweile ist es schon fast ein ganzes Jahr her, dass sie die Familie gesehen haben und – wer weiß – vielleicht ist das Fenster, in dem man reisen kann, schon bald wieder geschlossen. Bei der Ankunft müssen sie mit gebrochenem Herzen der Oma erklären, warum eine Umarmung zu gefährlich wäre. Die Bedenken werden mit lautem Geschimpfe und einer Handbewegung beiseite gewischt und im nächsten Moment finden sie sich mit einem Kuss auf der Backe in den Armen ihrer Oma wieder. Nach Tagen voller gutem Essen, Witzeleien unter Cousins und Cousinen und Gesprächen darüber, wie Corona die Länder, in denen man wohnt, verändert hat, geht es zurück nach Deutschland und ab in die 14-tägige Quarantäne.
Das haben sie dabei: Sehnsucht, drei verschiedene Masken und die gute Thüringer Rostbratswurst.
Die Zwangs-Urlaubnehmer*innen
Motto: Das einzige was schlimmer ist als eine Pandemie, ist während einer Pandemie Spaß faken zu müssen.
Ihr Corona-Urlaub: Ist von dem/der Chef*in auferlegt. Irgendwann müssen die Urlaubstage genommen werde, und wir können halt nicht alle im Dezember nach Thailand fahren. Aber Wegfahren geht nicht guten Gewissens. Also entschließen sich Kathrin und Marco schwersten Herzens im August zwei Wochen zuhause zu verbringen, auch wenn die gemeinsame 43-Quadratmeter-Schuhschachtel nach einem halben Jahr Homeoffice doch schon ziemlich nervt. Dabei: Am Ende haben sie vier Bücher gelesen, jeden Tag aufwendig gekocht und sogar endlich den riesigen Haufen Papier weggeräumt. Eigentlich sind sie (auch wenn sie das nie zugeben würden) durch den Zwangsurlaub entspannter als ein Horde schläfriger Faultiere.
Das haben sie dabei: Die finsterste Bitterkeit in der Stimme, wenn sie sagen: „Also wir machen ja dieses Jahr Urlaub AUF BALKONIEN Ha ha haha. Ha.“
Die Malle-Fahrer*inen
Motto: The Myth, the men behind it.
Ihr Corona-Urlaub: „Weißt du noch im letzten Jahr? Das war der Sommer unseres Lebens! Weißt du noch wie geil das war?“ grölt die Party-Crew noch während des Fluges. Endlich die ganze Corona-Scheiße hinter sich lassen und die Sau rauslassen. Bei der Ankunft in Palma – der erste Schock: Maskenpflicht auch auf der Straße! „Dat kann ja bei 40 Grad kein Mensch aushalten!“ Also Maske auf Halbmast und ab zur Bierstraße. Nach der ersten Partynacht mit wenig Abstand und vielen betrunken Umarmungen kommt die nächste Hiobsbotschaft: Die Lokalregierung schließt die Feiermeile, weil Hygienevorschriften massiv missachtet wurden. „Wie soll man denn so Urlaub machen? Wir bringen doch erst das ganze Geld mit auf die Insel!!!“ Zum Glück stehen an jeder Ecke deutsche Kameracrews, bei denen man so richtig Dampf ablassen kann.
Das haben sie dabei: Neongrüne Team-Shirts mit der Überschrift: „Corona-World-Tour 2020“ darunter ein Bild, des mexikanischen Biers. Verstehst? Corona...