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Die schlimmsten Albtraum-Sitznachbarn in der Bahn

Wenn die Bahnfahrt zum Albtraum wird
Illustration: Julia Schubert

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Es ist Samstagabend. Gerade eben hast du noch in letzter Sekunde die Regionalbahn erwischt. Vier nervenaufreibende Stunden mit der Verwandtschaft hast du bereits hinter dir, jetzt warten noch zwei lange Stunden Fahrt auf dich, bevor du endlich zu Hause auf das Sofa fallen kannst. Du quetschst dich mit der irrationalen Hoffnung auf einen freien Platz durch den Zug – und tatsächlich: Da ist er! Ein Platz. In Fahrtrichtung! AM FENSTER!!! Das Leben meint es gut mit dir. Denkst du zumindest. Denn gerade als du es dir bequem gemacht hast und mit einem zufriedenen Lächeln die vom Abendrot bemalten Häuser der Kleinstadt betrachtest, die an dir vorbeiziehen, merkst du, dass es durchaus einen Grund gibt, dass die Menschen sich lieber Kopf an Achsel in den Gang pferchen, als sich auf diesen Platz zu setzen. Denn neben dir sitzt dein schlimmster Albtraum.

Der Spion

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Illustration: Julia Schubert

Du holst dein Handy raus und schreibst deiner besten Freundin, was du für einen schrecklichen Tag hattest, schüttest ihr dein Herz aus. Plötzlich siehst du aus dem Augenwinkel, wie dein Sitznachbar eine sehr unnatürliche Haltung angenommen hat: Kopf gegen die Lehne gepresst, den Hals schmerzhaft verdreht und die Pupillen im äußersten Winkel seines Auges. Er hat ALLES gelesen und weiß jetzt mehr über dich als 90 Prozent deiner Freunde.

Warum er sich so verhält: Eine explosive Mischung aus Langeweile, Neugier und vollkommener Ignoranz gesellschaftlicher Konventionen.

Wie du überlebst: „Der Creep neben mir liest die ganze Zeit mit“ ins Handy tippen und danach mit der Hand das Display abschirmen.

Wann du Reißaus nehmen musst: Wenn dich der Typ auf deinen Chatverlauf anspricht. Das ist nicht mehr nur unverschämt, das ist unheimlich. Lieber schnell abhauen, sonst hast du ruckzuck einen Stalker an der Backe.

Was du auf gar keinen Fall machen darfst: Dich einfach wegdrehen? Wie naiv. Neben dir sitzt nicht Johnny English, das ist ein echter Profi. Vergiss nicht, die Scheiben spiegeln. Er kann immer noch alles lesen und du gibst weiterhin intime Geheimnisse preis.

Der Schuhe-Auszieher

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Illustration: Julia Schubert

Erst ist es nur eine Ahnung, ein undefinierbarer Geruch, der für einen Moment deine Nase kitzelt. Du atmest forschend durch die Nase ein, schnüffelst einmal, zweimal. Deine Neugier lässt dich mutiger werden. Ein dritter, tiefer Atemzug bringt die Gewissheit: Füße. Du hast Füße gerochen. Und ja, sie sind ganz nah. Da sitzt er, dein Mitfahrer. Schuhe aus, Socken aus – ach, was fühlen wir uns wohl in der Bahn. Und weil er so einen anstrengenden Tag hatte und viel gelaufen ist, massiert er in aller Ruhe seine Käsemauken.

Warum er sich so verhält: Für ihn gilt „My Home is my Castle“ genauso wie „Home is where your heart is“. Und weil er sein Herz ja im Körper trägt, ist er überall zuhause. Deshalb benimmt er sich, als wäre er Ludwig XIV und diese Regionalbahn sein Versailles.

Wie du überlebst: Es ist nicht einfach, aber du musst etwas sagen. Ein höfliches aber bestimmtes: „Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte Ihre Schuhe wieder anziehen. Man riecht das leider ein bisschen.“ Es wird dich einiges an Überwindung kosten, aber am Ende fühlt es sich an wie deine eigene Französische Revolution.

Wann du Reißaus nehmen musst: Wenn der Schuhe-Auszieher hinter dir sitzt und tatsächlich so unverfroren ist, seine stinkenden Extremitäten von hinten auf deine Armlehne zu packen. Steh einfach auf, die Armlehne ist auf ewig kontaminiert. Aber dreh dich noch einmal um und lass einen angewiderten Blick da.

Was du auf gar keinen Fall machen darfst: Seine Füße mit Deo vollsprühen. Auch wenn der Impuls verständlich ist, lass es. Erstens zieht dein Deo-Geruch durch das ganze Abteil und damit jede Menge Unschuldige mit in diese Fehde. Außerdem könnte es passieren, dass du ihm aus Versehen ins Gesicht sprühst und das wäre strafbar.

Die Quassel-Oma

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Illustration: Julia Schubert

Jackpot, denkst du. Eine nette alte Dame, die ein Kreuzworträtsel löst. Freundlich nickst du ihr zu, fummelst in deiner Hosentasche, um dein Handy und die Kopfhörer herauszuholen. Gerade, als du endlich das Plastikknäuel in deiner Tasche gefunden hast, kommt von links: „Entschuldigen Sie, kommen Sie aus Plattling?“ Natürlich antwortest du, du bist ja kein Monster. Doch dabei wird es nicht bleiben. In den kommenden zwei Stunden musst du mehr Fragen beantworten, als der Hauptverdächtige in einer schlechten amerikanischen Krimiserie. Dabei wolltest du doch endlich das neue Album deiner Lieblings-Band hören.

Warum sie sich so verhält: Die Dame neben dir kommt aus einer Zeit ohne Handys, ohne Tablets, ja sogar aus einer Zeit ohne Discmans, Walkmans und Gameboys. Aus einer Zeit, in der sich Menschen im Zug unterhalten haben, in der ein freundliches Lächeln bedeutet hat: Warum reden wir nicht ein bisschen?

Wie du überlebst: Zeig ein bisschen Herz, lass dich auf die Sitznachbarin ein. Im schlimmsten Fall langweilst du dich, im besten Fall ist das der Beginn einer überkitschigen Buddy-Komödie, in der eure Freundschaft den Generationenvertrag mit Leben füllt.

Wann du Reißaus nehmen musst: Wenn sich die nette Oma als echter Drachen entpuppt, sie deine Lebensentscheidungen in den Dreck zieht oder anfängt, gegen Ausländer zu hetzen. Du wirst diese Person nicht mehr ändern. Sag, dass du derartige Ansichten komplett ablehnst und setz die Kopfhörer auf.  

Was du auf gar keinen Fall machen darfst: Sauer werden. Du möchtest nicht der Mensch sein, der eine alte Frau angeschrien hat. Erst werden dich die anderen Fahrgäste hassen, später, wenn du einen Moment der Selbstreflexion hast, du dich selbst.

Der Platzhirsch

bahn typen manspreader

Illustration: Julia Schubert

Der Konflikt beginnt, noch bevor du dich überhaupt hingesetzt hast. Denn der freie Platz am Fenster ist nicht wirklich frei. Dort sitzen ein kleiner Koffer, eine Jacke und ein Laptop. Die Frage „Ist da noch frei?“ beantwortet der Platzhirsch mit einem bitterbösen Blick und beginnt mit wütenden Bewegungen sein Gepäck aufzuräumen. Doch das war es noch nicht: Natürlich ist er ein Manspreader. Er zwingt dich mit seinen weit ausgebreiteten Extremitäten dazu, deine Beine in die Ecke zu quetschen und wenn du aufstehst, um auf die Toilette zu gehen, bewegt er sich keinen Zentimeter, sodass du umständlich über ihn drüber klettern musst. 

Warum er sich so verhält: Es ist eine Machtdemonstration. Er ist der Herr über diesen Quadratmeter, den ihr euch für zwei Stunden teilt. Du hast nichts zu melden. Es ist sein Territorium. Du bist höchstens geduldet.

Wie du überlebst: Du musst den Gegner da treffen, wo es ihm am meisten wehtut und wo er es nie erwarten würde: Du musst die Armlehne erobern. Es wird kein leichter Kampf, doch er lohnt sich. Warte, bis dein Sitznachbar seinen Arm bewegt, etwas aufhebt, oder jemanden anruft, um dann laut in sein Handy zu brüllen, damit jeder mitbekommt, dass er einen Job hat, in dem man „Town-Hall-Meetings“ hält. Das ist dein Moment. Hol dir die Armlehne. Und ganz wichtig: verteidige sie. Er wird versuchen, dich wegzudrängen. Aber keine Chance, du hältst dagegen. Die Machtverhältnisse haben sich geändert.

Wann du Reißaus nehmen musst: Wenn er ein schlechter Verlierer ist, der den Verlust seiner Armlehne nicht unkommentiert hinnehmen kann und aggressiv wird. Deine Zeit ist zu kostbar, um mit Idioten zu streiten.

Was du auf gar keinen Fall machen darfst: Versuche niemals seine Beine mit deinen wegzudrücken. In seinem Sonnensystem, in dem er der Fixstern ist, ist dieser Körperkontakt natürlich eine Anmache. Er wird dir vielleicht gönnerhaft mehr Platz lassen, aber dafür bezahlst du den neuen Komfort mit ätzenden Anmachsprüche, die sich über die restliche Fahrt hinziehen werden. Ein viel zu hoher Preis

Der Junggesellinnenabschied

bahn typen junggesellinnenabschied

Illustration: Julia Schubert

Von Weitem kannst du ihn schon hören, den Jungesellinnen-Abschied. „Hulapalu“, Andreas Gabaliers Ode an den schlechten Geschmack, wird nur von lauten Jubelschreien und dem Geräusch klirrender Flaschen übertönt. Wider besseren Wissens lässt du dich trotzdem auf dem einzigen freien Platz nieder, der sich im direkten Orbit des schwarzen Lochs der übertrieben guten Laune befindet, das dich früher oder später fressen wird.

Warum sie sich so verhalten: Alkohol.

Wie du überlebst: Schwierig. Die Musik ballert so laut aus der Bluetooth-Box, dass deine iPhone-Kopfhörer keine Chance haben. Und selbst, wenn du die neusten Noise-Cancelling-Dinger hast: Spätestens das Schunkeln und überschwappender Alkohol geben dir den Rest. An Ruhe ist nicht zu denken. Am besten du ergibst dich und fragst, ob du auch ein Bier/Prosecco/Berentzen haben kannst.

Wann du Reißaus nehmen musst: Bevor du den Wagon betrittst. Danach gibt es keinen Ausweg mehr.

Was du auf keinen Fall tun solltest: Wütend auf das Ruhebereich-Schild am Fenster hinweisen. Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Dinge. Besonders, wenn du es mit einer betrunkenen, „durchgeknallten“ Truppe zu tun hast, die „einfach nur ihren Spaß haben will“. Den Rest der Fahrt wirst du dir Witze anhören müssen, fremde Menschen werden versuchen, sich auf deinen Schoß zu setzen und dir Blumenketten um den Hals zu hängen, bis du aufhörst so ein Spaßverderber zu sein.

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