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Sex im Shutdown: Wenn das Coronavirus die Lust killt

Jeden Tag vögeln? Von wegen. Die ersten Tage daheim hatte unsere Autorin gar keinen Sex, sondern ganz andere Sorgen.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Als der Shutdown kam, war ich sicher: Das hier wird unsere Zeit! Bars, Restaurants, Kinos, alles zu. Kein Ausgehen, keine anderen Menschen, keine beruflichen Reisen. Abend für Abend würden mein Mann und ich zu zweit zu Hause hocken, ziemlich bald wäre Netflix durchgeglotzt, und von da an würden wir genau das tun, was man in solchen Situationen eben tut: sich vor Verzweiflung besinnungslos vögeln.

Doch bereits wenige Tage später merkte ich, dass sich nur ein Teil meiner Voraussage bewahrheiten würde. Und zwar nicht der mit dem Vögeln. Sondern der mit der Verzweiflung.

Zusätzlich zu unserer eigenen Arbeit mussten wir plötzlich das Homeschooling von drei Kindern organisieren. „Mamaaa!“, plärrte immer irgendwer, wenn ich grade wen Wichtiges am Telefon hatte oder auch nur einen verdammten Absatz schreiben wollte. In Anwesenheit meiner Kinder versiegte nicht nur der Strahl meiner Produktivität. Auch meine Lehrtätigkeit glich eher einem unbefriedigenden Tröpfeln: Wie das mit der Bruchrechnung ging, hatte ich schon vor zwanzig Jahren vergessen. Und die Mini-Statuen im Stil von Giacometti, die wir in „Kunst“ bauten, kippten immer wieder um wie unterernährte Trinker*innen. Apropos Trinker*innen: War es nicht schon bald fünf und damit Zeit für das erste Glas Wein?

Weitaus schlimmer als die Tage mit den Kindern waren jedoch die Tage, die ich im Büro verbrachte. Verbringen durfte. Ein Raum für mich allein, günstig gemietet in einem Kreativhaus — was für ein Luxus in diesen Zeiten, wo anderen nur das Home-Office bleibt! Und doch war ich das erste Mal in meinem Leben bereit, für eine Festanstellung zu töten. Wieso nur war ich so dumm gewesen, jeden festen Job, der mir angeboten worden war, auszuschlagen? Klar, auch Angestellte quälten sich mit ihren Kindern, wurden vielleicht sogar in Kurzarbeit geschickt. Trotzdem: Im Vergleich zu unserem Leben erschien mir ihres, als trieben sie schwerelos in Mutters Schoß.

Über Nacht war ich zur Alleinverdienerin geworden. Meinem Mann waren für die kommenden Monate sämtliche Jobs weggebrochen, die Soforthilfen für Kleinstunternehmen noch lange nicht beschlossene Sache. Die meiste Zeit verbrachte er jetzt mit Haushalt und Kindern, während ich in meinem Büro saß. Und schreiben sollte. Ein Buch, einen Artikel, ein Exposé, egal was. Nur großartig sollte es sein, am besten ein echter Geniestreich! Schließlich mussten zwei Erwachsenen- und drei Kindermäuler gestopft werden. Warum zum Teufel hatten wir nie etwas gespart? Und wie lange würde unser Geld jetzt noch reichen? Ich bemühte mich redlich. Doch Geniestreiche, diese Memmen, kriechen leider nur allzu selten zum Sound von „Under Pressure“ aus ihren Löchern.

Dieses Virus ist das Unsexieste, das ich je erlebt habe

Wenn ihr bis hierhin gelesen habt und euch die ganze Zeit fragt, ob das Wort „Sex“ in der Überschrift eigentlich nur billiges Clickbaiting war, und falls Nein, was mein Gejammer dann damit zu tun hat, kann ich euch sagen: nichts. Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts gemein. Und zwar aus einem einzigen Grund: Dieses Virus ist das Unsexieste, das ich je erlebt habe. Sogar die ersten Monate meiner Schwangerschaften, die ich grüngesichtig in der Nähe einer Toilette verbracht hatte, kamen mir in den ersten Wochen des Lockdowns vor wie eine einzige erotische Ausschweifung. Jetzt hingegen war an Vögeln nicht mehr zu denken. Von morgens bis abends war ich mit meiner Existenzangst beschäftigt. Und ich war nicht allein. Jede*r um mich herum hatte seine eigenen Struggles, die er*sie nicht müde wurde, in Textnachrichten, Videochats und Telefonanrufen mit mir zu teilen: Sie sorgten sich um Eltern oder Kinder, fühlten sich einsam, gingen ihrem*ihrer Partner*in an die Gurgel oder hatten kein Klopapier mehr im Haus. „Corona-Babies?“, höhnte letztens eine Freundin. „Muss ein PR-Gag sein.“

Meine Libido jedenfalls war weg. Vielleicht vergnügte sich das lüsterne Ding zusammen mit dem Geniestreich in irgendeiner finsteren Ecke. Genau ein Mal wagte sie sich noch hervor. Es war Abend, Maybritt Illner lief, und aus irgendeinem Grund entstand eine kleine Fummelei auf dem Sofa, die möglicherweise sogar zu irgendetwas geführt hä … Wenn nicht in genau diesem Moment Christian Drosten zu reden angefangen hätte. Und sorry, wenn der redet, dann kann man einfach nicht weghören.

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