Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Guter Sex rettet deine On-Off-Beziehung nicht

Collage: Daniela Rudolf

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Erst streiten, dann rammeln. Es ist unbestritten: Versöhnungssex ist eine feine Sache. Man hat sich gegenseitig ein paar unangenehme Wahrheiten an den Kopf geknallt, das tut beiden weh, also gilt es, wieder Nähe herzustellen. Und all die negativen Empfindungen („Mit was für einem Arsch bin ich eigentlich zusammen?“) in positive zu verwandeln („Oh Gott, ist das gut!“). Plus, darauf ist Verlass: Diese Nummer wird besonders gut. Mit etwas Restwut im Bauch liebt es sich gleich viel wilder. Sind wir verunsichert, geben wir uns garantiert eine Spur mehr Mühe. Und mit Aussicht auf Versöhnung können wir uns dabei besser fallen lassen.

Nur, wenn mit solchen extraguten Nummern Differenzen nicht ernsthaft angegangen, sondern einfach weggevögelt werden, wird es schwierig. Jeder von uns kennt mindestens eines von diesen Paaren, bei denen Sex die einzig wahre Problemlösungsstrategie ist. Auf heftigste Streitereien folgen oberheftigste Versöhnungen, dazwischen gibt es nichts. Als Außenstehende werden wir manchmal neidisch auf die Leidenschaft, mit der solche Paare ihre Beziehung leben. Sie duften nach einem Hauch von Abgrund und Erregung. Naja, und manchmal auch nach Körpersäften. Jedenfalls ist es ein Leichtes, die eigene, beruhigend stabile Beziehung im Vergleich mit diesen Paaren als altes, warmgefurztes Sofa zu empfinden. Gleichzeitig fragen wir uns: Wie, verdammt, kann das gut gehen?

Meine Freundin A. fragte sich das kürzlich auch. Seit einem Jahr war sie mit einem Mann zusammen, mit dem nichts zu passen schien. Jede gemeinsame Party endete in einer Katastrophe, jeder Urlaub sowieso. Auf ihn ist kein Verlass, fand sie. Sie denkt nur an sich, fand er. Drüber reden half auch nicht weiter. Wann immer sie es versuchten, schlingerten sie immer tiefer in einen Sumpf aus Wut, Vorwürfen und schließlich Resignation. Um wieder zusammenzufinden, blieb nur eine Möglichkeit: Sie schliefen miteinander. Warum die beiden trotzdem immer noch ein Paar blieben? Weil der Sex der Hammer war. Eine noch nie dagewesene Offenbarung. Wie ein Weichzeichner legte er sich in den Momenten der Verschmelzung über ihr gemeinsames Leben, und die Scheiße zwischen ihnen erschien auf einmal nicht mehr braun, sondern maximal noch zartbeige. Auf jeden Fall irgendwie noch zu retten. Denn solcher Sex, da war sich A. sicher, ist nur Seelenverwandten vorbehalten.

Trotzdem war sie am Ende dieses aufregenden Jahres emotional so ausgelaugt von all den Verwünschungen und Versöhnungen, dass ihr auch kein Ganzkörperorgasmus mehr weiterhelfen konnte. An diesem Punkt stellte sie fest, dass die Anziehung zwischen ihr und ihrem Freund von Anfang an eine primär körperliche gewesen war. Also nix mit Seelen-, sondern eher Geschlechtsorganeverwandtschaft, deren explosionsartige Vereinigung vor allem durch ihre ständigen Differenzen befeuert wurde.

Wenn der Sex nicht derart großartig gewesen wäre, hätten sie es nie so lange in ihren destruktiven Beziehungen ausgehalten

Differenzen hatten auch mein Freund J. und seine Freundin. Oder besser gesagt: Sie hatte welche. Ständig brach sie Streitereien vom Zaun, an deren Ende J. regelmäßig das Gefühl hatte, schuld an allem Elend dieser Welt zu sein, ihrem inklusive. Und wenn es ihm dann so richtig dreckig mit der Situation ging und er dachte „Jetzt geht es nicht mehr“ – und das dachte er oft –, dann wusste sie genau, was sie zu tun hatte. Ihr wunderschöner Körper war ihr Kapital, bei seinem Anblick konnte er nur mit einer Erektion reagieren, egal wie er sich gerade fühlte. Also zog sie sich nackt aus und besorgte es ihm zur Wiedergutmachung ganz besonders leidenschaftlich. Nach dem Motto „Ich habe dir wehgetan, jetzt tu ich dir was Gutes“. Nach solchen Nächten waren alle Zwistigkeiten wie weggewischt, die beiden fühlten sich nah wie nie. Nun ja, jedenfalls bis zum nächsten Mal. Auf diese Weise hielt sich die Waage zwischen schön und schrecklich immerhin fast zwei Jahre.

Sowohl A. als auch J. sind sich rückblickend einig: Wenn der Sex nicht derart großartig gewesen wäre, hätten sie es nie so lange in ihren destruktiven Beziehungen ausgehalten. Inzwischen sind beide wieder Single. Wie alle mir bekannten Beispiele von Leuten, deren Beziehung so eine Dynamik hatte. Weil es keine Hoffnung gibt, dass sich jemals etwas daran ändern würde. Egal wie groß die Liebe zu sein scheint, egal wie sehr es die Beteiligten auch wollen mögen: Beziehungen, die letzten Endes nur über Sex funktionieren, haben auf lange Sicht keine Chance.

Je länger das Ganze anhält, desto zehrender werden Verstrickung und Verzweiflung

Trotzdem fällt es vielen schwer, dieses Muster aus eigener Kraft aufzulösen. Denn je länger das Ganze anhält, desto weniger ist man fähig,     die Probleme in der Beziehung zu reflektieren, desto zehrender werden Verstrickung und Verzweiflung. Ein Oberchecker-Paartherapeut müsste dafür her, das ist klar. Aber wer ist schon bereit, die Hälfte seines ohnehin lächerlichen Einkommens in gemeinsame Therapiesitzungen mit jemandem zu investieren, der einen an den Rand des Wahnsinns treibt? Mit dem eine harmonische Zukunft genau so illusorisch erscheint wie überhaupt irgendeine gemeinsame Zukunft? Dann lieber weiterziehen. Auch, wenn es den einen Richtigen nicht gibt – die Welt hat garantiert noch ein paar Menschen auf Lager, mit denen es besser laufen kann.

Trotzdem: In jeder neuen Beziehung – und passen wir noch so gut zusammen – entwickeln wir ganz automatisch und unbewusst Strategien, um mit Schwierigkeiten umzugehen. Das ist normal. Die Frage ist, ob wir sie Überhand nehmen lassen. Egal ob Wegvögeln, Totdiskutieren oder Aussitzen – es lohnt sich, diese Strategien immer wieder gemeinsam anzuschauen und rechtzeitig einzudämmen. Damit wir eine echte Chance haben, zusammenzuwachsen und uns sicher beieinander zu fühlen.

Auf der anderen Seite ist es kein Geheimnis, dass Sicherheit über kurz oder lang die Leidenschaft killt. Dass harmonische Beziehungen eher dazu neigen, zu sexfreien Zonen zu degenerieren als solche, in denen es ab und zu mal heftig kracht. Also: Ruhig mal die Fetzen fliegen lassen. Und dann her mit dem Versöhnungssex! Aber bitte nur dann, wenn wir wirklich wieder im Reinen miteinander sind.

Mehr Sexstrategien:

  • teilen
  • schließen