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Meine weiblichen Kumpel gehen eher fremd

Illustration: Daniela Rudolf

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Mein guter Freund Mathis ging neulich zum ersten Date mit der wirklich sehr sehr hübschen Geschichts-Referendarin Sina. Ein paar Tage vorher hatten sie sich im Club kennen gelernt, und später ewig rumgeknutscht, mitten auf der Tanzfläche . Das ließ ihn die laute Musik vergessen, vor allem aber den frischen Trennungsschmerz. Mathis Ex Paula hatte sich ein paar Wochen zuvor von ihm getrennt. Deswegen hoffte er nun sehr, dass er künftig öfter in Sinas bezaubernden Locken rumwuscheln darf.

Beim ersten Kaffee erzählt er also von seinem aktuellen Wohnungsbesichtigungs-Marathon. Und sagt natürlich, ehrlich wie er ist, dass er und seine Freundin sich vor einigen Wochen getrennt haben und er derjenige ist, der auszieht. Und genau in dem Moment friert Sinas Gesicht förmlich ein. „Aha”, scheint ihr ganzer Körper zu sagen, während sie sich zurückneigt und ablehnend die Arme vor ihrer Brust verschränkt, „der klassische Hallodri, was?” Mathis entgeht dieses sichtbare Verschließen nicht. Und bevor die Aussicht, Sina noch mal zu küssen und dabei ihr Macadamia-Shampoo zu schnuppern, völlig schwindet, tut er so, als hätte er ihr Verhalten nicht bemerkt und fragt: „Wie wohnst du denn so?” Aber Sina lässt ihn auflaufen und will nicht mehr über sich sprechen. Stattdessen fragt sie sofort: „Hast Du Deine Freundin betrogen?”

Mathis empfindet das als äußerst fies und unfair. Weil es eben seine Ex-Freundin Paula war, die sich nach drei Jahren Pärchen-Wohnen in einen anderen Typen verliebt hatte. Das an sich – auch wenn es für ihn aus heiterem Himmel kam – ist nicht verwerflich. Es ist weder ausschließlich Männern noch Frauen vorbehalten. Es wäre auch nichts gegen Sinas Skepsis einzuwenden, wenn sie vermutet hätte: Der neu ins Single-Leben katapultierte Mathis sucht vielleicht nur eine Art Gefühls-Prothese, weil er nach der Trennung noch nicht wieder so richtig auf den Beinen ist. Aber sie verdächtigte ihn eben sofort der Untreue. Und glaubte ihm auch nicht, als er ihr sagte, wie es wirklich war. Sina blieb reserviert, weswegen Mathis das Date frustriert beendete. Adieu Locken-unordentlich-Machen! Hallo männlicher Schlampen-Stempel!

Auch ich wurde von einer Urlaubsbekanntschaft neulich völlig ungläubig gefragt: „Wie? Du bist noch nie in einer Beziehung fremdgegangen? Hattest Du keine?” Doch, hatte ich. Und dieses Klischee, dass wir Kerle immer bereit sind, unsere Freundinnen zu hintergehen, um unseren Samen noch viel weitertragen zu können, nervt kolossal. Es ist schwierig, verlässliche Zahlen oder auch nur Tendenzen zu finden, ob Männer oder Frauen öfter fremdgehen. Die eine Studie sagt dies, die andere das.

Mathis und meine persönlichen Erfahrungen sprechen aber eine eindeutige Sprache: Die Frauen scheren in Beziehungen öfter aus, die Männer nicht. Niemand von den Kerlen, die wir zu unserem engen Freundeskreis zählen, hat in den vergangenen zehn Jahren auch nur fremdgeknutscht – wir sind eben keine 19 mehr. Klar, auch wir fantasieren trotz fester Freundin vielleicht gelegentlich darüber, ob das Emma-Watson-Double da auf der Tanzfläche sich im Bett auch so elfengleich auf uns bewegen würde. Aber wenn sie uns dann tatsächlich einen Mexikaner hinstellt und uns anspricht, erzählen wir doch wieder im dritten Satz von unserer Liebsten. Selbst, wenn wir allein unterwegs sind.

Bei meinen weiblichen Freunden sieht das anders aus. Zugegeben: nur bei wenigen, die nun auch nicht jeden Typen anspringen, der ihnen über den Weg läuft. Aber ein knappes Drittel meiner monogam-langzeitgebundenen Freundinnen hat in ihren letzten Beziehungen in irgendeinem Hausflur oder WG-Zimmer gestanden – und mit einem fremden Typen rumgemacht.

Es ging gar nicht um die Lust auf fremde Lippen, sondern eher um mangelnde Aufmerksamkeit

 

Dass man zeitweise Lust auf andere bekommt oder sich sogar neu verliebt, passiert eben. Aber während meine männlichen Freunde ihre Eskapaden zu Teenager-Zeiten als „Scheiße bauen” bezeichnen, sind die Rechtfertigungen der Frauen meiner Meinung nach teilweise ziemlich schräg. Meist ging es gar nicht um die kurze Aufregung oder die Lust auf fremde Lippen, sondern eher um mangelnde Aufmerksamkeit. Weil der Freund gerade in der Karriere durchstartete oder keine Lust auf den Salsa-Kurs hatte. Solche ungestillten Bedürfnisse werden in Befragungen oft von fremdgehenden Frauen genannt. Sie scheinen also ein ganz okayer Grund für Fremd-Turteleien. Aber nur, wenn der Partner vorher die Chance bekommen hat, an solchen Mängeln in der Beziehung etwas zu ändern. Nur waren die meist eben nicht ausgesprochen – und Gedankenlesen kann halt niemand. Meine weiblichen Kumpel nahmen die Fremdknutscherei auch meistens zum Anlass, wenigstens im Nachhinein ihre Wünsche an den Freund zu äußern. Vielleicht ging es auch deswegen nicht über ein paar Küsse mit anderen hinaus. Weder bei denen, die den Fehltritt beichteten, noch bei denen, die ihn erst verschwiegen, kam irgendeiner der Jungs auf die Idee, „typisch Frau“, „Bitch“ oder Schlimmeres zu denken oder zu sagen. 

Wütend machte Mathis und mich nur Paulas Nachtreten.

Denn die erzählte zwar einer gemeinsamen Freundin über ihr schlechtes Gewissen, einen echt coolen Typen verlassen zu müssen. Aber sie schien es nicht besonders gut zu ertragen. Stattdessen versuchte sie, es auf Mathis abzuwälzen, indem sie ihm ihre Schuldgefühle in den Wochen der Trennung immer wieder mitteilen musste. Die beiden wohnten ja immer noch zusammen. Noch schlimmer wurde es, nachdem sie Wind von Mathis’ Date mit Sina bekommen hatte. 

 

Sie durchsuchte pedantisch Mathis bereits in Umzugskartons verstaute Platten, damit er ja nicht ihre beiden The National-Alben mitnahm. Und währenddessen zählte sie ihm all seine Fehler auf, die ihre Beziehung angeblich hatten faulen lassen. Vom nicht-erfolgten Heiratsantrag bis zum Bierfleck auf der neuen Couch – eigentlich habe er so ziemlich alles verbockt. Mathis fragte sich und Paula zu Recht: „Warum erfahre ich das erst jetzt?” Denn auch sie hatte kaum eine der kleinen und großen Unzufriedenheiten während der Beziehung je geäußert.

 

Das, finde ich, ist schlampiges Verhalten. Aber auch nur im Sinne von: nachlässig. Das Wort „Schlampe“ wäre hier genau so unzutreffend wie das Märchen vom dauergeilen männlichen Betrüger. Denn der Schlampen-Stempel entwertet Frauen wie Männer. Er verhindert den Blick auf die ungestillten Bedürfnisse genau so wie er in Zweifel stellt, dass meine engsten Kumpel treue Seelen sind. Verzichten wir doch einfach künftig auf diese unnötige Abwertung.

 

 

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