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Anti-Instagram ist nicht besser als Instagram

Zwei Minuten hat man Zeit, um auf Bereal einen Beitrag hochzuladen.
Foto: unsplash; Grafik: jetzt

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Instagram war schon mal beliebter. Seit die App vor allem Reels pusht, erinnert das Interface mehr und mehr an Tiktok – die Fotos, die Freund:innen teilen, verschwinden dagegen  zunehmend aus dem Feed. Sogar eine Petition wurde deswegen vor Kurzem gegen die Foto-App gestartet. „Hört auf zu versuchen, Tiktok zu sein, ich will nur cute Bilder meiner Freund:innen sehen“, heißt es darin.          

Genau der richtige Moment also für eine App, die genau das verspricht. Unter dem Slogan „deine Freunde in echt“ nimmt das neue soziale Netzwerk Bereal  seinen Nutzer:innen die Möglichkeit, die eigenen Bilder aufwendig zu inszenieren oder zu bearbeiten – und bietet stattdessen das, was bei Instagram gerade verschwindet: cute Bilder deiner Freund:innen.     

Das trifft einen Nerv: Im Appstore ist Bereal auf Platz 1 der Charts in der Kategorie „Social Media“. Das französische Unternehmen, das dahintersteckt, wurde mit 600 Millionen Euro bewertet. Und wer regelmäßig Instagram nutzt, hat in den Stories seiner Freund:innen in den vergangenen Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch immer mal wieder Screenshots von Bereal-Beiträgen gesehen. Die App kommt langsam in Deutschland an. Doch ist Bereal wirklich so viel besser als Instagram?  

Es ist nachvollziehbar, auf Social Media nur ausgewählte Dinge zu zeigen

    

Bereal basiert auf Spontanität. Einmal am Tag schickt die App eine Notification: „⚠ Du hast zwei Minuten Zeit, um dein ,BeReal‘ aufzunehmen und die Fotos deiner Freunde zu sehen“, steht da dann. Öffnet man die App, erscheint eine Kamera mit einem drohenden Timer. Das Foto wird parallel mit Front- und Rückkamera aufgenommen. Ohne selbst zu posten, sieht man die Beiträge von anderen nicht. Lädt man das Bild erst später hoch, wird der Post mit einem mahnenden „Late“ gekennzeichnet. Fotos, bei denen Front- und Rückkamera mit den Fingern abgedeckt sind – die also nur gepostet werden, um die Bilder der Freund:innen zu sehen – werden in den Kommentaren mit #NotReal geschmäht. Auf die Beiträge anderer kann man mit Icons reagieren.        

Durch dieses Konzept wollen die Gründer:innen eine App schaffen, die zeigt „wer deine Freunde wirklich sind“ – so steht es zumindest auf der Website des Unternehmens. Die Idee ist, einen engen Kreis an Menschen am eigenen Alltag teilhaben zu lassen und einen spontanen Einblick ins Leben der eigenen Freund:innen zu bekommen. Wo essen sie? Was tragen sie? Wo sind sie?      

Aber bringt uns das unseren Freund:innen näher?      

Wird man zu einem zufälligen Zeitpunkt am Tag dazu aufgefordert, sofort ein Bild zu posten, zeigt dieses Bild sehr wahrscheinlich eine der folgenden Situationen:     

    

  • Ein müder Fotograf mit dem dritten Kaffee in der Hand und ein Laptop im Büro    

  • Ein Mensch mit Maske, Kopfhörern und Cap zusammen mit klebrigem U-Bahn-Boden    

  • Eine Fotografin auf der Couch mit Doppelkinn, Schokoladenflecken auf dem T-Shirt und ein Fernseher, der irgendeine Serie spielt      

​​​​Manch eine:r wird Glück haben und bei Sonnenuntergang auf dem Hausdach oder vor einem frisch bestellten Essen im Restaurant sitzen. Aber ist es wirklich authentisch, die Kontrolle über das, was man posten will, abzugeben? Die ständige Möglichkeit, dass der Timeslot zum Fotografieren irgendwann beginnen könnte, ist vor allem eines: stressig. Die zwei Minuten werden zur Hochdruckphase: Zeig, was dein Tag zu bieten hat. Im Freundeskreis entsteht im schlimmsten Fall ein neuer Wettkampf um den interessantesten Tag, bloß unter verschärften Bedingungen: Auf einmal ist wieder jede:r sportlicher, produktiver und hübscher als man selbst.   

Wir könnten auch einfach akzeptieren, dass Menschen gerne Highlights teilen

 Ja, Instagram ist oft sehr anstrengend. Doch Bereal ist nicht das bessere Netzwerk. Es ist nicht schlimm, dass wir uns aussuchen, welche Teile unseres Lebens wir präsentieren. Fehlende Authentizität entsteht durch Influencer:innen, die ihre Bilder stundenlang bearbeiten und ein Leben inszenieren, das sie so nicht führen. Auf Instagram wirkt es manchmal so, als würden alle interessantere Dinge erleben als man selbst. Wir sehen das Leben oft durch eine Linse: „Ist das instagrammable?“ Doch eigentlich wissen wir ja, dass soziale Medien nie real sind. Natürlich kann man Spaß daran haben, Bereal zu benutzen – doch die Plattform wird langfristig nicht dazu beitragen, dass wir uns von Social Media weniger stressen lassen. Und sie wird uns unseren Freund:innen auch nicht näher bringen. 

    

Soziale Medien können das Leben nicht 1:1 abbilden. Statt zu versuchen, das durch einen festen Posting-Zeitpunkt zu erzwingen, könnten wir auch einfach akzeptieren, dass Menschen gerne Highlights teilen. Die wenigsten laden Bilder ihres Alltags hoch, weil der eben genau das ist: Alltag. Nach der Arbeit erzählt man ja in der WG auch nicht von dem täglichen Meeting, sondern von dem besonders leckeren Mittagessen in der sonst ekligen Kantine oder dem überraschend schönen Sonnenaufgang, den man auf dem Fahrrad gesehen hat.          

Auf sozialen Medien wird nicht gelebt, es wird geteilt. Und es ist nachvollziehbar, nur ausgewählte Dinge zu zeigen. Es ist okay, seinen Alltag für sich zu behalten. Statt den User:innen die Möglichkeit zu nehmen, über den Inhalt und Zeitpunkt ihrer Posts zu entscheiden, sollten wir unsere Einstellung zu Social Media ändern. Wir müssen Influencer:innen wahrnehmen als das was sie sind: Werbefiguren. Trotzdem dürfen wir sie hübsch und sympathisch finden und uns gerne ihre Bilder oder Videos anschauen. Gleichzeitig können wir mit unseren Freund:innen teilen, was in unserem Leben passiert. Aber nicht dann, wenn eine App das vorschreibt. Sondern dann, wenn wir einen Moment wirklich teilen wollen.   

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