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Was Medizinstudenten über das Urteil zum NC denken

Fotos: dpa, privat, Charlotte Bastam

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Heute entschied das Bundesverfassungsgericht über die Zukunft des Numerus Clausus im Fach Humanmedizin (mehr dazu auf sz.de). Das Vergabeverfahren wurde nun für teilweise verfassungswidrig erklärt. Bis 2019 müssen der Bund und die Länder die Auswahlkriterien nun ändern. 

Doch wie war es bisher? Vier Medizinstudenten erzählen von ihren Erfahrungen mit dem NC, welche Wege sie deswegen gehen mussten, wie sie die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgericht beurteilen und was für sie gute Alternativen zum NC wären. 

Adrian, studiert in Freiburg Medizin. Zuvor hat er eine Rettungssanitäterausbildung gemacht und arbeitet weiterhin in diesem Beruf 

adrian boehm
Foto: privat

„Insgesamt musste ich vier Jahre auf meinen Studienplatz warten. Durch meine vorherige Ausbildung als Rettungssanitäter und den Medizinertest habe ich ihn schließlich bekommen. (Anmerkung der Redaktion: Der Medizinertest ist eine freiwillige Möglichkeit, seine Chancen auf einen Studienplatz zu erhöhen.)

Meine Meinung über das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist überwiegend positiv, weil ich finde, dass die Abiturnote allein kein aussagekräftiges Kriterium ist, um später ein guter Arzt zu werden. Außerdem sollten die Mediziner, also die jetzigen Studenten, ein Abbild der Gesellschaft sein. Ich habe hier in Freiburg aber einen ganz anderen Eindruck erhalten: Die meisten Studenten kommen aus Akademikerhaushalten, deutlich weniger stammen aus Arbeiterfamilien und fast niemand hat einen Migrationshintergrund. Da spiegelt sich die Undurchlässigkeit unseres Bildungssystems in einem Studiengang, in dem das Abitur als fast alleiniges Auswahlkriterium dient, besonders deutlich wider.

Durch ein neues Auswahlverfahren erhoffe ich mir, dass mehr und auch geeignetere Menschen Zugang zu einem Medizinstudium bekommen werden. Man sollte nicht nur nach Leistung, sondern auch nach persönlichen Qualifikationen gehen – auch wenn man sich hier fragen kann, wie weit man das bei einem 18-jährigen Abiturienten schon beurteilen kann. Auswahlgespräche sind eine Möglichkeit, aber auch immer sehr subjektiv. Daher würde es sich auch lohnen, in andere Branchen zu schauen, die schon seit Jahren eigene Auswahlverfahren durchführen. Ein Paradebeispiel ist für mich das Assessment-Center der Lufthansa. Da können sich die Mediziner noch was abschauen.“ 

Jasmin studiert Medizin in Budapest und hat zuvor eine Ausbildung als Krankenpflegerin gemacht

jasmin ben khaled
Foto: privat

„Ich habe mich erst in der 12. Klasse entschlossen, Medizin zu studieren. Mit meinem Abischnitt von 1,8 habe ich aber keinen Studienplatz bekommen. Also habe ich erst zwei Semester Biologie studiert, dann aber abgebrochen und eine Ausbildung als Krankenpflegerin angefangen. Das war sehr hart und eine völlig neue Erfahrung für mich. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Vollzeit gearbeitet und das mit kranken Menschen. Auch meine ersten Toten habe ich dort gesehen. Ich war erst völlig überfordert. Aber gerade aus dieser Erfahrung habe ich sehr viel gelernt und sie hat mich in meinem Wunsch bestärkt, Medizin zu studieren.

Trotz meiner abgeschlossenen Ausbildung hat es danach immer noch nicht gereicht für einen Studienplatz. Grund war wieder mein Notendurchschnitt. Die Grenze lag bei 1,7 – egal ob man vorher eine Ausbildung absolviert hatte oder nicht. Also bin ich nach Budapest gegangen. Zum Glück unterstützen mich meine Eltern und übernehmen die Kosten meines Studiums.

Ich finde es sehr gut, dass das System um den Numerus Clausus nun geändert werden soll. Doch das löst das grundsätzliche Problem nicht: Es gibt einfach zu wenig Plätze für Medizin in Deutschland. Und das, obwohl es einen signifikanten Ärztemangel gibt.

Natürlich brauchen Ärzte ein enormes Wissen, das man sich vor allem über Fleiß aneignet. Doch das heutige Wissen vermehrt sich immer schneller und ein heutiger Student muss schon deutlich mehr können als einer vor 30 Jahren. Gleichzeitig ist das Studium an manchen Stellen sehr veraltet. So lernen wir Dinge in Physik, die wir später nicht mehr brauchen. Theorie und Praxis sind oft sehr unterschiedliche Welten. Das Studium an sich gehört also auch modernisiert.

Ein weiteres Problem ist, dass die Wahrnehmung über das Medizinstudium immer noch viel zu elitär ist. Wir sind keine Halbgötter in weiß, sondern auch nur Menschen, die ihren Beruf ausüben wollen.“

Tobi, studiert im dritten Semester Medizin in München und hat davor ein FSJ gemacht

tobias wuerfel
Foto: privat

„Ich habe nach meinem Abitur mit 1,3 ein FSJ gemacht und direkt danach einen Studienplatz gekriegt. Meiner Meinung nach ändert sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht so viel nun auch wieder nicht. Es ist gut, dass nun alles strukturierter werden soll, die Entscheidung nach Ortspräferenzen für verfassungswidrig erklärt wurde und dass bei der Abiturnote mehr darauf geachtet werden soll, in welchem Bundesland man seine Hochschulreife erlangt hat.

An sich finde ich aber dennoch, dass die Abiturnote ein sinnvolles Kriterium ist. In Österreich hängt es von einem Test an einem einzigen Tag ab. Wenn man da nicht gut drauf ist, hat man seine Chance verpasst. Daher bin ich dagegen, den NC völlig abzuschaffen. Die Abiturnote bietet für mich immer noch die beste Übersicht über die Eignung, da Medizin ein sehr lernintensives Studium ist. Denn wenn man wirklich Medizin studieren will und viel während der Schule lernt, kann man auch einen sehr guten Schnitt schaffen. Das Auswahlverfahren sollte dennoch um weitere Kriterien wie persönliche Eignung erweitert werden.“

 

Lukas, hat ein Semester in Ungarn studiert und dann über das Losverfahren einen Studienplatz in Deutschland  erhalten. Heute ist er Arzt und sitzt gerade an seiner Doktorarbeit

lukas krivec
Foto: privat

„Mit meinem Notendurchschnitt von 2,8 hatte ich einfach keine Chance. Als ich mich nach dem Abitur auf einen Studienplatz über die Zentrale Hochschulvergabe beworben habe, landete ich ungefähr auf Platz 20.000. Damals wären das zwölf Wartesemester gewesen. Das war mir zu lang. Vor allem, da ich zur Überbrückung nichts anderes studieren konnte, sonst hätten sie mir die Wartesemester nicht mehr angerechnet.

 

Also habe ich mich dazu entschieden, nach Ungarn zu gehen und wurde direkt genommen. Da zählen neben deinem Notenschnitt auch andere Kriterien: Es wird Wert auf deine sozialen Fähigkeiten gelegt, es zählt, welche Praktika du gemacht hast und wie gut du in naturwissenschaftlichen Fächern warst. Nach meinem ersten Semester habe ich einen Studienplatz in Deutschland über das Losverfahren bekommen, trotzdem war die Zeit in Ungarn eine sehr wertvolle Erfahrung für mich.

 

Ich begrüße das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dennoch fände ich es falsch, völlig auf einen Numerus Clausus zu verzichten. Nur sollte mehr Wert auf persönliche Auswahlgespräche gelegt werden, auch wenn das höhere Kosten für die Universitäten bedeutet.“

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