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Französische Studenten boykottieren ihre Prüfungen

Foto: Alain Jocard / AFP

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Stell dir vor, es ist Prüfung und keiner geht hin. Oder: Alle gehen hin, aber niemand schreibt mit. In Frankreich setzen Studenten diese Strategie gerade als erfolgreiches Streik-Mittel gegen die geplante Bildungsreform der Macron-Regierung ein. Nachdem sie in den vergangenen Wochen mehr als zwei Drittel der staatlichen Universitäten aus Protest blockierten und besetzten, folgt nun sowas wie das große Finale ihres Widerstands.

Denn all die Demonstrationen, Besetzungen und Blockaden wären umsonst gewesen, würden in dieser Woche wie jedes Jahr im Mai die Abschlussprüfungen ganz normal stattfinden. „Keine Uni, keine Prüfungen – bis die Reform eingestellt wird“, so lautet der Aufruf, der seit Montag auf den Facebookseiten der fünf besetzen Pariser Unis, aber auch in Nantes, Rennes, Marseille und Grenoble veröffentlicht wurde. 

Weil viele Gebäude immer noch blockiert sind, mieteten einige Unis Privatgebäude inklusive Sicherheitspersonal an, um dennoch Prüfungen abhalten zu können.

Die Ausgaben, die durch diese Maßnahme entstehen, wären besser in die Unis selbst investiert, kritisierten die Studenten der Pariser Uni Sorbonne 1 auf ihrer Facebookseite. Seit Wochen kämpfen sie gegen das „Gesetz zur Orientierung und zum Erfolg“ (kurz: ORE), mit dem in Frankreich Zugangsbeschränkungen für viele Uni-Fächer eingeführt und die Leistungsanforderungen erhöht werden sollen.

Diese Aussicht war am vergangenen Freitag, dem 11. Mai, für viele Motivation genug, früher als jemals zuvor zu einer Prüfung zu erscheinen. Nur eben nicht, um mitzuschreiben, sondern um sie zu verhindern. Schon um sechs Uhr früh fanden sich knapp 300 Protestierende vor dem „Haus der Prüfungen“ ein, unterstützt wurden sie von einer Gruppe Briefträger und Bahnmitarbeiter, die ebenfalls seit mehreren Wochen streiken.

Die Polizei versuchte, die Blockade in Arceuil mit Pfefferspray aufzulösen: 

Der Jubel unter den Studierenden war groß, als ein Universitätsmitarbeiter verkündete, dass die Prüfungen der Uni Sorbonne 1 nicht stattfinden würden: 

Nachdem viele Prüfungen auch Anfang dieser Woche trotz massivem Polizeieinsatz erfolgreich verhindert wurden, sprach sich die Taktik der Studenten wohl herum. In Nantes sorgte ein großes Polizeiaufgebot dafür, dass die Studis einzeln an ihre Sitzplätze für die Abschlussexamen gebracht wurden und sich nicht zu größeren Gruppen zusammenschließen konnten. Doch die Mehrheit der potenziellen Prüflinge ließ sich davon nicht einschüchtern und weigerte sich einfach, sich hinzusetzen. Stattdessen klatschten und trommelten sie so lange auf den Tischen herum, bis die Prüfung abgesagt wurde:   

Solche „Lärm-Streiks“ führten auch in anderen Städten dazu, dass die Endjahresprüfungen abgesagt werden mussten. In Marseille sind 700 Studierende der St-Charles-Universität betroffen, in Lyon sogar mehr als 25.000. Die Uni-Städte sind für ihre rege Studentenprotestszene bekannt. Auch an der Pariser Sorbonne verließen hunderte Studenten der Erziehungs- und Bildungswissenschaften vergangenen Samstag ihre Prüfung und hielten stattdessen eine Generalversammlung ab, in der sie den kommenden Protest planten. 

Doch nicht alle sind begeistert, dass es dieses Jahr keine Prüfungen gibt. Online bilden sich kleine Anti-Blockade-Facebookgruppen aus Menschen, die mit den Protesten nicht einverstanden sind und sich in ihrer Freiheit, zu studieren, eingeschränkt fühlen. Präsent sind sie vor Ort allerdings nicht. Die Blockaden sollen nicht vom Studieren abhalten, sagt Jura-Studentin Linissa im Interview mit der Zeitung Le Parisien: „Wir blockieren, um es allen zu ermöglichen, sich zu engagieren. Die Bewegung darf nicht schwach werden. Wir wollen die Aufhebung des ORE-Gesetzes“, sagt sie. Studis, die sich wie sie seit Wochen in den Unis engagieren, Workshops und Demonstrationen planen, dürften nicht mit Prüfungen für ihr Engagement bestraft werden, so die Studentin.

Viele Profs sehen das genauso und „schenken“ den Studierenden dieses Jahr deshalb ihre Punkte, auch ohne Prüfung. An der Pariser Uni Nanterre bekamen alle Studenten trotz abgesagter Examen 20 von 20 Punkten, ein Ergebnis, das in Frankreich so selten ist wie ein Sechser im Lotto. An der Universität Paris 8 einigten sich die Studis mit den Lehrenden auf die pauschale Benotung mit 14 Punkten. Wer mehr haben möchte, kann kleine Extra-Arbeiten einreichen. So wollen auch die Lehrenden zeigen, dass sie mit der Bildungsreform unter Macron nicht einverstanden sind und das System so lange von innen sabotieren, bis das Gesetz aufgehoben wird.

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