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Ein investigativer Journalist über seine Angst vor der türkischen Regierung

Emre Tazegul/AFP

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"Es ist kalt draußen. Ich stehe an einem deutschen Flughafen und warte auf die Ankunft meiner Mutter. Gleich werden wir einander in die Arme schließen. Das ist schön aber eigentlich hätte die Szene woanders spielen sollen – an einem türkischen Flughafen. 

Die Umarmung ist warm. Und wie es sich für eine gute Umarmung mit Müttern gehört, fühlt sie sich nach Heimat an. In meinem Fall also: Nach endlosen Tälern und dem Mittelmeer, nach überfüllten Dolmuş-Bussen,  nach nachts Schwimmen im schwarzen Wasser, nach den Kaffeesatzlesern und den feilschenden Händlern auf den Basaren. Nach Sonnenblumenkerneknacken, nach Wassermelonen und Maiskolben. Nach Börek, Lokma, Baklava und den in Zeitungspapier gewickelten Sesamkringeln. Nach Türkei.

Deshalb ist dieser Tag ein besonderer. Ein besonderer, im negativen Sinne. Er symbolisiert, dass jetzt der Punkt gekommen ist, an dem Politik und mein Beruf Konsequenzen für mein Privatleben haben. Kein Strandurlaub mit Freunden. Keine Ferien bei der Familie. Und: Ich verpasse die Hochzeit meiner eigenen Mutter.

Der Grund: Ich recherchiere investigativ über die Türkei, berichte auch mal regierungskritisch und kontaktiere für Interviews Gesprächspartner, die in ihrem eigenen Land als Verräter, Terroristen und Staatsfeinde angesehen werden.

Ich bin deutsch-türkischer Journalist mit doppelter Staatsbürgerschaft. Und nicht nur meine Kollegen und Chefs, sondern selbst „Reporter ohne Grenzen“ haben mir von einer Einreise in meine zweite Heimat abgeraten. Dringend. Das Auswärtige Amt kann keinen konsularischen Schutz bieten. In der Türkei herrscht der Ausnahmezustand. Es gilt   nur das türkische Recht. Was im schlimmsten Fall heißt: Willkür.

Gewahrsam, Untersuchungshaft, Verhöre

Ich will das nicht akzeptieren. Also spiele ich verschiedene Szenarien durch. Liege nachts wach und überdenke meine Möglichkeiten: Ich fliege in die Türkei. An der Grenze werde ich abgefangen und an der Einreise gehindert. Oder aber ich darf nicht mehr zurück nach Deutschland, weil die türkische Regierung mir die Ausreise verweigert.  Dann wäre ich bei meiner Familie und bei meinen türkischen Freunden – könnte aber nicht mehr den Job in Deutschland ausüben, den ich doch so liebe. Und von dem ich lebe. Die Polizei könnte mich auch am Flughafen festsetzen. So wie den ARD-Korrespondenten Volker Schwenk. Zwölf Stunden hielten ihn die Sicherheitsbeamten am Istanbul Airport fest – dann wurde er zurückgeschickt. Gewahrsam am Flughafen, ein, zwei Tage Untersuchungshaft, Verhöre. Alles möglich, laut „Reporter Ohne Grenzen“. Das wäre ziemlich schlimm, aber irgendwie doch überschaubar.

Zweites Szenario: Man wirft mir vor, irgendetwas mit der Gülen-Bewegung zu tun zu haben, gegen die seit dem Putschversuch mit aller Härte vorgegangen wird. Vielen Regierungskritikern wird vorgeworfen, sie wären der verlängerte Arm von Terroristen oder Putschisten und würden die Regierung stürzen wollen. Ich habe Gülenisten für Interviews angefragt, mit Regierungskritikern gesprochen und zu den Gülen-nahen Staatsanwälten recherchiert, die seit Monaten auf der Flucht sind. Reicht das schon, um mich zum „Landesverräter“ zu machen? Dann wären wir schon bei krassen Vorwürfen. In einem funktionierenden Rechtssystem wüsste ich, dass ich nichts zu befürchten habe.

Oder übertreibe ich mit meiner Vorsicht? Honduras, Myanmar, Syrien – es gibt doch weitaus gefährlichere Orte, an die Journalisten reisen. „Reporter Ohne Grenzen“ hat schon ganz andere Fälle gesehen. Dennoch ist ihre Warnung deutlich: „Die Kontrolle scheint zumindest im Moment in der Türkei total zu sein und alles wird registriert und erfasst – von Kontoüberweisungen bis zum Whatsapp-Chat.“ Außerdem bin ich auch in sozialen Netzwerken nicht gerade leise. Ich twittere über politische Vorgänge, Machtkämpfe, Anschläge.

Ich zweifle. Es fühlt sich wie ein Tauschhandel an und ich weiß nicht, ob ich richtig gewählt habe. Selbst Freunde schicken mir Nachrichten: „Hättest du mal besser die Klappe gehalten.“ Mein Kopf kämpft mit meinem Herzen. Ich habe ein Stück meines privaten Seins, für mein berufliches Ich geopfert. Und das tut weh. Wo früher Selbstverständlichkeit war, steht jetzt eine Mauer. Aber wenn das der Preis für meine Berichterstattung ist – ist es das dennoch wert. Je mehr die Pressefreiheit in der Türkei eingeschränkt wird, desto mehr muss ich von hier versuchen ein objektives Gleichgewicht herzustellen. Ich bereue weder die Gespräche, noch die Berichte, noch die Tweets. Vielleicht wird die Türkei bald wieder der Ort aus meiner Kindheit. Vielleicht kann ich ihn ein Stück weit herbei schreiben. Nicht von dort aus, aber von hier. Mama reist ab. Ich bleibe."

Der Name des  Journalisten ist unserer Redaktion bekannt. Er arbeitet unter anderem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 

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