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„Die Veranstaltung wäre mir keine 30 Euro plus Anreise wert“

Fotos: privat/Frederike Wetzels Bearbeitung: jetzt

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„Wir verändern die Welt – Komm am 12. Juni 2020 ins Olympiastadion und schreib mit uns Geschichte!“ So wird die ursprünglich sogenannte „Bürger*innenversammlung“ am 12. Juni 2020 im Berliner Olympiastadion beworben. Eine Versammlung, bei der etwa 90 000 Menschen zusammenkommen sollen, um Petitionen zu unterschreiben, zudem sind ein musikalisches Programm und Infostände von NGOs geplant. Veranstaltet wird das Ganze vom Berliner Startup Einhorn, das nachhaltige Kondome und Periodenprodukte verkauft.

Zu den Kooperationspartnern gehört die Berliner Ortsgruppe von Fridays for Future, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer wirbt dafür. Doch das Event wird von vielen kritisiert, unter anderem dafür, dass es 29,95 Euro Eintritt kosten wird, auch wenn die Hälfte der Eintrittskarten durch Crowdfunding kostenlos zur Verfügung gestellt werden soll. Von den Einnahmen soll unter anderem die Stadionmiete, das Sicherheitskonzept und die Technik bezahlt werden. Der Name „Bürger*innenversammlung“ stand ebenfalls in der Kritik, weil er etwas verspreche, was die Veranstaltung nicht einhalten könne. Deshalb haben die Organisator*innen das Projekt jetzt nach der Crowdfunding-Kampagne „12062020olympia“ benannt und suchen nach einem neuen Namen.

Zuletzt stört der Ort selbst viele Menschen: Das Olympiastadion ist eines der wichtigsten Baudenkmäler des Nationalsozialismus. Mittlerweile haben sich verschiedene Ortsgruppen von FFF von dem Event distanziert. Wie steht die Basis von FFF zu der Versammlung? Wir haben mit einigen Vertreter*innen gesprochen.

„Die Veranstaltung wäre mir momentan keine 30 Euro plus Anreise wert“

Max FFF

Max engagiert sich in der Ortsgruppe München.

Foto: privat

Max, 26, engagiert sich in der FFF-Ortsgruppe in München und studiert Philosophie:

„Mir wäre die Veranstaltung keine 30 Euro plus Anreise wert, zumindest momentan. Aber ich finde das Projekt interessant. Allerdings ist es nicht ideal gelaufen: Uns in der Ortsgruppe hat am meisten gestört, dass es erst so rüberkam, als ob das ein Event von Fridays for Future Deutschland wäre. Das ist faktisch falsch. Außerdem macht uns die Veranstaltung angreifbar, denn eigentlich stehen wir für etwas anderes: für niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten und dafür, dass alle bei uns mitmachen können. Die Teilnahme hängt hier aber zumindest teilweise von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Menschen ab, selbst wenn es ein Kontingent an Soli-Tickets und Live-Übertragungen geben soll. Das finden wir nicht gut. Außerdem fehlt uns bisher Transparenz bei der Organisation – es ist zum Beispiel noch nicht klar, welche Petitionen bei dem Event unterzeichnet werden sollen. Durch den Begriff der ,Bürger*innenversammlung‘ wurde zudem anfänglich der Eindruck erweckt, man könne mit einer einzigen Veranstaltung, zu der eben nur ein bestimmter Teil von Menschen Zugang hat, alles verändern. Ich finde bei aller Kritik aber, dass der Ton der Debatte insgesamt entspannter sein könnte, gerade weil die Veranstaltung noch in der Planungsphase ist und die Veranstalter*innen auf Kritik reagieren. Denn das Event ist bisher nur ein Versuch, bestimmte neue demokratische Beteiligungsformen zu finden. Und das schätzen wir.“

„Ich denke zwar, dass die Intention gut ist, aber ich glaube nicht, dass Petitionen etwas bringen“

Jana FFF

Jana ist hier bei einer Rede zu einer FFF-Demonstration zu sehen.

Foto: privat

Jana, 19, ist in der Würzburger Ortsgruppe aktiv und studiert Politikwissenschaften und Germanistik:

„Ich finde es schade, dass Luisa Neubauer für dieses Event ihr Gesicht hergibt, denn sie steht eben einfach für FFF. Und ich merke, dass das viele Menschen stört und auch ein negatives Licht auf unsere Ortsgruppen wirft. Ich habe mit einer Person, die mit FFF sympathisiert, zum Beispiel sehr lange über das Event gesprochen, sie hat sich sehr aufgeregt. Ich musste dann erst mal erklären, dass wir als Ortsgruppe nichts damit zu tun haben. Außerdem stört mich der Ort der Veranstaltung, das Olympiastadion, aufgrund der historischen Belastung. Ich denke zwar, dass die Intention gut ist, aber ich glaube nicht, dass Petitionen etwas bringen. Außerdem sind 30 Euro sehr viel. Ein kleiner Preis von fünf Euro wäre in Ordnung, aber 30 Euro zu verlangen und das dann auch noch als demokratische Veranstaltung hochzuhalten, das geht nicht.“

„Wir distanzieren uns nicht, aber wir müssen nochmal über das Framing sprechen“

Quang FFF

Quang  ist Sprecher von FFF.

Foto: privat

Quang, 18, ist Sprecher von FFF und Teil der Ortsgruppe Berlin:

„Ich finde die Kritik an der Veranstaltung sehr gut, weil sie größtenteils konstruktiv ist. Das Feedback gegenüber Fridays for Future verstehe ich allerdings nicht, weil wir als Ortsgruppe Berlin erstmal nur ein Kooperationspartner sind. Deshalb haben wir ein Statement auf Social Media gepostet, in dem wir klarstellen, dass die Veranstaltung nicht von uns ist. Wir distanzieren uns nicht von der Verantaltung, aber wir müssen nochmal über das Framing sprechen. Es ist keine ‚Bürger*innenversammlung‘. Denn das würde bedeuten, dass alle Bürger*innen teilnehmen können und dass dort die breite Gesellschaft repräsentiert wird. Aber dem ist nicht so. Wenn Leute zusammenkommen, nur um Petitionen zu unterschreiben, ist das keine ,Bürger*innenversammlung‘. Wir wollen, dass durch die Veranstaltung etwas erreicht werden kann und wir wollen auch weiterhin Einfluss darauf haben, wie die Veranstaltung ablaufen wird und wer kommen kann. Die 30 Euro klingen natürlich erst mal viel. Ich bin noch zwiegespalten, ob ich das berechtigt finde. Ich finde die Idee hinter der Veranstaltung bemerkenswert, es ist toll, dass mehr Nähe geschaffen werden soll.“

„Wenn man das Ganze als politisches Event mit etwas netter Musik versteht, kann man es auch Geld kosten lassen“

Carla FFF

Carla ist in der Ortsgruppe Münster aktiv.

Foto: Frederike Wetzels

Carla ist 21, studiert in Münster Politik und Wirtschaft und ist seit etwa einem Jahr in der Ortsgruppe Münster aktiv: 

„Ich denke, dass die ganze Veranstaltung ein riesiges Image-Problem hat. Ich glaube, wenn man nicht versucht hätte, die Geschichte von Weltrettung und gelebter Demokratie und ‚Bürger*innenversammlung‘ für Geld zu erzählen, wäre es viel unproblematischer. Wenn man einfach kommuniziert hätte, dass Petitionen zwar nicht die Welt retten können, aber trotzdem wichtig sein und Themen setzen können, hätte die Debatte einen ganz anderen Charakter. Wir erleben seit Monaten, dass wir auf die Straße gehen und viel größeren politischen Druck ausüben, als Petitionen das tun und wir bekommen auch keine politischen Antworten. Wenn man das Ganze als politisches Event mit etwas netter Musik versteht, kann man es auch Geld kosten lassen. Man darf es aber nicht als politische Partizipationsform darstellen, weil demokratische Partizipation davon lebt, dass alle daran teilhaben können – auch Menschen, die unterrepräsentiert sind, weil sie es sich nicht leisten können. Die dürfen dann nicht darauf angewiesen sein, dass andere Leute ihnen gönnerhaft Tickets dafür kaufen.“

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