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Wenn du beide Kandidaten hasst, …

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Wenn Tia könnte, würde sie Beyoncé wählen. Das hat sie zumindest auf das Schild geschrieben, mit dem sie am Mittwochmittag in der prallen Sonne vor einer Fernsehbühne steht: „Beyoncé for president!“ Hier, auf dem Campus der University of Nevada in Las Vegas, wird in ein paar Stunden die dritte und letzte TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump stattfinden. Es wird also Zeit, sich zu entscheiden. Und Tia fällt das sehr schwer. „Schau dir doch mal unsere Optionen an“, sagt sie. Wahrscheinlich werde sie am 8. November für Clinton stimmen – „aber nur, weil sie das kleinere Übel ist.“ 

Das ist ein Argument, das man von jungen Wählern in den USA derzeit oft hört. Zwar liegt Clinton bei den Millennials, also der Wählergruppe zwischen 18 und 34, vor Trump – in einer aktuellen Umfrage der renommierten Tufts University kommt sie auf 49 Prozent, er auf 28. Aber wirklich beliebt ist sie nicht: In der selben Umfrage haben etwa 40 Prozent der jungen Clinton-Unterstützer angegeben, nicht völlig von ihr überzeugt zu sein. Und von den „unlikely voters“, die eventuell gar nicht wählen wollen, begründen das 37 Prozent damit, dass sie sich für keinen der beiden Kandidaten entscheiden können. 

Die Stimmen der Millennials sind diesmal besonders gewichtig: Mehr als 69 Millionen Wahlberechtigte  dieser Generation gibt es 2016 in den USA, das ist fast ein Drittel aller Wähler – damit sind sie zum ersten Mal fast genauso viele wie die bisher übermächtigen Baby Boomer. Aber warum sind so viele von ihnen weniger als drei Wochen vor der Wahl so wenig begeistert? Was denken diese Wähler über Trump? Und warum können sie sich nicht für Hillary Clinton erwärmen?

Dena und Naweed sitzen am Vormittag vor der Debatte in einem Seminarraum auf dem Las-Vegas-Campus und diskutieren über die Wahl. Beide sind 22 Jahre alt, er studiert Biologie und Psychologie, sie Politik und Journalismus. Und sie sind ein recht ungewöhnliches Paar: Sie ist Jüdin, er Moslem. 

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Naweed (r.) wird Clinton wählen – obwohl er sie nicht mag. Seine Freundin Dena sagt: "Ich hasse beide Kandidaten."

Foto: Nadja Schlüter

Naweed sagt geradeheraus, dass er Hillary Clinton nicht mag, aber sie trotzdem wählen wird – um Trump zu verhindern. „Er ist eine Bedrohung für uns alle! Er macht Diskriminierung akzeptabel“, sagt er. Dena wird noch deutlicher: „Ich hasse beide Kandidaten“, sagt sie. „Trump vergiftet das kulturelle Klima in unserem Land. Und Hillary hilft Minderheiten nur dann, wenn es ihr selbst einen Vorteil bringt.“ Naweed stimmt ihr zu: „Hillary ist unehrlich. Sie hat keine Überzeugungen.“ Beide wünschen sich den Kandidaten zurück, den sie unterstützt haben, bevor Hillary Clinton Kandidatin der Demokraten wurde: Bernie Sanders. „Ich fantasiere immer noch, dass man ihn einfach wählen könnte“, sagt Dena und lächelt. 

Viele junge Wähler wünschen sich Bernie Sanders zurück

Die Sehnsucht nach Bernie Sanders ist symptomatisch für viele junge Wähler. Während des Vorwahlkampfs  der Demokraten entstand ein riesiger Bernie-Hype. Bei einigen Vorwahlen stimmten bis zu 80 Prozent der unter 30-Jährigen für ihn. Insgesamt gewann er mehr von ihnen für sich als Clinton und Trump zusammen. Unzählige junge Freiwillige und Aktivisten engagierten sich für seine Kampagne, vor allem über Social Media, und forderten eine politische Revolution. „Feel the Bern“ wurde zu ihrem Schlachtruf.

Sie liebten Sanders zum einen, weil seine Forderungen und Überzeugungen auch ihre waren: gerechter Mindestlohn, kostenloses Studium, Kritik an den Großbanken. Zum anderen, weil er als authentischer Außenseiter rüberkam: Er trat zwar für die Demokraten an, ist aber eigentlich kein Parteimitglied. Er finanzierte seinen Wahlkampf komplett über Kleinspenden. Und seine (nach amerikanischen Maßstäben beinahe „sozialistische“) Agenda ist nicht aus Machtinteresse entstanden. Er verfolgt sie schon seit Jahrzehnten. 

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An der University of Nevada, Las Vegas, fand am 19. Oktober die letzte Debatte zwischen Clinton und Trump statt. Der Campus war an diesem Tag sehr politisch.

Foto: Nadja Schlüter

Für die Demokraten kam der Hype überraschend: Clinton galt als unbesiegbar, und die Partei verließ sich darauf, dass Präsident Obama die jungen Wähler einfach an seine Nachfolgerin weitergeben würde. 2008 hatten 66 Prozent der unter 30-Jährigen für Obama gestimmt, 2012 immerhin noch 60 Prozent. Aber Obama war – zumindest 2008 – ein Hoffnungsträger. Er war jung, schwarz, charismatisch. Er stand für etwas Neues, für Wandel. Hillary Clinton hat es nicht geschafft, diesen Enthusiasmus aufrecht zu erhalten.

Die Gründe dafür sind die, die auch Dena und Naweed genannt haben: Viele halten Clinton für „unehrlich“ und „nicht authentisch“. Was wie ein Vorteil klingt – dass sie eine erfahrene Politikerin ist, First Lady und Außenministerin war – wird ihr oft als Nachteil ausgelegt. Laut einer Studie der Harvard University misstraut fast ein Viertel der US-Millennials der Regierung, mehr als in jeder Generation zuvor.

Die Millennials fragen sich: "Wie soll Hillary Clinton unsere Lebenswelt verstehen?"

Und irgendwie ist das ja auch logisch: Wer in den USA heute jünger als 35 ist, ist in einer Zeit aufgewachsen, in der die Staatsschulden gestiegen, die Einkommen gesunken und die Kosten für ein Studium immer höher geworden sind. Er wurde von der Finanzkrise und „Occupy Wall Street“ geprägt. Von einer immer größeren Spaltung in arm und reich. Davon, dass Minderheiten wie die LGBTQ-Community sich eine Stimme erkämpft haben, aber auch von neuem und neu aufflammendem Rassismus. Natürlich wünscht sich so jemand einen politischen Wandel. Ein Staatsoberhaupt, das die neuen Tendenzen in der Gesellschaft, gute wie schlechte, glaubhaft wahr- und ernst nimmt. Aber Hillary Clinton ist eine 68-jährige Vertreterin des alten politischen Establishments. Wie, fragen sich die Millennials, soll sie unsere Lebenswelt und unsere Bedürfnisse verstehen?

Als Clinton zur Kandidatin gewählt wurde, hat Sanders sich hinter sie gestellt. Dadurch hat sie  zwar viele Wähler gewonnen, doch die Hardcore-Bernie-Fans wollen zum Teil lieber gar nicht oder eine dritte Partei wählen. Zum Beispiel die Green Party, die sich für Umweltschutz stark macht. Oder die Libertarian Party, die unter anderem weniger staatliche Regulierungen und die Freigabe von Marihuana fordert. Vor allem ihr Kandidat, Gary Johnson, wirbt offensiv um die ehemaligen Bernie-Wähler. Auf einer Wahlkampfveranstaltung am Vortag der Debatte, in einem Theater mitten in Las Vegas, kann man das gleich am Eingang sehen: Auf den Buttons, die es dort zu kaufen gibt, steht der Slogan „Feel the Johnson“ – der einen komischen Beigeschmack bekommt, wenn man bedenkt, dass „Johnson“ auch ein Slang-Ausdruck für „Penis“ ist. 

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Der Libertäre Gary Johnson wirbt um die ehemaligen Wähler von Bernie Sanders – deren Slogan war "Feel the Bern".

Foto: Matthias Kolb

Stephen, ein schmaler 28-Jähriger mit runder Brille, der im Einzelhandel arbeitet, findet zwar nicht, dass das ein besonders gelungener Witz ist, aber er wird Johnson trotzdem wählen. Heute will er ihn sich endlich mal live anschauen. Er hat ihn erst vor wenigen Monaten für sich entdeckt – nachdem Bernie Sanders nicht mehr im Rennen war: „Ich bin enttäuscht von ihm, weil er jetzt Hillary unterstützt. Johnson bleibt als einzige Möglichkeit, um zu zeigen, wie kaputt dieses System ist.“

 

Damit meint er das Zwei-Parteien-System. Den ewigen Machtwechsel zwischen Demokraten und Republikanern. „Jede andere Demokratie hat mehr Auswahl als wir“, sagt Stephen. „In der Berichterstattung wurden die Greens oder die Libertarians bisher fast immer ignoriert.“ Er wünscht sich, dass möglichst viele Johnson wählen, um sichtbar zu machen, dass es noch mehr Parteien gibt. Um das alte, verknöcherte System zu brechen und die US-Politik so dynamischer zu machen.

Stephen gehört zu den Millennial-Wählern, die keine Uni besucht haben oder besuchen – das sind immerhin 40 Prozent. Und sie fühlen sich in diesem Wahlkampf oft besonders ausgeschlossen. Sanders hat sie erreicht, aber Clinton steht bei ihnen ebenfalls schlechter da, weil sie sich sehr auf Studenten konzentriert. Trump ist ihr unter weißen Nicht-Akademikern aller Altersgruppen um 40 bis 60 Prozentpunkte voraus. Diese Gruppe wird wohl nicht die Wahl entscheiden, weil Latinos und Schwarze eher Clinton wählen – und unter ihnen ist auch der Anteil an Jungwählern besonders groß. Trotzdem könnten die Nicht-Studenten Clinton helfen, wenn sie es nur schaffen würde, sie zu mobilisieren: 52 Prozent von ihnen tendieren zu den Demokraten, nur 34 zu den Republikanern.

 

Die Millennials, die sich für keinen der beiden Kandidaten entscheiden können, sind vor allem frustriert. Trump ist für viele wegen seiner rassistischen und sexistischen Aussagen inakzeptabel geworden. Und Hillary kommt zu kalkuliert, zu wenig authentisch rüber. Auch, dass sie die erste Frau im weißen Haus sein könnte, ist für viele kein Anreiz. Eine Präsidentin fänden sie zwar toll, aber eben nicht diese. Clinton fehlt die Leidenschaft und die Inspirationskraft, die es bräuchte, um viele der Jungwähler zu erreichen. 

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Ember (l.) und Rylee unterstützen Hillary Clinton, weil sie eine erfahrene Politikerin ist. "Sie ist überqualifiziert", sagt Ember.

Foto: Nadja Schlüter

Aber was ist eigentlich mit denen, die sie erreicht? Und mit denen, die zu Trump halten? Denn beide Gruppen gibt es ja – das beweisen allein die vielen „Make America Great Again“- oder „I’m with Her“-Plakate, die man am Debattentag auf dem Campus sieht. Wenn man diese überzeugten Unterstützer fragt, was sie an den beiden Kandidaten mögen, schwingt bei ihren Antworten auch immer eine gewisse Kritik an ihren Altersgenossen mit. Der Vorwurf, sie seien naiv. Und viel zu idealistisch.

 

Ember, 18, und Rylee, 20, die wie Naweed und Dena zum Diskutieren in den Seminarraum gekommen sind, unterstützen Hillary. „Weil sie sich mit Politik auskennt, vor allem mit Außenpolitik. Und das ist mir wichtig“, sagt Ember. „Aber viele junge Menschen haben eben das Gefühl, dass sich niemand um ihre Bedürfnisse kümmert. Außenpolitik interessiert sie nicht.“ Rylee sieht das auch so. Und während Ember anfangs für Bernie war, war er für Rylees Geschmack immer schon „zu sozialistisch“ und „zu idealistisch“: „Er hat viele Probleme benannt – aber Lösungen hatte er auch keine.“

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Matthew wird Clinto wählen, Kylie Trump. Beide finden, dass der Wahlkampf zu krawallig und zu wenig politisch ist.

Foto: Nadja Schlüter

Draußen, ein wenig abseits der Fernsehbühne, stehen Kylie, 21, und Matthew, 24. Kylie hat ein Anti-Hillary-Shirt an („The H is silent in Benghazi“) und ein Pro-Trump-Schild dabei. Wie Ember und Rylee argumentiert sie vor allem pragmatisch-politisch und wenig emotional für ihren Kandidaten: Sie findet zum Beispiel seinen Zehn-Punkte-Plan zur Reform des Departments of Veterans Affair gut, in dem er sich für bessere psychologische Versorgung ausspricht.

 

„In diesem Wahlkampf geht es nur noch um Buttons und T-Shirts und starke Meinungen“, sagt Kylie. „Keiner geht mehr auf die Webseiten der Kandidaten und liest sich in Ruhe ihre Standpunkte durch. Das ist den meisten einfach zu langweilig.“ Matthew, der Clinton wählen wird, stimmt ihr zu: „Dieser Wahlkampf ist so, wie wenn du bei einem Autounfall nicht wegschauen kannst. Du musst eigentlich einen Schritt zurücktreten, um das Politische daran noch zu sehen. Aber das ist gar nicht so leicht. Gerade unsere Altersgruppe wird total mitgerissen von dem ganzen Geschrei.“

 

Neulich hat ein kleines Umfrageinstitut versucht, den Millennials die Wahl-Frage mal auf etwa dem Eskalationsniveau zu stellen, auf dem sich der Wahlkampf selbst dauernd bewegt: „Hättest du lieber, dass Trump Präsident wird – oder dass ein Meteorit die Erde zerstört?“ 53 Prozent der Befragten wählten den Meteoriten. Bei der gleichen Frage mit Clinton wählten immerhin noch 34  Prozent die Apokalypse. Das kann man witzig finden. Für die Stimmung der kommenden vier Jahre bedeutet es allerdings nichts Gutes.  

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