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Jobkolumne: Wie viel verdient eine Psychoanalytikerin?
Die Ausbildung
Dass ich mal Psychologie studieren würde, war früh klar. Schon als Jugendliche habe ich mich stark für die Geschichten und Beziehungen der Menschen interessiert, sehr viel gelesen und auch von meinen Freunden zu hören bekommen, dass Psychologie mein Ding sein könnte.
Vom Studium war ich dann ziemlich enttäuscht. Semesterlang muss man sich durch langweiliges Zeug wie Statistik oder die Grundlagen der Arbeitsorganisationspsychologie quälen. Das, worauf man die ganze Zeit wartet – die klinische Psychologie –, kommt im Studium am wenigsten vor.
Zwischendurch war ich so frustriert, dass ich überlegt habe, abzubrechen und Literatur zu studieren.
Die Entscheidung für die Psychoanalyse
An fast allen deutschen Universitäten gilt die Verhaltenstherapie als das Goldstandard-Verfahren der Psychotherapie. Die Psychoanalyse dagegen wird gern etwas abschätzig betrachtet. Viele finden sie altmodisch und verkopft.
Ich halte nichts von solchem Schulen-Bashing und glaube, dass jede Therapieform ihren spezifischen Sinn hat. Mir persönlich war die Verhaltenstherapie immer zu oberflächlich. Ich wollte nicht einfach nur die effizienteste Lösung eines Problems finden. Nicht nur den gesellschaftlich akzeptierten Gefühlen Glück, Erfolg oder etwa Mut hinterher eifern; sondern auch den gesellschaftlich weniger akzeptierten Gefühlen den Raum geben, den sie brauchen und verdienen. Neid, Wut, Trauer, Enttäuschung. Das gehört alles dazu und mich interessiert nun einmal, wie alles mit allem zusammenhängt.
Zuerst habe ich deshalb eine Ausbildung zur tiefenpsychologischen Therapeutin begonnen. Schon bald war mir das aber nicht mehr tiefgehend genug. So bin ich zur Psychoanalyse gekommen und bereue es kein bisschen.
Offiziell dauert es noch zwei bis drei Jahre, bis ich die Ausbildung abgeschlossen habe. Aber ich arbeite bereits im Rahmen der Weiterbildung als Psychoanalytikerin in einer Gemeinschaftspraxis und behandle dort eigenständig fünf Patienten. Ganz so, wie ich es später auch als ausgebildete Analytikerin tun möchte. Bisher läuft das allerdings noch unter dem Titel „Supervision“, da ich meine Patientenarbeit zwischen den Therapiestunden mit mehreren Supervisoren reflektiere.
Der Therapiealltag
Meine Patienten kommen jeweils in unterschiedlichen Rhythmen zu mir in die Praxis. Einige nur einmal die Woche, andere drei Mal die Woche. Eine Sitzung dauert 50 Minuten. Einige legen sich ganz klischeemäßig auf die Couch, dann sitze ich hinter ihnen. Anderen sitze ich einfach gegenüber wie bei einem Gespräch. Ob jemand sich hinlegen „darf“, hängt unter anderem von der Problematik des Patienten ab. Traumatisierte Patienten zum Beispiel legt man heutzutage eher nicht mehr hin.
Ich halte mich als Therapeutin ziemlich zurück, gebe kein Thema vor und stelle auch keine Eingangsfrage. Der Patient beginnt einfach über das zu sprechen, was ihn gerade beschäftigt. Manchmal sprechen wir über Träume, manchmal über aktuelle Erlebnisse, manchmal über Kindheitserinnerungen. Meine Aufgabe ist es, mit dem Patienten mitzugehen und mit ihm gemeinsam zu erforschen, was ihn beschäftigt und womit das zusammenhängen könnte. Wenn ich etwas sage, stelle ich nur knappe Fragen oder formuliere eine vorsichtige These. Nie führe ich Monologe oder gebe Anweisungen. Auch erzähle ich in der Regel nichts von mir persönlich, das hat in der Therapie nichts verloren. Was allerdings dazugehören kann, ist, dass wir gemeinsam reflektieren, was meine Gegenwart in ihm auslöst. Das kann uns viel darüber sagen, wie er Beziehungen in seinem Alltag gestaltet. In einer Patient-Therapeut-Beziehung wiederholen sich oft Muster, die auch in den anderen Beziehungen vorkommen.
Bevor man eine Therapie beginnt, gibt es die „probatorischen Sitzungen“, in denen man austestet, ob man miteinander klarkommt. Danach muss ich die Problematik des Patienten erfassen (soweit es mir zu Beginn möglich ist), ein grobes Arbeitsmodell entwerfen und einen schriftlichen Antrag für einen Gutachter der Krankenkasse schreiben. Der entscheidet, wie viele Stunden dem Patienten bewilligt werden. Das ist eine Menge Papierkram und der nervige Teil des Berufsalltags. Zum Glück schreibe ich ganz gerne, deshalb macht es manchmal trotzdem Spaß.
Die Supervision
Weil ich noch in der Ausbildung bin, treffe ich nach jeder vierten Stunde mit einem Patienten einen erfahrenen Psychoanalytiker, meinen Supervisor. Gemeinsam reflektieren wir, was ich aus den Sitzungen erzähle. Das ist ein toller Teil der Ausbildung. Wir machen eine richtige Beziehungsanalyse: Wie reagiere ich auf den Patienten und warum? Was sagt das über mich, was über den Patienten? Man gerät in einen Hyperreflektionszustand und lernt unglaublich viel über sich selbst und die menschliche Kommunikation. Denn zwei bis drei Mal die Woche so intensiv in die Welt verschiedenster Menschen einzutauchen, ist eine heftige Erfahrung. Einige dieser Patienten sehe ich ja häufiger als die meisten meiner Freunde. Durch die Supervision lernt man damit umzugehen.
Das Gehalt
Große finanzielle Gratifikationen erwarten einen als Psychotherapeuten nicht. Fünf Jahre Studium, obendrauf drei bis fünf Jahre Therapeutenausbildung, das hat man so schnell nicht wieder drin. Richtig übel sind die langen Pflichtpraktika. Teilweise liegt die Bezahlung weit unter dem Mindestlohn. Es muss einen schon ein echtes Interesse für die Menschen antreiben.
Meine analytischen Behandlungen laufen derzeit auf Selbständigen-Basis, das macht es schwer, zwischen netto und brutto zu unterscheiden, auch weil ich aufgrund der teuren Ausbildung gerade noch so viele Ausgaben habe und meine Kredite abbezahlen muss. Unterm Strich kommen derzeit aber jeden Monat um die 2000 Euro netto dabei heraus.
Wenn ich mit der Ausbildung fertig bin und Vollzeit als Analytikerin in einer Gemeinschaftspraxis arbeiten kann, werde ich wohl um die 3500 Euro netto verdienen.
Die Lebenslektion
Wenn mich meine Arbeit bisher etwas Allgemeingültiges über die Menschen gelehrt hat, dann Folgendes: Jeder Mensch läuft mit einer Rüstung aus den unterschiedlichsten Wertvorstellungen und Verhaltensmustern durchs Leben, die ihm dabei helfen, klarzukommen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Doch darunter liegt eigentlich bei allen dasselbe: Die Sehnsucht danach, als der geliebt zu werden, der man ist.
Der Irrtum
Man könnte glauben, jemand, der Psychologie studiert hat und noch dazu eine Therapeutenausbildung hinter sich hat, sei weiser oder begabter in der Bewältigung seiner Probleme. Das stimmt nicht. Ich streite mich immer noch genauso irrational und emotional mit meinem Freund wie vorher. Es hat sich höchstens etwas daran geändert, wie ich den Streit im Nachhinein mit ihm reflektiere und verstehe. Das war aber auch schon alles.
Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird
Die Top drei der Partysätze sind erstens: „Bist du sicher, dass du dich nicht nur selbst heilen möchtest?“ Zweitens: „Hilfe, kannst du mich jetzt durchschauen?“ Und drittens: „Oh, da muss ich aber vorsichtig sein, was ich jetzt sage!“
Während des Studiums habe ich manchmal einfach behauptet, etwas ganz anderes zu studieren, weil mich die Reaktionen so genervt haben. Wie viele paranoide Ideen mit diesem Beruf verbunden sind!
Zur Selbstheilung kann ich nur sagen: Natürlich interessiert mich meine eigene Geschichte. Das zu leugnen wäre bescheuert. Niemand ist frei von Sorgen und Problemen. Aber niemand quält sich durch ein ganzes Psychologiestudium und die Therapeutenausbildung, nur, weil er eine Therapie braucht. Das könnte er einfacher und günstiger haben. Das ist in Deutschland ja auch ziemlich einmalig, dass das eine Leistung der Krankenkassen ist.
Und was das Durchschauen anderer Menschen angeht: Bestimmt gehe ich, wie übrigens die meisten anderen Menschen auch, oft mit einer Art Berufsbrille durch die Welt. Sicherlich fallen mir extreme psychische Absonderlichkeiten schneller auf als anderen. Zur Hellseherin macht mich das aber noch lange nicht. Und es wäre mir auch viel zu anstrengend, jeden, den ich treffe, erstmal zu analysieren.