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Horrormitbewohner: Der Künstler und seine drei Schlangen

Illustration: Daniela Rudolf/Janina Schmidt

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Wohnsituation: Haus mit Garten und Terrasse, fünf Bewohner – plus drei Schlangen namens Sirus, Monty und Pequeño

Geschlecht und Alter des Horror-Mitbewohners: männlich, 23, Künstler und Schlangenbesitzer

Horror-Stufe: 5 von 10

Als ich für ein Auslandsjahr nach Long Beach in Kalifornien ging, war die Wohnungssuche dort die Hölle und die Mietpreise meist weit über meinem Budget. Schließlich fand ich eine Anzeige, die vielversprechend klang. Die fünf Jungs klangen am Telefon wie super chillige Surfer-Dudes und meinten, ich solle doch einfach mal vorbeikommen.

Der erste Eindruck war perfekt. Zwar kein Pool, doch dafür ein eigenes, kleines Häuschen mit Garten, in dem Rosenbüsche und ein Zitronenbaum wuchsen. Neben einem geräumigen Wohnzimmer gab es auch eine Terrasse mit Sofas. Zugegeben: Mir fielen auch die zahlreichen Bierdosen auf, die überall im Garten herumlagen, und die dicken Staubschichten auf den Möbeln. Das stempelte ich aber als sympathische Verranztheit ab, von der ich mir in erster Linie ein lockeres Zusammenleben versprach.

Zwei der Jungs waren auf Suche nach Nachmietern für ihr geteiltes Zimmer, Ben (alle Namen im Text wurden geändert) und zwei weitere würden dort wohnen bleiben. Neben mir war noch ein anderer Interessent da, Jacob, ein Deutscher. Uns wurde das Zimmer dann auch sofort angeboten. Der Einzug war schon wenige Tage später möglich. Ich rang kurz mit mir, aber das Haus war nur zehn Minuten vom Campus entfernt und die Miete lag in meinem Budget. Außerdem konnte ich so auch mit drei Amerikanern zusammenleben – und drei Schlangen. Die seien aber lieb und die ganze Zeit in ihren Käfigen, versicherte mir Ben.

Die Euphorie verflog nach dem Einzug ziemlich schnell. Das Haus stellte sich bei genauerer Betrachtung nicht als sympathisch verranzt, sondern als vollkommen verwahrloste und verdreckte Bruchbude heraus. Die lockeren Mitbewohner erwiesen sich in erster Linie als faul. Jacob und ich fuhren los, um die nötigsten Reinigungsmittel zu besorgen. Die drei Amerikaner hingegen schien weder die Dauerpfütze im Badezimmer, noch das Eigenleben des Kühlschranks oder die Ameisen zu stören, die in unserer Küche immer wieder eine meterlange Straße bildeten. Als wir dann auch noch eine Ratte in den Küchenschränken bemerkten, wurde wenigstens Ben aktiv. Mit einer seiner Luftpistole ging er auf Jagd, erschoss das arme Tier schließlich – und gab sie einer seiner Schlangen als Abendessen. Im Stillen taufte ich unsere Wohngemeinschaft „House of Horror“. 

Nachts neben dem Klo eine Schlange vorzufinden, löste bei mir Entsetzen aus

Es stellte sich dann auch heraus, dass die Schlangen ganz und gar keinen artgerechten Käfig hatten. Der neue befand sich laut Ben gerade im Bau. Er war nämlich Kunststudent und hatte die komplette Garage zu einer Mischung aus Atelier, Werkstatt, Abstellkammer und Müllhalde umfunktioniert. Leider hatte er das Talent, angefangene Projekte nur im seltensten Fall zu beenden. Und so lebten die Schlangen mal in einer Plastikbox, mal in seinem Kleiderschrank. Dass das nicht in Ordnung war, merkte natürlich auch Ben. Aus Mitleid gewährte er seinen Lieblingen Sirus, Monty und Pequeño des öfteren „Playtime“ – die diese nutzen, um zu entwischen. Ich glaube, Rekordhalter war die 1,70 Meter lange Boa Sirus, die einmal über eine Woche lang verschwunden war. Nachts neben dem Klo eine Schlange vorzufinden, löste bei mir anfangs Entsetzen aus – irgendwann nur noch ein genervtes „Ben!“. Die kleinste Schlange, Pequeño, hatte als einzige ein Terrarium, das ihr schließlich zum Verhängnis wurde. Ben vergaß es nämlich auf der Terrasse, wo es den ganzen Tag in der prallen Sonne stand. Der arme Pequeño war danach hinüber.

Fairerweise muss ich sagen, dass ich mich mit Ben eigentlich gut verstand. Er hatte natürlich seine Eigenheiten, die mich nicht selten in den Wahnsinn trieben. So war er zum Beispiel nachtaktiv. Während der Rest des Hauses schlief – die Schlangen vielleicht ausgenommen – verbrachte er manche Nächte mit seinen nie fertig werdenden Kunstprojekten. Die meisten aber mit Zocken. Dieser Rhythmus führte dazu, dass er tagsüber an willkürlichen Orten im ganzen Haus einschlief und meistens irgendein Sofa belagerte. Daraus ist eine ganz nette Fotoreihe entstanden. Letztlich sind Ben und ich dann doch gute Freunde geworden. 

Trotzdem war ich froh, als ich schließlich auszog. Ben ist als Kumpel eindeutig angenehmer als als Mitbewohner. Und Sirus vermisse ich tatsächlich kein bisschen.

Bei diesem Text handelt es sich um den Beitrag einer jetzt-Leserin. Sie hat darum gebeten, anonym zu bleiben, ihr Name ist der Redaktion aber bekannt.

 

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