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Warum ich den Kollektiv-Kater am ersten Januar liebe

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es gerade geht, lieber Leser – bitte immer daran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol. 

Es begann am ersten Januar vor ein paar Jahren. Hinter uns lagen eine lange Silvesternacht und viele geleerte Flaschen. Irgendwann um die Mittagszeit, die für uns noch Morgen war, stapften wir in Schlafanzug und dicken Jacken zur Tankstelle. Es war kalt. Mein Kater saß zu diesem Zeitpunkt irgendwo hinter dem linken Auge. Klingt seltsam, aber: Genau an diesem Tag wurde der erste Januar zu meinem Lieblingsfeiertag.

Das liegt zum einen an der Stimmung. Der Erste in einem Wort: friedlich. Die Straßen liegen still, gezeichnet von den Resten der Silvestereuphorie: verschossene Böller, Kronkorken, leere Sektflaschen auf Sicherungskästen. Vor den Häusern parken geschlossene Autoreihen. Denn am Tag nach der Neujahrsnacht verlässt niemand das Haus, und wenn, dann in Jogginghose. Ob man das Jahr zufrieden verabschiedet oder fluchend in die Tonne getreten hat, ist jetzt egal. Der kollektive Kater legt sich wie eine schützende Decke über die Welt. Dass alles still ist, ist nicht nur stimmungsvoll, sondern auch praktisch. Beim Auskatern braucht man Ruhe, besonders wenn die Ohren noch von Böllern und Bässen klingeln. Der Erste ist die Ruhe nach dem Sturm.

Am Ersten rauszugehen ist deshalb ein bisschen wie in einem postapokalyptischen Zombiefilm unterwegs zu sein. Nur, dass man keine Angst vor Zombies haben muss – man ist ja selbst einer. Die, die einander auf der Straße begegnen, eint das Wissen: Wir haben gestern alle ein bisschen zu viel ein bisschen zu lange Dinge getan, auf die wir heute nicht unbedingt stolz sind.

Der Feiertag macht den Kater zum anderen offiziell: Niemand muss, niemand kann heute irgendwas – außer zusammen auf dem Sofa auskurieren. Und auch die, die heute arbeiten müssen, haben in Tankstellen, Krankenhäusern, Hotels und Cafés hoffentlich die entspanntesten (oder wenigstens unterhaltsamsten) Schichten des Jahres. Denn jeder weiß: Gestern war Ausnahmezustand.

Geteiltes Leid ist halbes Leid, und am ersten Januar leiden alle gemeinsam

Doch die Nacht ist rum, und das ist gut so. Im Idealfall sind jetzt alle zu Hause, zerknautscht aber wohlbehalten. Alle Heulkrämpfe auf offener Straße, die Suchaktion nach dem Kumpel, Suffnachrichten an den oder die Ex, der zu schnell gekippte Secco und das anschließende Reihern über die Nachbarshecke: überstanden. Gemeinsam. Man braucht einander am Morgen des Ersten nur kurz anschauen, um zu verstehen: Den Kater schaffen wir auch noch.

Die Silvesternacht kann eben Vieles sein: große Enttäuschung, große Extase oder einfach nur anstrengend. Aber auf den Katerausgleich ist immer Verlass. Fast überlebenswichtig, dass auf die überhypteste Nacht des Jahres der entspannteste Tag folgt. Alles, was jetzt noch geht, ist sehr spät und sehr lange zu frühstücken, ohne abzuwaschen und dann gemeinsam mit den liebsten Zombies einen Film zu schauen. Denn eigentlich ist ein Kater ja nicht weiter schlimm. Besonders heute: Geteiltes Leid ist halbes Leid, und am Ersten leiden alle gemeinsam.

Der Silvesterkater ist wie Luftholen vorm Sprung ins neue Jahr. Für diesen Tag gelten weder Erwartungen noch Vorsätze. Und wenn doch: Hat der Neuvegetarier nicht im Suff letzte Nacht noch den Döner…? Egal. An meinem Lieblingsfeiertag zählt nämlich ausnahmsweise nur ein Vorsatz: Heute kannst du nichts besorgen, also verschieb es besser auf morgen. Auch die Tankstelle hatte übrigens zu.

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