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Warum der Tag nach dem Feiern ein verlorener Tag ist

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

An Katertagen bin ich unzufrieden mit allem. Der Abend zuvor kann noch so legendär gewesen sein – im Nachhinein stelle ich ihn in Frage. Je besser der Partyabend, desto tiefer der Fall am nächsten Morgen. Weder Pizza noch Kaffee können mich dann glücklich machen. Auch Gilmore Girls Binge-Watching, was mich sonst immer (und ich meine wirklich IMMER) aufheitert, bringt in solchen Situationen nichts. Ich nenne es: den psychischen Kater.

Nicht falsch verstehen, ich mag Alkohol. Es gibt wenig entspanntere Dinge, als an einem Sommerabend mit einem Bier an der Isar zu sitzen. Mit der Mitbewohnerin eine Flasche Wein auf dem Sofa aufzumachen führt zu den besten Gesprächen über die Liebe und das Leben. Und auch richtig eskalierende Abende, egal ob auf WG-Partys, in Clubs oder in Festzelten gehören zu den Dingen, die ich auf keinen Fall missen möchte.

Aber am Tag danach überkommt mich immer eine seltsame Melancholie. Mir schwirren dann existenzielle Fragen im Kopf herum, ich stelle mein Leben und mich selbst in Frage. Was wird nur aus mir? Oh Gott, bestimmt finde ich nie einen Job. Wann ist der richtige Zeitpunkt für Kinder? Hätte ich vor vier Jahren vielleicht doch nach Australien reisen sollen? Dann wäre heute bestimmt alles anders. Ich habe schon wieder vergessen meinen besten Freund anzurufen – das verzeiht er mir nie mehr! Und meinen Opa! Anrufen! Dringend! Ach, damals, in der fünften Klasse, da war alles noch schön und gut und einfach. Ich krieg irgendwie nichts auf die Reihe in der letzten Zeit. Alle schlechten Erinnerungen der letzten Jahre holen mich an diesen Tagen wieder ein, als wären sie gestern gewesen. Die verpasste Chance, meinem Ex-Freund die Meinung zu sagen. Der Moment, als ich, total unvorbereitet, vor meinem Uni-Seminar stand. Das „Im-Erdboden-Versinken-Wollen“ als ich auf einem Turnier vom Pferd viel.

Schon Kleinigkeiten wie die in der Waschmaschine vergessene Wäsche oder der dreckige Küchenboden bringen mich an solchen Tagen zur Verzweiflung. Am liebsten würde ich mich nur im Bett verkriechen und nichts tun – mache ich das aber, plagt mich das schlechte Gewissen, weil ich so schrecklich unnütz und unproduktiv bin.

Außerdem reflektiere ich mein Verhalten vom Abend zuvor bis ins kleinste Detail. War ich wohl etwas zu aufgedreht, vielleicht sogar nervig? War das Imitieren von Backstreet-Boys-Moves in der Bar vielleicht nicht so cool, wie ich mir eingebildet habe? Kam mein ein bisschen zu ehrlicher Kommentar über den neuen Freund meiner Freundin vielleicht falsch rüber? Waren alle anderen doch viel nüchterner als ich? Werden meine Freunde nach diesem Abend je wieder mit mir feiern gehen? Während ich mich rückwirkend für mein betrunkenes Ich am Abend zuvor in Grund und Boden schäme, zermartere ich mir das Hirn über solche Fragen. Das malt sich Horrorszenarien aus, was ich denn vielleicht noch alles getan haben könnte, woran ich mich vielleicht nur nicht mehr erinnere. Dabei kommt es äußert selten vor, dass ich wirklich einen Filmriss habe. Aber mein katerndes Ich ist ein Pessimist. Es erwartet immer den schlimmsten Fall.

Nur: Diese Fragen würde ich mir normalerweise nicht stellen. Auch im nüchternen Zustand sind mir schon Peinlichkeiten passiert. Auch danach schäme ich mich meistens ein bisschen. Doch dieses Schämen geht nie soweit, dass ich um Freundschaften bange und mein komplettes Verhalten in Frage stelle. Weil es natürlich übertrieben und unrealistisch ist – meine Freunde kennen mich und bleiben meine Freunde, auch wenn ich sie bei der waghalsigen Drehbewegung zu „Everybody“ mal ein bisschen angerempelt habe. Auch die Idee, dass ich betrunkener war als alle anderen ist natürlich (meist) kompletter Schwachsinn. Außerdem ist mein Leben natürlich eigentlich überhaupt nicht scheiße und schon gar nicht so schlimm, wie es mir mein psychischer Kater weismachen will.

Lohnt sich der Rausch?

 

All das vergisst mein katerndes Ich. Und eigentlich ist das auch kein Wunder: Alkohol ist zwar bei uns gesellschaftlich voll akzeptiert, aber natürlich trotzdem noch eine Droge – und nach dem Rausch kommt, wie bei allen anderen Drogen eben auch, das Tief. Denn Alkohol bewirkt, dass die Glückshormone Dopamin und Serotonin freigesetzt werden. Das hebt kurzfristig die Stimmung, sorgt für Vorfreude und wirkt angstlösend. Gleichzeitig sind die Speicher dieser Botenstoffe nach einer durchzechten Nacht eben leer und es dauert, bis sie vom Körper wieder aufgefüllt werden. Daher kommt dann auch das, im wahrsten Sinne des Wortes, Gefühl der Leere am nächsten Tag.

Deshalb muss ich abwägen – lohnt sich der Rausch, wenn ich dafür das Gefühl des nächsten Tages in Kauf nehmen muss? Manchmal eindeutig ja. Meistens aber eigentlich nicht. Weshalb ich mir auch immer wieder ein paar Wochen „Rauschabstinenz“ verordne – das heißt, ein Bier an der Isar oder ein Glas Wein zum Abendessen geht natürlich schon. Aber oft brauche ich einfach eine Pause vom „Feiern“, weil ich dann emotional irgendwie ausgeglichener bin.

 

Meist kommt diese Entwicklung in Wellen: Eine sehr gute und sehr feucht-fröhliche Party (mit entsprechend schlimmem psychischen Kater) führt meist in den folgenden Wochen dazu, dass ich absolut keine Lust mehr auf die Stimmung vom „Tag danach“ habe. Dann muss ich ein bisschen Zeit vergehen lassen – bis ich die Erinnerung daran genügend weit verdrängt habe und die Lust aufs Feiern wiederkommt. Und so gleicht sich mein Trinkverhalten quasi von selbst aus – und das ist wahrscheinlich auch ganz gut so.

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