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„Es fühlt sich an, als würde ich Deutsch verlernen“

Manideep besucht zum ersten Mal nach drei Jahren seine Familie in Indien. Endlich kann er wieder das gute Essen von Mama genießen. Er hat aber auch Sorge, dass sein Deutsch wieder schlechter wird.
Foto: Prajwal Veeresha Sajjan

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Manideep Allu, 25, kam aus Indien für den Master in „Chemical and Energy Engineering“ nach Deutschland. Er ist eine der Fachkräfte, die Deutschland so dringend braucht. Wir protokollieren seinen Alltag und wollen wissen: Klappt Integration? In Folge 8 erzählt er, wie es ist, nach drei Jahren wieder in Indien zu sein, und was er an Deutschland vermisst.

„Ich konnte meine Mama in die Arme schließen. Endlich! Mein erster Heimatbesuch in Indien, seitdem ich vor drei Jahren nach Deutschland gezogen bin. Wir schlafen zu viert in einer Drei-Zimmer-Wohnung, mal schläft Papa auf dem Boden, mal ich, mal meine Schwester. Ein Kumpel von mir hat ein Baby bekommen, das habe ich verpasst. Bei einem anderen war ich jetzt wenigstens bei der Babyparty. Wonach alle fragen, ist Alkohol. In Indien wird nicht viel getrunken, in Deutschland schon. Zwei Liter habe ich mitgebracht: japanischen und irischen Schnaps.

Alles habe ich vermisst: meine Familie, meine Freunde, das Streetfood. Ich wache auf, frühstücke, gehe in ein Cafe, dann spazieren. Es ist alles so günstig hier, ich verdiene deutsches Geld, zahle aber nur indische Preise. Ich lebe wie ein König hier. Den Großteil des Tages esse ich. Meine Mama kocht so gut, die Waage zeigt schon zwei Kilo mehr an. Tapeswaram Kaja ist mein Lieblingsgebäck, geschichtete Teigteilchen mit Zuckersirup überzogen. Das gibt es in Deutschland nicht. Auch von der Uni gibt es gute Neuigkeiten. Alle Prüfungen bestanden! In zwei Wochen spreche ich mit meinem Professor über meine Idee für die Masterarbeit.

Nebenbei werde ich nach Jobs suchen, darüber lest ihr in der nächsten Folge dieser Kolumne. Egal was, egal wo. Einfach Vollzeit. Irgendetwas mit Sicherheit, Energie oder Umwelt. Ich brauche Arbeitserfahrung. Weil, was passiert sonst, wenn ich eine Frau kennenlerne und zu ihrem Haus gehe? Dann wird ihr Vater sagen: ,Du hast keinen Job? Wieso sollte ich dir meine Tochter geben?‘ Das hier sind meine letzten acht Tage in Indien. Urlaub ist immer zu kurz. Wenn ich in Braunschweig ankomme, werde ich umziehen. In eine andere WG, um Geld zu sparen. Es sind zwar nur 70 Euro Unterschied, aber ich brauche jeden Euro, weil ich irgendwann meinen deutschen Führerschein machen will. Der ist so teuer.“

Mein bestes Erlebnis der letzten sechs Wochen:

„Endlich wieder rumfahren. Bestimmt 1000 Kilometer bin ich in fünf Wochen hier mit dem Auto gefahren – ich gleiche aus, was ich in den drei Jahren Deutschland verpasst habe. Ich habe auch mein Motorrad vermisst, die Freiheit. Deshalb bin ich motiviert, meinen Führerschein in Deutschland zu machen. Der Verkehr ist hier ganz anders als in Deutschland. Ein großes Chaos, ganz viele Fahrzeuge. Manchmal brauche ich eine Stunde für nur neun Kilometer zu meinem Lieblingscafé mit Seeblick. Vor ein paar Tagen hielt ich an einer roten Ampel, der Fahrer hinter mir hupte, wollte, dass ich trotzdem fahre. Keine Polizei weit und breit. Da bin ich natürlich gefahren. In Deutschland würde ich das nicht machen.“

Meine neueste Entdeckung:

„Ich frühstücke wie ein Europäer. Das hat ein Freund mir gesagt, weil ich jeden Tag vormittags schwarzen Kaffee trinke und Schokoladen-Croissants esse. Die sind hier übrigens nicht so buttrig und knusprig wie in Frankreich. Für Indien ist dieses Essverhalten ungewöhnlich. Unser Frühstück wäre ein Mittagessen für Deutsche: Reis, Linsen, Dosa, dazu Chutneys und Dips. Ich mag inzwischen lieber Croissants.“

Mein aktuelles Lieblingswort und warum?

„Gedeihen. Das bedeutet wachsen, erblühen, entwickeln, aber auf eine positive Weise. Ich habe es durch Wortsuchspiele gelernt. Ein Buch, das ich aus Deutschland mitgenommen habe. Das sieht so ähnlich aus wie Sudoku, aber statt mit Zahlen ist es mit Worten, die in dem Buchstabensalat versteckt sind. Ich mache das extra, damit mein Deutsch wach bleibt. Es fühlt sich nämlich an, als würde ich Deutsch verlernen, Vokabeln vergessen. Ich sollte wieder mit meinen Kollegen sprechen, darauf freue ich mich bereits.  Wobei, dann werde ich wieder das indische Essen vermissen und den bunten Trubel. Dafür wartet auf mich deutsches Bier!“

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