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„Das Patriarchat überwinden“

Ist vor allem in wehrhaften Rollen zu sehen: Elisabeth Moss, hier im Horrorthriller „Der Unsichtbare“.
Foto: Mark Rogers; Mark Rogers/Universal Studios

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Entschlossene, findige, kämpferische Frauen, die von den Männern und der Gesellschaft oft sehr mies behandelt werden – von solchen Rollen fühlt sich Elisabeth Moss offenbar angezogen. Bekannt wurde die 37-jährige Amerikanerin in der Serie „Mad Men“ als Peggy Olson, die als Sekretärin einer Werbeagentur beginnt und sich beim Aufstieg von einer Welt voller Machos nicht aufhalten lässt. Ähnlich viel Aufmerksamkeit erregte sie als rebellische Heldin in Margaret Atwoods Dystopie „A Handmaid's Tale“ über Frauen als versklavte Geburtsmaschinen. In ihrem neuen Horrorfilm „Der Unsichtbare“ muss sie sich einmal mehr eines toxischen Mannes erwehren. Zum Interview im London West Hollywood Hotel erscheint sie mit einem Bob-Dylan-T-Shirt, mehreren goldenen Halsketten und einer sehr reifen Banane, die sie, bevor es losgeht, noch schnell isst.

SZ: Mrs. Moss, wie wichtig ist es für Sie in der gegenwärtigen Lage, weibliche Wut zu kanalisieren?

Elisabeth Moss (lächelt): Außerordentlich wichtig! Von dieser Idee, dass man in spannende Geschichten durchaus tiefere Botschaften einbetten kann, hat mich Margaret Atwood bei „A Handmaid's Tale“ überzeugt. Als ich das Skript von „Der Unsichtbare“ bekam, fragte ich mich erst, was ich damit jetzt anfangen soll, wie ich da reinpassen könnte. Doch der Regisseur Leigh Whannell hat aus dem alten Horrorkonzept eine Analogie auf vergiftete Beziehungen gemacht, und wie man sich daraus befreit. Ein Ansatz, der mich überzeugte.

Kann das Horrorgenre solche Themen transportieren?

Oh, absolut! Ich liebe Horror, seit ich elf oder zwölf Jahre alt bin, und als Teenager habe ich die Klassiker wie Stanley Kubricks „The Shining“, „Poltergeist“ und „Der Exorzist“ gesehen. Das waren nicht nur Achterbahnfahrten, sondern auch immer Analogien zu politischen und gesellschaftlichen Themen, die bis heute relevant sind. Jordan Peele, mit dem ich vor Kurzem den Horrorfilm „Us / Wir“ gemacht habe, nennt das „nachdenkliches Popcornkino“. Das Adrenalin brodelt, man darf schreien und lachen, aber nachher setzt man sich vielleicht zusammen und führt ein gutes Gespräch über das, was man da gerade durchgemacht hat.

„Die Aufgabe, die wir als Frauen in dieser Welt oft lösen müssen, heißt nun mal: das Patriarchat überwinden“

Frauen unter starkem Druck, das scheint ihr Ding zu sein. Schon vor zwanzig Jahren in „Girl, Interrupted“ spielten sie einen Teenager in einer geschlossenen Anstalt, der sich das Gesicht verbrannt hatte. Nur wenige Schauspielerinnen haben das in sich, ohne theatralisch zu wirken.

Ich suche nach Menschlichkeit in meinen Rollen. Und als Menschen - Frauen wie Männer - sind wir verwundbar und stark zugleich. Wir können sehr intelligent sein und gleichzeitig furchtbar schlechte Entscheidungen fällen. Ich mag nun mal Figuren, die mich herausfordern. Die etwas überwinden müssen. Tja, und die Aufgabe, die wir als Frauen in dieser Welt oft lösen müssen, heißt nun mal: das Patriarchat überwinden.

Die Serienadaption von „A Handmaid's Tale“ mit Ihnen in der Hauptrolle hatte 2017 Premiere. Im gleichen Jahr entstand die „Me Too“-Bewegung. Gerade erst gab es ein Urteil in New York im Prozess gegen Harvey Weinstein, mit dessen Enttarnung als Sexualstraftäter diese Bewegung begann. Wo stehen die Frauenrechte heute?

Ich denke, dass bisher viel Gutes geschehen ist. Eine überfällige Debatte ist angestoßen worden. Aber wir haben noch eine weiten Weg vor uns. Und es ist wichtig, dass man es nicht als einen Trend oder eine Bewegung ansieht, die jetzt drei Jahre alt ist, sondern als eine fortdauernde Auseinandersetzung. Sollte das Thema auf Twitter mal nicht mehr trenden, heißt es noch lange nicht, dass die Probleme damit beendet wären.

Und die andere Seite schläft nicht ...

Keinesfalls, man muss alles tun, damit das alles im Gespräch bleibt. Das Fernsehen und das Kino sind für uns Frauen Kanäle, um unsere Frustrationen auszudrücken. Es gibt auch andere Wege. Ich bin keine Politikerin. Ich kann nur die Plattformen nutzen, die mir zur Verfügung stehen.

„An Peggy mag ich ihre Kompromisslosigkeit. Und dass sie letztendlich mit ihrem besten Freund zusammenkam“

Sie sind ein Vorbild für Frauen in aller Welt. Trotzdem nehmen Sie sich die Freiheit, weibliche Selbstzweifel und Mängel zu verkörpern. Widerspricht sich das oder ist es notwendig?

Ich denke, das geht Hand in Hand. Selbst wenn Sie sich Gal Gadot als „Wonder Woman“ ansehen, ist diese Figur auch verwundbar. Sie ist nicht perfekt. Genau das ist so wichtig. Sie ist natürlich ein extremes Beispiel - eine echte Superheldin. Aber sie zeigt, dass man auch als starke Frau keine Angst haben muss, Schwäche zu zeigen. Frauen sind menschlich. Und wir sind so facettenreich wie Männer. Ich denke, eine Vorbildfunktion sollte auch beinhalten, dass man manchmal verletzlich sein kann.

Schon in jungen Jahren, heißt es in Ihrer Biografie, wurden Sie von Bette Davis inspiriert. Wie darf man sich das vorstellen?

Mir imponiert an Bette Davis, wie sie ihre Karriere und ihren Platz in Hollywood gestaltet hat. Es ging ihr nicht nur um ihre Rollen. Sie war stets offen und gradlinig, mutig und keck. Sowohl im Privatleben als auch in ihrer Art, Geschäfte zu machen. Sie stand ihre Frau. Das brachte ihr den Ruf ein, schwierig zu sein. Was ja nichts Neues ist, wenn Frauen für sich Stellung beziehen. Da war sie damals auch nicht alleine, Frauen wie Mary Pickford und andere haben sich ihren festen Platz in der Filmindustrie erkämpft. Die ließen sich nicht herumschubsen. Zudem war Bette Davis eine unglaublich gute Schauspielerin.

In der Serie „Mad Men“ spielten Sie auch so eine Figur, die ihre Frau stand. Peggy Olson hat sich in der sexistischen New Yorker Werbewelt der Sechzigerjahre durchgesetzt. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wie es mit Peggy in den Siebzigerjahren weitergegangen wäre?

Ja, ich habe öfter daran gedacht. Wir wissen ja, was mit diesen ambitionierten Frauen passierte. Sie durchliefen alle möglichen Positionen, und am Ende leiteten sie die Firma. An Peggy mag ich ihre Kompromisslosigkeit. Und dass sie letztendlich mit ihrem besten Freund zusammenkam.

In Schweden drehten Sie unter der Regie von Ruben Östlund „The Square“, der 2017 in Cannes gewann. Wie ist Ihre Verbindung zum europäischen Kino?

Ich wuchs damit auf. Als Teenager hatte ich eine längere French-New-Wave-Phase (lacht), schaute auch viel Fellini. Es gab so viele tolle Filme zu entdecken. Die Darstellerinnen, die ich bewundere, Frauen wie Kristin Scott Thomas und Marion Cotillard, drehen europäische Filme. Es gibt da andere Geschichten zu erzählen. Und ich mag daran auch, dass das Autorenkino dort staatlich gefördert wird. Man hat mehr Zeit und es wird einem weniger reingeredet als hier in der amerikanischen Filmindustrie.

„Wenn es an mir läge, würde ich in jedem Land einen Film drehen“

Film in Europa ist eben nicht wirklich eine Industrie ...

Während hier in den USA alles unter sehr kommerziellen Gesichtspunkten geschieht. Ich mag die Möglichkeit, mit möglichst vielen unterschiedlichen Filmemachern zu arbeiten. Dabei ist mir egal, woher sie kommen. Wenn es an mir läge, würde ich in jedem Land einen Film drehen.

Gerade haben Sie in Frankreich in Wes Andersons neuem Film „The French Dispatch“ mitgewirkt. Wie fühlte es sich an, in diese Filmfamilie um Bill Murray, Tilda Swinton, Willem Dafoe, Owen Wilson und die anderen aufgenommen zu werden?

Unfassbar gut, die coolste Erfahrung meines Lebens. Ich fühlte mich wie auf einem Trip oder in einem Traum, der wahr wurde. Weil ich so ein Riesenfan von Wes bin. Jeden Tag schaute ich mich um, sah all diese bekannten Gesichter und dachte: „Das sieht aus wie ein Wes-Anderson-Film. Ich sehe aus wie in einem Wes-Anderson-Film. Oh mein Gott, ich bin in einem Wes-Anderson-Film!“ (lacht) Und mit Bill Murray fachsimpelte ich immer über unser Lieblingsbaseballteam, die Chicago Cubs.

Wissen Sie schon, ob der Film die Filmfestspiele in Cannes eröffnen wird?

Nein, aber das wäre toll.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in Plan W, dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung.

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