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Wie der Türsteher zum Silencer wurde

Foto: Bodo Marks / dpa

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„Pssst, bitte ein bisschen ruhiger hier!“ Irgendwie schräg, dass wir diesen Satz beim Ausgehen mittlerweile mindestens genauso oft hören wie früher im Klassenzimmer. Allerdings werden wir beim Feiern nicht von ehemaligen Lehrern verfolgt, sondern Türsteher haben diese disziplinierende Funktion mittlerweile übernommen. Sobald wir für Zigarette oder Frischluft vor die Club-Tür treten, werden wir auch schon nervös beobachtet. Und beim nächsten lauteren Lacher wird der Türsteher rüberkommen und uns bitten, doch endlich mal etwas leiser zu sein – „ihr wisst schon, die Anwohner“.

Seit wann muss die „harte Tür“ gleichzeitig softe Mediator-Funktion übernehmen? Wann wurde aus „Du kommst da nicht rein“ ein „Geht bitte wieder rein“? Wir haben mit Stadtsoziologin Martina Löw von der TU Berlin darüber gesprochen, warum Türsteher immer stärker als Silencer, also „Beruhiger" auftreten müssen.

jetzt: Besteht heutzutage mehr Bedarf an Silencern, oder bilden wir uns das bloß ein?

Martina Löw: Es gibt heute in der Bevökerung einen größeren Wunsch danach, den öffentlichen Raum aktiv mitzugestalten. Das Recht auf die Stadt treibt die Menschen viel stärker nach draußen. Dahinter steckt, dass wir heute eine immer schwächer werdende Fernsehkultur haben und die Menschen sich mit ihren mobilen Endgeräten wieder mehr vor der Tür aufhalten. Gerade durch Smartphones und Co. wird das Draußen also wieder wichtiger. Das hat zwei Effekte: Zum einen sind wieder mehr Leute unterwegs – je mehr Menschen auf einmal, desto größer erscheint häufig der Bedarf an Kontrolle. Auf der anderen Seite steigt auch der Anspruch an ein gutes Miteinander.

Spielen die Raucher dabei auch eine Rolle, weil das Rauchverbot sie vor die Tür treibt?

Natürlich. Die Leute stehen dadurch vor den Lokalen und unterhalten sich – und zwar bei jedem Wetter. Das ist ein Teil dieser Dynamik. Die andere, relativ neue Entwicklung ist, dass wir in Deutschland und Österreich in den letzten Jahren generell viel mehr draußen sitzen. Das gab’s in dieser Form vor 15 Jahren noch nicht. Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass das Draußensein eine Art mediterranes Lebensgefühl vermittelt oder zumindest die Idee davon. Es geht um Freiheit und Leichtigkeit mitten in der Stadt.

Also keine Flucht mehr ins Grüne bei den ersten Sonnenstrahlen, sondern in den Biergarten?

Es geht vor allem um das Gefühl, im öffentlichen Raum zu sitzen und teilzuhaben am öffentlichen Leben. Man kann die anderen Menschen besser beobachten, sich besser über sie unterhalten und gleichzeitig das Wetter ein bisschen spüren.

Der „Silencer“ ist meist kein Mensch mit speziell diesem Job, sondern gleichzeitig auch der Türsteher des Ladens. Aber widersprechen sich diese beiden Rollen nicht gegenseitig?

Der Türsteher kontrolliert, wer hineindarf. Die Figur des Silencers ist eine vermittelnde Figur, die nicht fernhält, sondern eine Verbindung schafft. Diese Rollen können sich stark widersprechen, aber das hat man ja bei vielen Rollenbildern – die Mutter, die zum Beispiel zugleich straft und liebt.

Früher gehörte das Beruhigen aber nicht zum Job der Türsteher, oder?

In Frankfurt am Main ist es seit Langem im Bahnhofsviertel so, dass die Türsteher vor den Bordellen auch eine sozial ordnende Position übernehmen. Dazu gehört auch, dass man gegen Lautstärke vorgeht. Aber es geht auch prinzipiell darum, dass es möglichst wenig Reibungen zwischen den Interessen der Clubs und den Interessen der Anwohner gibt.

Hängt der vermehrte Bedarf an Silencern auch mit der Gentrifizierung zusammen? Ziehen sich die Clubs in Wohnviertel zurück, weil in den klassischen Ausgehvierteln die Mieten zu hoch sind?

Es ist mit Sicherheit so, dass Gentrifizierungsprozesse gerade jüngere Szenen und Ausgehlokale in Viertel drängen, die günstig sind und trotzdem infrastrukturell interessant. Natürlich verändert sich dadurch das neue Viertel. Also muss man diese Entwicklung gestalten und moderieren. Die Neuen, die hinzuziehen, müssen dafür sorgen, dass sie nicht zu viel Ärger mit den Anwohnern bekommen.

Diese Prozesse setzen sich in unterschiedliche Richtungen fort: Manchmal wird das Viertel durch neue Clubs tatsächlich umstrukturiert. Die Bewohner ziehen weg und es wird zu einem reinen Ausgehviertel. Gelegentlich findet man auch ganz gute Arrangements zwischen Lokalen und Anwohnern, indem man verhandelt, wie viel Lautstärke sein darf. Fallweise ist es auch so, dass die Clubszene selbst weiterzieht. Denn letztlich geht mit den Ausgehlokalen oft eine Aufwertung der Quartiere einher, wodurch die Mieten wiederum ansteigen.

Ist der Trend, Clubs in verlassene Fabrikhallen zu verlagern, eine Gegenreaktion auf all diese Prozesse?

Viele Fabrikhallen sind auch deshalb für die Partyszene interessant, weil sie in Gewerbegebieten liegen. Da braucht man den Prozess der Beruhigung überhaupt nicht und kann unbekümmert laut sein. Auch das Mietproblem stellt sich nicht im selben Ausmaß. Es ist also eine konsequente Haltung, in die Industriegebiete auszuweichen. Aber das passiert schon seit vielen Jahrzehnten. Allerdings dann, wenn sich die Fabrikhallen in Wohngebieten befinden, geht es auch hier um eine neue Aneignung, um die Lust, die Stadt zu erkunden und fremde Strukturen für sich zu erobern.

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